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Was mein Leben reicher macht

Dank des Umzugsservice dieser Zeitung nun im neuen Haus bei einer Tasse Tee beginnend mit dieser Rubrik die ZEIT zu lesen. Entspannung pur!

Susanne Buss, Schildow, Brandenburg

 

Was mein Leben reicher macht

Wir studieren beide Medizin. Und seit fünf Jahren trennt uns die Entfernung Wien – Tübingen. Jeden Abend um zehn Uhr treffen wir uns auf Skype. Doch nun haben wir es fast geschafft. Noch drei Monate, dann beginnen wir unser Praktisches Jahr im österreichischen St. Johann. Gemeinsam. Ich freue mich riesig!

Mareike Heidemeyer, Tübingen

 

Herzlichst

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Unterwegs in einem Zug des KiwiRail von Kaikoura nach Christchurch, Neuseeland, entdeckte ich durch Zufall dieses Wald-Herz. So still und herzlich wurde ich beim Zugfahren noch nie gegrüßt.

Walter Voser, Zürich

 

Schmusare, Krassissimo! Mein Wort-Schatz

Unsere Kinder sind zweisprachig aufgewachsen – mit einer genuesisch-italienischen Mutter und einem hamburgisch-deutschen Vater. Dabei haben sie beide Idiome kreativ zu einer hochkommunikativen Sondersprache kombiniert, die bei uns in der Familie »Italiesco« heißt. Sie hält so schöne Wortschöpfungen bereit wie Schmusare, die mediterrane, öffentlich-herzliche Version des in Deutschland bisweilen zurückhaltend ausgeübten Liebesbeweises. Italiesco hat auch den Vorzug, deutsche Adjektive bis in Regionen steigern zu können, in denen dem deutschen Superlativ selbst in seiner jugendlichen Version längst die Ausdrucksfähigkeit fehlt. Das ist natürlich irgendwie ungerecht, um nicht zu sagen: Krassissimo!

Axel Jürs, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Ich fahre wie so oft von Hanau nach Berlin, um übers Wochenende meine beiden Enkelkinder zu betreuen. Doch diesmal sollte die Zugreise eine ganz besondere werden, und ich nehme vorweg, dass ich als glücklichster Mensch in Berlin aussteigen werde. Ungefähr auf halber Strecke werde ich Zeugin, wie Bahnpolizei und Zugbegleiter einen jungen Mann umzingeln. Offenbar hat er keinen Fahrschein. Er kann sich zwar ausweisen, aber er schaut verschämt und hilflos auf den Boden. Der Ton der Beamten wird immer schärfer, und dann meint ein Zugbegleiter, dass der Mann an der nächsten Station von der Polizei abgeführt werden solle. Ich zögere einen Moment, denke an die vielen Flüchtlinge, die abgeschoben werden, und gehe wie von einer unsichtbaren Hand geführt zu der Gruppe. Ich sage, dass ich das Ticket bezahlen möchte. Alle schauen mich ungläubig an. Zugbegleiter und Polizei besprechen die neue Situation – und akzeptieren. Da ein Zugbegleiter meint, den jungen Mann bereits ab Würzburg gesehen zu haben, und da er nach Berlin möchte, »darf« ich 131,50 Euro bezahlen. Der junge Mann bedankt sich bei mir und setzt seine Fahrt fort, er findet einen Platz auf dem Boden im Türbereich. Bald kommt eine junge Frau auf mich zu und lobt mein Handeln. Schon kommt eine zweite Frau und preist meine Tat als Zivilcourage. Mit Tränen in den Augen geben mir beide je einen 10-Euro-Schein. Eine dritte Frau spricht mich an und betont, dass sie aus meiner Tat gelernt habe, nicht schweigend zuzusehen, wie man mit Fremden umgeht. Ich sei gar ein Engel, behauptet ein Mann, der hinter mir sitzt und den ich vorher gar nicht bemerkt habe, er reicht mir einen 20-Euro-Schein. Eine sehr junge Frau fragt verschämt, ob ich fünf Euro annehmen würde, mehr könne sie nicht aufbringen. Am Ende habe ich die Hälfte des Ticketpreises beisammen. Als ich in Berlin aussteige, habe ich das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu wollen.

Rina Nentwig, Erlensee, Hessen

 

Willkommen

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Bei meinem letzten Besuch in Österreich, meiner alten Heimat, gab mir meine Mutter diesen Brief, den sie beim Aufräumen entdeckt hatte. Einst hatte sie ihn von ihrer damaligen Heimatgemeinde zu meiner Geburt bekommen. Zum einen finde ich das Amtsösterreichisch immer wieder schön. Aber ich frage mich auch, wie sich meine Mutter damals gefühlt haben muss: Meine Eltern waren drei Jahre zuvor aus den Niederlanden nach Österreich gezogen. Heute finde ich es amüsant, weil ich selbst seit fast 25 Jahren in Deutschland lebe – immer noch mit niederländischem Pass.

Milou Tönneßen, Bornheim-Roisdorf

 

Was mein Leben reicher macht

Wogende Ähren. Und nun nach der Ernte: Stoppelfelder mit großen Strohballen vor blauem Himmel. Deutschland wird einfach unterschätzt!

Felicitas Kählitz, Lübeck

 

Geldverkehr

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Mit meinen fast achtzig Jahren fange ich endlich an, aufzuräumen. Dabei fiel mir mein uraltes Postsparbuch in die Hände. Ich blätterte darin, und ich entdeckte: Nach der Einzahlung von drei Mark im Juli 1953 hob ich nur wenige Tage später zwei Mark wieder ab! Was bewog mich damals dazu? Was war für zwei Mark so Wichtiges anzuschaffen? Oder wollte ich nur dem Postbeamten die Macht des Besitzenden demonstrieren? Ich weiß es nicht mehr. Aber wundern tut es mich heute noch!

Rainer Senkbeil, Zell an der Mosel

 

Kopf und Kragen

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In unserer Foto- und Erinnerungskiste gibt es viele Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg: Briefe, die mein Vater an seine Verlobte (später: meine Mutter) geschrieben hat, außerdem Ansichtskarten, ab Ende 1914 ganz aktuell auch mit Kriegsruinen: Lyck, Bialla, Mühlen, Petrikatschen, Stallupönen, Wartenburg, Allenstein. Ganz eigener Art aber ist diese »Postkarte«, für die er auf der Fahrt von seinem Heimatort Bochum zu seinem Gestellungsort Lötzen beim Umsteigen in Berlin in der Eile und in Ermangelung von Schreibpapier seinen steifen Stehkragen durchschnitten hat. Als Kind war ich von dieser Absonderlichkeit fasziniert, erst später hat mich ihre Symbolhaftigkeit berührt. Der Postbote, der zunächst »St(rafporto) 20 (Pfennig)« notiert, sich dann aber korrigiert hat, war offenbar noch nicht auf Feldpost eingestellt.

Marianne Muthmann-Friemann, Bochum