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Das intellektuelle Vakuum der Republikaner

Virtuelle Geschichte heißt ein Buch des renommierten britischen Historikers Niall Ferguson, der seiner Heimat und der Universität Oxford inzwischen den Rücken gekehrt hat. In den USA generell und an der Harvard-Universität fühlt er sich intellektuell ungleich wohler. In Virtuelle Geschichte spielt er mit Kollegen durch, wie die Welt aussähe, wären entscheidende historische Ereignisse nicht oder ganz anders eingetreten – etwa wenn Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte. Ein Fachbegriff dafür heißt auch kontrafaktische Geschichte, also Geschichte „entgegen den Tatsachen“.

Niall Ferguson (dpa)

Was das mit dem Wahlkampf in den USA zu tun hat? Abgesehen davon, dass die Beteiligten sich naturgemäß ebenfalls gern in dieser Disziplin versuchen? Ferguson gehört zu jenen Menschen, die mitunter offen Partei ergreifen für eine der beiden Seiten, in diesem Fall für die republikanische. Bei der vorigen Wahl war er Berater des Kandidaten John McCain. Er selbst hat sich einmal als „voll zahlendes Mitglied der neo-imperialistischen Bande“ bezeichnet. Nun durfte er in der Titelgeschichte des Magazins Newsweek ausführen, warum Barack Obama gehen muss und Amerika einen neuen Präsidenten braucht.

Zunächst einmal ist es legitim, wenn Ferguson fragt, ob Obama seine (ökonomischen) Versprechen eingehalten hat. Das tun viele, und nicht wenige sind enttäuscht. Doch mit seinem länglichen Stück „taucht Ferguson ab in eine Fantasiewelt nicht zutreffender und tendenziöser Fakten. Er versteht einfach alles falsch, wieder und wieder und wieder“ (Matthew O’Brien, The Atlantic). Die Kritik an seiner Argumentation ufert aus, es lässt sich kaum aufzählen, wie viele inhaltliche Fehler ihm politische Autoren und Schwergewichte des akademischen Betriebs vorwerfen. Selbst Fergusons Newsweek-Kollege Andrew Sullivan gelangt zu dem Schluss, das Stück sei dermaßen mit Fehlern, Auslassungen und Gedankensprüngen durchsetzt, dass er noch einige Beiträge brauchen werde, um sich mit allen zu beschäftigen.

„Fire his ass“

An der Spitze der Kritiker steht Paul Krugman, angesehener Ökonom, meinungsstarker bis egozentrisch-ätzender Kolumnist der New York Times und – der Vollständigkeit halber – nicht gerade freundlich den Republikanern gegenüber, aber im Grunde doch „ideologisch farbenblind“ (schrieb Michael Hirsch vor Jahren in Newsweek). Um Fergusons Artikel einen „unethischen Kommentar“ zu nennen, der eine Vielzahl von Fehlern und Entstellungen enthalte, unterbrach er sogar kurzerhand seinen Wanderurlaub (was Ferguson eher als Lob begreift). „Wir reden hier nicht über Ideologie oder auch nur ökonomische Analyse – es ist ganz simpel eine falsche Darstellungen der Fakten“, schreibt Krugman.

Fergusons Antwort auf Krugman hat wenig zur Auflösung der Vorwürfe beigetragen (Nachtrag: inzwischen hat er umfangreich nachgelegt), ist eher eine beleidigte Bekräftigung. Da liefern sich also zwei große Egos einen Schlagabtausch, könnte man meinen. Und sie tun es nicht das erste Mal; seit Jahren streiten diese beiden über Wege aus der US-Haushaltskrise. Doch längst zieht die Kritik weite Kreise und bringt den Historiker in Bedrängnis. James Fallows etwa schreibt bei The Atlantic unter der Überschrift „Als Harvard-Absolvent entschuldige ich mich„, Ferguson habe eine Geschichte geschrieben, die so nachlässig und wenig überzeugend sei, dass er sich frage, wie er sich überhaupt noch ein Urteil über die Arbeit seiner Studenten erlauben könne. Und der Ökonom J. Bradford DeLong (der sich als linken Neoliberalen bezeichnet), inzwischen an der University of California, Berkeley, früher unter anderem in Harvard, fordert sogar Fergusons Rausschmiss bei Newsweek („Fire his ass.„) und die Einsetzung eines Komitees in Harvard, das untersuchen solle, ob er moralisch noch geeignet sei, an einer Universität zu unterrichten.

Ferguson hat sich akademisch blamiert, das ist nur fair. Ärgerlich ist, dass ihm manch unbedarfter Leser dennoch glauben wird. Das eigentliche Problem der Republikaner ist ein anderes: John Cassidy (New Yorker) fragt sich zu Recht, wo in diesen Tagen die wirklichen Intellektuellen des konservativen Lagers abgeblieben sind. „Da müssen doch welche sein, aber manchmal scheint es so, als sei alles, was die Rechte zu bieten hat, ein Seifenkisten-Marktschreier wie (Vizepräsidenschaftskandidat) Ryan, ein Trio verbitterter Supreme-Court-Richter und ein paar knorrige Alte wie Bill Cristol, George Will und Charles Krauthammer, die in Washington zum Inventar gehören“, schreibt er. Nur angesichts dieses Vakuums sei es möglich, dass ein dynamischer und streitbarer „blow-in“ (Dahergelaufener, Zugereister) wie Ferguson als Obamas sichtbarster, wenn auch nicht überzeugendster Kritiker zutage treten könne.

Inzwischen hat Niall Ferguson ausführlich auf die Kritik geantwortet – Danke an @mrmoe_zfs für den Hinweis. Ich versuche, morgen noch einmal darauf einzugehen. (C.L.)

Nachtrag: Die umfangreiche Antwort Fergusons auf seine Kritiker hier im Detail noch einmal wiederzugeben, macht in meinen Augen wenig Sinn. Nur so viel: Einige der Punkte kann er nachvollziehbar abschwächen, über andere kann man weiter streiten. Darüber sollte sich jeder selbst ein Bild machen – mir ging es hier eher um die Darstellung der Debatte, in der ich selbstverständlich auch Position bezogen habe.

 

„Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten“

Country-Musiker Hank Williams jr. hat nie einen Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegen Barack Obama gemacht. Im vergangenen Jahr verglich er den US-Präsidenten in einem Interview mit Fox News ungeniert mit Hitler. Später veröffentlichte er einen Song, in dem er Obamas USA als Socialist States of America beschreibt. Während eines Auftritts in Iowa hat er nun erneut seiner Wut freien Lauf gelassen: „Wir haben einen muslimischen Präsidenten, der die Landwirtschaft hasst, der das Militär hasst, der die USA hasst – und wir hassen ihn!“, schrie der Sänger in die Menge. Dafür erntete er unbändigen Jubel.

Sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, erfordert wenig Intellekt: Williams‘ Äußerungen sind einfach populistischer Unfug. Gewinnbringender ist da schon die Lektüre eines Interviews mit dem Schriftsteller Paul Auster. Der ist durchaus ebenfalls unzufrieden mit Obama oder hat zumindest ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Politik, wenn er ihn auch weiterhin unterstützt. Gegen die konservativen Republikaner wettert er ohne Rücksicht. Aber wenigstens merkt man seinen Einschätzungen an, dass er nachgedacht hat. „Seine Politik ist nicht meine Politik, aber er ist mir verdammt viel näher als irgendein anderer, also stehe ich leidenschaftlich hinter ihm. Ich will verzweifelt, dass er gewinnt“, sagt Auster in dem Interview mit Salon über Obama. Aber: „Hat er mich enttäuscht? Natürlich hat er mich enttäuscht.“ Und weiter:

„Ich denke, er hätte die konservative Rechte ausbremsen können. Aber er hatte diese noble Vorstellung, alle zusammenbringen zu können, und er wusste nicht, dass er es mit Geisteskranken zu tun hat. Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten; sie sind genauso verrückt wie diese Leute. Sie wollen das Land zerstören, dass wir retten wollen. Und wissen Sie, sie tun das nicht mit Maschinengewehren und Bomben, sie tun es, indem sie geisteskranke Menschen wählen, die geisteskranke Gesetze machen, auf lange Sicht wird das genau so viel Schaden anrichten wie Bomben. (…) Ich bin für Obama, ich wünschte, er wäre anders, aber ich weiß, dass er unter den Umständen nicht anders sein kann. Jeder, der auch nur ein wenig weiter links stünde, hätte niemals eine Chance, die Wahl zu gewinnen. Also respektiere ich Obama. Aber ich denke, dass er eine merkwürdige doppelte Persönlichkeit besitzt: warm und kalt, mitfühlend und indifferent, hart und weich, alles zur selben Zeit. Und ich verstehe nicht wirklich, wer er ist.“

 

Obamas digitaler Vorsprung

Der Wahlkampf in den USA wird in nie gekanntem Ausmaß auch online ausgetragen. Mehr und mehr nutzen die Kandidaten digitale Tools, um sich an den traditionellen Medien vorbei direkt an die potenziellen Wähler zu wenden. Ihre Aktivitäten im Internet über einen Zeitraum von zwei Wochen Mitte Juni hat eine neue Studie  aus dem Project for Excellence in Journalism des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center untersucht. Mit dem Ergebnis: Barack Obama hat in dieser Hinsicht einen deutlichen Vorsprung gegenüber seinem Herausforderer Mitt Romney. Seine Kampagne ist auf fast doppelt so vielen Plattformen vertreten und postet viermal so viel Content wie das gegnerische Lager. Gleichzeitig ist auch die Resonanz darauf bei Obama wesentlich stärker: Im Schnitt doppelt so viele Menschen sehen, kommentieren und teilen seine Inhalte.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

  • Im digitalen Wahlkampf ist die Wirtschaft das Kernthema. 25 Prozent der Inhalte aus dem Romney-Lager beziehen sich darauf, 19 Prozent sind es bei Obama. Allerdings geht es bei Romney ausdrücklich um „Jobs“  fast doppelt so häufig, während sich Obamas Beiträge zu gleichen Teilen um Arbeitsplätze und eher grundsätzliche Wirtschaftsthemen drehen, etwa um die Notwendigkeit, in die Mittelklasse zu investieren, oder, warum die Wahl eine Entscheidung zwischen zwei ökonomischen Visionen ist.
  • Seit der Wahl vor vier Jahren hat sich die inhaltliche Agenda der Internetbeiträge gewandelt. Verschwunden sind demnach etwa Themen wie Veteranen, Landwirtschaft, Ethik, Irak oder Technologie. Dafür liegt ein neuer Schwerpunkt auf der Steuerpolitik. Und zwischen den beiden Lagern gibt es, was den Fokus anbelangt, weniger Überschneidungen als im vorigen Wahlkampf.
  • Die Kandidaten wenden sich stark dem Komplex Wirtschaft zu, bei den potenziellen Wählern liegt das größte Interesse aber offenbar in anderen Bereichen. So teilten die User Obamas Beiträge zur Einwanderungspolitik beispielsweise viermal so häufig wie jene zu Wirtschaftsthemen; bei Romney gab es unter anderem zur Krankenversicherung die meisten Reaktionen.

  • Die verschiedenen Kanäle sind für beide Wahlkampflager fast ausschließlich eine Einbahnstraße. Fast nie treten sie mit den Usern in einen Dialog, sondern sind offenbar nur an der Verbreitung ihrer Inhalte interessiert. Mitteilungen von Bürgern oder überhaupt von irgendjemandem außerhalb des Teams, beantworten, kommentieren oder teilen sie nur äußerst selten. Beispiel Twitter: Nur drei  Prozent der Tweets aus dem Obama-Lager waren Retweets externer Quellen. Bei Romney war diese Beobachtung sogar noch auffälliger: Während des zweiwöchigen Untersuchungszeitraums zählten die Forscher nur einen einzigen Retweet, das Original kam von Romneys Sohn Josh.
  • Die Websites der Kandidaten bleiben der Dreh- und Angelpunkt des digitalen Wahlkampfs. Die Autoren der Studie stellten fest: Selbst wenn jemand über ein soziales Netzwerk einsteigt, landet er meist früher oder später auf den Kandidatenseiten – um Geld zu spenden, sich dort in der Community anzumelden und als freiwilliger Wahlkampfhelfer zu registrieren oder um längere Beiträge zu lesen. Dass dies in voller Absicht passiert, zeigt etwa auch ein Redesign von Obamas Seite im Juli: Statt wie zuvor auf den YouTube-Kanal der Kampagne zu verlinken, sind die Videos nun direkt eingebunden, um die User nicht dorthin zu verlieren.
  • Obamas digitale Strategie ist viel stärker auf unterschiedliche Wählergruppen zugeschnitten als die von Romney. Wer etwa auf seiner Website einer von 19 Gruppen beitritt – etwa African-Americans, Latinos, Veterans/Military Families oder Young Americans –, erhält verstärkt dazu passende Inhalte. Romney hat nach Ende des Untersuchungszeitraums nachgezogen und bietet seiner Community jetzt 10 Gruppen an.