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Verfolgt und ausgespäht – für Wahlwerbung

Mehr denn je setzen die US-Wahlkämpfer auf das Internet. Schon im April schrieb die Washington Post, die Kampagne von Präsident Barack Obama habe bis dahin mehr als zwölf Millionen Dollar in Onlinewerbung gesteckt. Marktforscher schätzen sogar, dass im laufenden Wahlkampf insgesamt 160 Millionen Dollar für „Onlinekommunikation“ ausgegeben werden. Ähnlich wie Unternehmen ihre Werbung möglichst zielgerichtet einem passenden Publikum zeigen wollen, setzen auch die Präsidentschaftskandidaten auf Nutzer-Tracking, Statistik und Datensammlungen etwa bei Facebook. Es könnte verschenktes Geld sein. Denn eine Studie hat nun ergeben, dass die Amerikaner eine große Abneigung gegen personalisierte Onlineanzeigen hegen.

Die nach eigenen Angaben repräsentative Umfrage der Annenberg School for Communication brachte einige Erkenntnisse zutage, an denen das Obama-Team, aber auch die Republikaner zu knabbern haben dürften.

64 Prozent der Befragten sagten, sie hätten ein Problem damit, wenn die Wahlkämpfer Informationen über ihre Internetaktivitäten von Datenhändlern kauften, um ihnen andere Werbung zu zeigen als etwa ihren Nachbarn. Genau das passiert aber.

70 Prozent hätten weniger Lust, einen Kandidaten zu wählen, wenn sie wüssten, dass er Facebooks „gesponserte Meldungen“ als Werbemittel benutzt. Die funktionieren so: Wer zum Beispiel auf Obamas Facebook-Seite den „Gefällt-mir“-Button anklickt, generiert damit eine Anzeige, von Facebook „gesponserte Meldung“ genannt. Sie besteht aus dem Logo und einer kurzen Botschaft (in diesem Fall von Obama) sowie Name und Foto desjenigen, der den Button betätigt hat. Die Werbung kann dann den Freunden angezeigt werden. Beide Wahlkampflager benutzen diese „gesponserten Meldungen“.

77 Prozent sagten, sie würden eine Website nicht noch einmal besuchen, wenn sie wüssten, dass ihre Daten dort gesammelt und zu Werbezwecken mit den politischen Lagern geteilt würden. Auch das ist aber eigentlich der Normalfall.

Und 86 Prozent sagten, sie würden „wütend“, wenn sie wüssten, dass Facebook ihnen politische Werbung anzeigte, die auf nicht öffentlich einsehbaren Profilinformationen basiert. Auch das passiert bei Facebook regelmäßig.

Es gibt viele weitere solcher Zahlen in der Studie. Sie besagen: Internetnutzer mögen es nicht, wenn Websites ihre Daten sammeln, daraus auf ihre politischen Vorlieben schließen und ihnen entsprechende Werbung anzeigen. Es nervt sie mehr, als es bei entsprechend zugeschnittener Werbung für Produkte, Sonderangebote oder Nachrichten der Fall ist.

Die Amerikaner sind nicht naiv. Eine große Mehrheit weiß oder hält es zumindest für möglich, dass die Wahlkampfteams von Obama und Romney all diese Werbemöglichkeiten ausschöpfen. Auch das geht aus der Studie hervor.

Sie würden personalisierte Werbung und Tracking im Netz aber eher akzeptieren, wenn sie eine Opt-in-Möglichkeit hätten – wenn sie also aktiv zustimmen könnten, dass ihre Daten, die sie auf einer Website hinterlassen, dazu verwendet werden. Zumindest aber wollen sie besser darüber informiert werden, dass und wie genau die Datensammlungen stattfinden.

Die Pläne der US-Regierung, einen Do-Not-Track-Standard einzuführen, mit dem Internetnutzer verhindern können, dass sie derart ausgespäht werden, kommen derweil nicht voran. Zu groß ist der Widerstand der Industrie, die ein zentrales Geschäftsmodell im Internet gefährdet sieht. Solange die Politik nicht mit gutem Beispiel vorangeht und auf das Datensammeln verzichtet, liefert sie den Unternehmen sogar noch Argumente, eine Einigung weiterhin zu blockieren.

 

Das unwahrscheinliche Interesse an Romneys Tweets

Twitter-Follower kann man kaufen. Das Geschäft mit Accounts, hinter denen sich kein Mensch verbirgt, floriert. Und wer hätte einen größeren Anreiz, auf solche Methoden zurückzugreifen, um Popularität zu suggerieren, als Politiker im Wahlkampf. Besonders hoch sein muss der Leidensdruck bei Mitt Romney, dem Herausforderer von US-Präsident Barack Obama. Der Amtsinhaber hat nicht nur einen kleinen Vorsprung: Obama zählt fast 17 Millionen Follower mehr als der Republikaner – bis zur Wahl im November dürfte das kaum irgendwie aufzuholen sein.

Mehr als ein Verdacht ist es zwar nicht, dem sich Romney derzeit gegenübersieht. Zuletzt hat er jedoch dermaßen an Followern zugelegt, dass man schon auf den Gedanken kommen kann, da könnte etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Vergleicht man den Follower-Zuwachs der beiden Kontrahenten, fällt auf: bis zuletzt alles schön gleichmäßig, wenn auch auf völlig unterschiedlichem Niveau. Bei Romney kamen in den vergangenen Wochen täglich mal 70, mal 9.000 Follower dazu, meist ein Wert dazwischen. Bei Obama waren es täglich zwischen 25.000 und 40.000.

Dann die Überraschung am Wochenende: Am Samstag zählt Romney plötzlich mehr als 115.000 neue Follower; am Sonntag waren es noch einmal mehr als 24.000. Das fiel zuerst der Website 140elect.com auf, die Twitter-Trends rund um die Präsidentschaftswahl beobachtet. Stutzig macht deren Autor Zach Green, dass es gleichzeitig keine nennenswerte Veränderung bei Mentions und Retweets gab, höchstens leicht nach unten. Grundsätzlich könnte es sich natürlich auch um Spambots handeln, die Romneys Account attackieren. Deren Verursacher wollen jedoch meist zumindest den Anschein echter User erwecken, um etwa irgendeine Betrugsmasche zu verkaufen. Unter Romneys Neuzugängen finden sich unzählige Accounts, deren Namen offenbar wahllos Silben verbinden und deren Tweets kaum sinnvoll zu lesen sind.

Also haben Romneys Wahlkämpfer nachgeholfen? Eher nicht, glaubt Green, das sei viel zu auffällig. Mary Long schreibt auf mediabistro.com: „Es ist offensichtlich, dass die Follower gekauft wurden. Und es ist offensichtlich, dass Romneys Wahlkämpfer es nicht waren. Es sei denn, sie sind wirklich sehr, sehr schlecht in ihrem Job. Mal ehrlich, wie blöd müssten sie sein, um das zu tun?“ Wer dann? „Es ist wahrscheinlicher, dass jemand versucht, ihm diese Geschichte unterzujubeln, um ihn zu blamieren“, schreibt Green.

Zac Moffatt, digital director in Romneys Kampagne, hat die Gerüchte jedenfalls inzwischen entschieden zurückgewiesen. Man habe Twitter kontaktiert, um mehr Informationen über den plötzlichen Anstieg der Followerzahl zu erfahren, teilte er mit.

Gingrich vs. Palin: Twittergate

Allerdings wäre es auch nicht das erste Mal, dass ein Republikaner mit unlauteren Mitteln an seiner Twitter-Popularität schraubt – immer in dem Glauben, das hätte irgendeinen Vorteil: Ausgerechnet der dröge Newt Gingrich hatte mehr als doppelt so viele Follower im Vergleich zu Sarah Palin, dem krawallig-kurzweiligen Superstar der Tea-Party-Bewegung. Ein ehemaliger Mitarbeiter seiner Kampagne erklärte, es seien Follower gekauft worden. Die Suchmaschinenexperten von PeekYou schaute genau hin und kam zu dem Schluss, dass 92 Prozent der Gingrich-Follower Fake-Accounts waren (auch andere Politiker hätten jedoch nur zwischen 20 und 30 Prozent echte Follower, gegenüber 35 bis 60 Prozent bei anderen Twitter-Usern). PeekYou ging sogar so weit, selbst auf eBay einige Follower zu kaufen, um zu beweisen, dass dies möglich ist.

Ob wahr oder nicht: Allein die Vorstellung einer solchen Manipulation brachte Romney eine Welle äußerst amüsanter Spott-Tweets ein – die zu allem Übel auch noch viele andere Themen mit aufgriffen, die dem Kandidaten derzeit im Wahlkampf Probleme bereiten. Nur ein paar Kostproben:

Die Follower stammen aus China, Romney hätte sie lieber in den USA kaufen sollen

425.000 Follower geben ein Postfach auf den Cayman Islands als Adresse an

Die Kritik ist falsch: Die gekauften Follower schaffen doch neue Jobs

Michele Bachmann …

… oder Romney selbst in den Mund gelegt

 

Der Wahlkampf der Netzwerke

Anhänger mobilisieren, Spenden sammeln, Themen setzen: Als Barack Obama 2008 ins Weiße Haus einzog, hatte er das auch einem Wahlkampf zu verdanken, der wie kein anderer zuvor dafür die Möglichkeiten des Internets nutzte. Mit einer beispielgebenden Onlinekampagne aus der Werkstatt der Agentur Blue State Digital setzte der Präsidentschaftskandidat Maßstäbe, bei denen weder seine parteiinternen Mitbewerber noch sein republikanischer Gegner John McCain mithalten konnten. Nur ein paar Zahlen, um zu verdeutlichen, in welchen Dimensionen die Website barackobama.com und alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu Obamas Sieg beigetragen haben dürften:

  • 3 Millionen Spender brachten der Kampagne mit rund 6,5 Millionen einzelner Zahlungen gut 500 Millionen Dollar ein.
  • Mehr als 13 Millionen Menschen trugen auf der Seite ihre E-Mail-Adresse ein, um sich über die Fortschritte des Kandidaten auf dem Laufenden zu halten; sie erhielten mehr als 7.000 unterschiedliche Nachrichten, ganz zugeschnitten auf ihre Zielgruppe oder auch auf die Höhe ihrer Zuwendungen; insgesamt wurden mehr als zwei Milliarden E-Mails verschickt.
  • Mehr als zwei Millionen Anhänger legten auf der Seite ein Nutzerprofil an, schrieben mehr als 400.000 Blogeinträge, organisierten sich in mehr als 45.000 Freiwilligengruppen und verteilten mehr als 200.000 Veranstaltungshinweise.
  • Im Laufe der Kampagne verbrachten die Nutzer rund 14 Millionen Stunden damit, sich die mehr als 1.000 Videos auf YouTube anzusehen, die Obamas Wahlkampf zustande brachte.

Weil mittlerweile auch die Gegenseite dazugelernt und das Potenzial von Onlinekampagnen entdeckt hat, legt das Obama-Lager nun mit seinem Dashboard nach: Die neue Plattform, schon vor dem Launch als „Heiliger Gral“ des digitalen Wahlkampfs glorifiziert, bringt den Kandidaten noch näher an seine Anhänger heran. Vor allem aber hilft sie den unzähligen freiwilligen Unterstützern, sich untereinander zu vernetzen. Im Prinzip ist Dashboard eine Art Wahlkampf-Facebook mit hochentwickelten Funktionen. Die Anhänger können miteinander kommunizieren, die Aktivitäten anderer verfolgen, gemeinsam Veranstaltungen und Aktionen organisieren, sich Teams in ihrer Region anschließen, neue Unterstützer mobilisieren – egal ob vom Computer zu Hause aus oder unterwegs per Laptop, Tablet, Smartphone.

Aus Sicht der Anhänger gab es davon vieles bereits 2008. Doch die neue Social-Campaigning-Plattform ist nicht nur ein hilfreiches Werkzeug und eine kurzweilige, motivierende Spielerei für die Freiwilligen. Für die professionellen Obama-Wahlkämpfer ist es in erster Linie der Versuch, Online- und Offline-Aktivitäten zusammenzubinden. Denn besonders wertvoll sind diejenigen Helfer, die sich als lokale Teamleiter engagieren. Über sie dokumentiert das System alles, was vormals getrennt erfasst wurde: von gesammelten Unterschriften an einem Infostand bis zur Spende und ihrer Vorgeschichte. Jedoch fehlt in der neuen Version eine Möglichkeit, direkt online zu spenden, und die alten Accounts mitsamt bereits bestehenden Vernetzungen lassen sich (noch) nicht übertragen.

Letztlich ist Dashboard damit in erster Linie ein riesiger Datenpool und zugleich ein Mittel für die Kampagnenchefs, noch einmal stärker als bisher Einfluss auf und Kontrolle über die vielen kleinen Wahlkampfaktionen auf lokaler Ebene auszuüben. Das wird etwa deutlich mit der Funktion des Systems, die es erlaubt, für motivierte Aktivisten Ziele zu definieren, die es zu erfüllen gilt. Es geht also nicht nur darum, mehr über die Anhänger und ihre Aktivitäten zu wissen, sondern diese Aktivitäten auch stärker steuern zu können und schnelleres Feedback zu erhalten – immer mit dem Ziel, dass der online generierte und ausgedrückte Enthusiasmus auch auf der Straße seinen Widerhall findet. Die Stärke dieser Art Onlinekampagne ist dabei, dass sie On- und Offline eben nicht als zwei getrennte Welten betrachtet.

Arsenal an Spezialisten

Doch wie gesagt: Der technologische Vorsprung, den Obamas Kampagne 2008 zweifellos hatte, ist längst nicht mehr so überwältigend. Gegenspieler Mitt Romney setzt auf eine vielleicht nicht so weit entwickelte, aber doch sehr ähnliche Plattform: Über das Netzwerk MyMitt können auch seine Anhänger miteinander in Kontakt treten und sich für den Wahlkampf engagieren. Die Republikaner als Partei versuchen es über eine Facebook-App: Dank des Social Victory Center können sich Unterstützer dort ebenfalls direkt miteinander vernetzen. Doch was Obamas Internetwahlkampf so überlegen machte, waren nicht die Technik und die Dimensionen, sondern vielmehr, was die Kampagne aus der Interaktion mit den Anhängern zog, wie sie den Enthusiasmus kanalisierte.
Deshalb ist der interessanteste Teil nicht das Dashboard selbst, wie es sich den Nutzern darstellt. Viel spannender – und Details dazu halten Obamas Digitalstrategen unter Verschluss – ist die Auswertung und Steuerung. Was also passiert mit den detaillierten Daten über die Anhänger? Wie werden diese Informationen mit Umfrageergebnissen oder in bestimmten Regionen besonders wichtigen politischen Themen in Verbindung gebracht? Wie wird das Netzwerk genutzt, um ganz gezielt nach Region, Alter oder Lebenssituation Wahlwerbung zu schalten und Wähler zu mobilisieren? Dafür beschäftigt Obama mehr als 100 Statistiker, Experten für Data Mining, Meinungsforscher, Fachleute für gezielt verbreitete Internetanzeigen, ein ganzes Arsenal also an Spezialisten, deren Arbeit den Unterschied zur Konkurrenz darstellen könnte. Denn längst geht es nicht mehr allein darum, wer das meiste Geld für Werbung ausgibt. Die Kandidaten wissen: Jeder einzelne Wähler muss genau die Botschaft erhalten, die ihn veranlasst, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.