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„Jemand hat meine Republikaner gekapert“

Im US-Bundesstaat Virginia zeigen sich die USA im Kleinen: demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung, Wahlverhalten – Virginia ist ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, was die USA spaltet, was sie zusammenhält. Unser Reporter Carsten Luther war in Richmond, Virginia, unterwegs.

Peter Greenberg schimpft. „Ich habe lange Zeit die Republikaner gewählt, aber jemand hat meine Partei gekapert“, sagt der 70-Jährige. Ursprünglich aus Brooklyn, New York, hat er eine Navy-Karriere hinter sich, hat unter anderem in der Chemieindustrie und zuletzt bei einem Tabakkonzern gearbeitet. „Diese extremen Ansichten zu einigen sozialen Fragen, die solchen Einfluss gewonnen haben, stören mich. Und es gibt keine wirkliche Diskussion innerhalb der Partei, kein Konzept von Teamwork.“

Greenberg gehört zu einer wichtigen Wählergruppe in den USA, der Generation 60 plus. Als Barack Obama 2008 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, hatte er nur diese Altersgruppe nicht mehrheitlich hinter sich: Unter Amerikanern über 65 (bei der vergangenen Wahl 16,6 Prozent der Wähler) erreichte der republikanische Kandidat John McCain einen Vorsprung von 8 Prozentpunkten. Das war vor allem deshalb wichtig, weil die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe traditionell besonders hoch ist, vor vier Jahren lag sie bei mehr als 70 Prozent.

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Wo ist Obamas Leidenschaft geblieben?

Im US-Bundesstaat Virginia zeigen sich die USA im Kleinen: demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung, Wahlverhalten – Virginia ist ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, was die USA spaltet, was sie zusammenhält. Unser Reporter Carsten Luther war in Richmond, Virginia, unterwegs.

Als Mitt Romney dem Präsidenten zu seinem Hochzeitstag gratuliert, hat er bei den Studenten der University of Richmond in Virginia den ersten Lacher auf seiner Seite. „Ich bin sicher, das hier war der romantischste Ort, den Sie sich vorstellen konnten – hier mit mir …“, sagt der Herausforderer zu Barack Obama.

Romney schafft es damit, auch die Studenten zu erheitern, die sich zu Obama bekennen. Sie sind gemeinsam mit Romney-Sympathisanten im Wohnheim Keller Hall zusammengekommen, um die erste TV-Debatte der beiden Kontrahenten zu sehen. Viele Stühle sind allerdings leer geblieben, richtig bequem ist es nicht, die Studenten balancieren die Pizza auf dem Schoß. Ihre Aufmerksamkeit gehört ganz der Leinwand. Zwischenrufe gibt es während der 90 Minuten langen Debatte fast nicht, auffällig still und konzentriert folgen alle dem Duell.

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Romneys Leerstellen sind eine Vorlage für Obama

Barack Obama muss sich um die Wirkung seines Auftritts auf dem Parteitag der Demokraten in dieser Woche kaum sorgen. Mit ihrem Spektakel in Tampa, Florida, haben die Republikaner zwar ordentlich vorgelegt: Laut, bunt und teuer war die Nominierung ihres Hoffnungsträgers Mitt Romney, die Emotionen kamen hoch dosiert, die unangenehmen Überraschungen hielten sich in Grenzen. Doch inhaltlich hat Obama nun die Chance, bei den Wählern zu punkten, weil die Rede seines Kontrahenten viele Lücken ließ. Und schon der Ort, an dem der amtierende Präsident am Donnerstag sprechen wird, wenn seine Partei ihn formell noch einmal zum Kandidaten macht, setzt ganz andere Maßstäbe.

73.778 Plätze bietet das Football-Stadion in Charlotte, North Carolina. Obamas Wahlkämpfer sind sicher, dass sie alle gefüllt sein werden. Größer kann man die Kulisse nicht wählen. Undenkbar, welches Bild ein Auftritt vermittelte, blieben einige der Ränge leer. Doch wenn es gutgeht, steht Obama da wie ein Rockstar, kein Vergleich zu seinem spröden Herausforderer.

Schub in Umfragen hielt nur kurz

Die Euphorie der Republikaner hat bereits einige kleine Dämpfer nach dem Parteitag in Florida bekommen. Dazu gehören die Einschaltquoten für Romneys Nominierung, die sicher auch der Hurrikan Isaac beeinflusst hat: Geschätzte 30,3 Millionen Menschen sahen am letzten Tag des Events zu. Als vor vier Jahren John McCain seine Kandidatur annahm, waren es 38,9 Millionen (damals sogar 500.000 mehr als bei Obamas Rede).

Mehr noch muss die republikanischen Wahlkämpfer beunruhigen, dass der Parteitag die Gunst der Wähler offenbar nur wenig beeinflussen konnte. Meinungsforscher hatten einen Schub für den Kandidaten erwartet, der sich auch durchaus einstellte: Vor einer Woche sah eine Reuters/Ipsos-Erhebung Obama noch mit vier Punkten vor Romney (46 zu 42 Prozent). Kurz nach seiner Rede führte Romney mit einem Punkt. Doch am Sonntag war das Rennen wieder ausgeglichen (45 zu 45 Prozent) – der Effekt also bereits verpufft.

Es mag Mitt Romneys bislang bester Auftritt in diesem Wahlkampf gewesen sein. Hinter dem kalten Kapitalisten schien erstmals ein Mensch durch, der liebt, leidet und lacht. Das war wichtig. Wenn auch viele Amerikaner glauben, die Wirtschaft sei bei diesem Mann in den richtigen Händen: Ein Großteil mag ihn einfach persönlich nicht. Der Versuch, dieses Defizit abzubauen, hat folgerichtig viel Raum in Romneys Rede eingenommen.

Große Versprechen, wenig Details

Doch das Persönliche rückte zulasten des Politischen in den Vordergrund. Jobs, Wachstum, Schulden – genau auf jenen Feldern, die der republikanische Kandidat immer wieder mit Nachdruck ins Zentrum des Wahlkampfs zerrt, waren die Versprechen groß, die Details blieben aus.

Für Obama wird es deshalb die beste Strategie sein, nicht nur in allen Einzelheiten aufzuzeigen, was er selbst geleistet hat und was er tun wird, sollten die Amerikanern ihn für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus wählen. Es kann auch nicht allein darum gehen, seinen Herausforderer persönlich anzugreifen, ihn als skrupellosen Finanzinvestor ohne Herz, als abgehoben und elitär darzustellen. Oder sich an ideologischen Themen wie der Abtreibungsdebatte festzubeißen. Nein, wenn Obama klug ist, wird er sagen, was Romney verschweigt. Überall dort, wo der Republikaner und sein Vize Paul Ryan vage geblieben sind oder die Auswirkungen ihres Programms verschleiert haben, kann Obama konkret werden.

Die weiter hohe Arbeitslosigkeit wird der Präsident nicht beschönigen können, aber die Kritik an seiner Wirtschaftspolitik kann er kontern. Wenn er in Erinnerung ruft, unter welchen Bedingungen er gestartet ist. Wenn er herausstellt, wie er mit Finanzkrise und Rezession umgegangen ist – also etwa erklärt, warum neben staatlicher Unterstützung für Banken oder Autoindustrie Investitionen in Bildung und Infrastruktur eine so wichtige Rolle gespielt haben. Oder wie er unter schlechten Voraussetzungen eben doch Jobs geschaffen hat. Das Programm der Republikaner hat Obama als veraltet und eher ins vergangene Jahrhundert passend verspottet. Am Donnerstag wird sich zeigen, ob er modernere Ideen hat – Romney hat ihm den Spielraum dafür gelassen.

Offene Flanke Sozialprogramme

Manche Themen kann Obama dabei völlig frei besetzen, weil Romney sie in seiner Rede nicht einmal angeschnitten hat. Kein Wort etwa über amerikanische Soldaten im Krieg, Einwanderung oder staatliche Sozialleistungen. Das sind vorteilhafte Themen für den Präsidenten: Er hat den Irakkrieg beendet und einen Plan für den Truppenabzug in Afghanistan – Romney fällt es schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Obama hat mit seiner Einwanderungspolitik viele Sympathien in der wachsenden Wählergruppe der Latinos gesammelt – sein Gegner hat sich zu einer harten Linie drängen lassen, die er nur ungern unaufgefordert vertritt. Die staatlichen Sozialleistungen schließlich sind ebenso wie die Krankenversicherung ein Feld, auf dem Obama Romneys Leerstellen füllen könnte: Was etwa bedeutete es, sollte das Medicare-Programm für Ältere teilweise privatisiert werden? Was, wenn Obamas Gesundheitsreform rückgängig gemacht würde?

Am Ende ist es ein schmaler Grat, denn auch Obama muss ans Sparen denken und wird ebenso Einschnitte vertreten müssen. Doch nur durch substanzielle Vorschläge, die einen echten Kontrast zum republikanischen Programm bieten, kann er diese Wahl noch zu einer echten Richtungsentscheidung machen. Bliebe der Präsident hingegen ähnlich unspezifisch wie sein Gegner – die Unzufriedenen und Unentschlossenen würden es vielleicht doch lieber mit dem Wirtschaftsmann Romney versuchen.