Lesezeichen
 

Was mein Leben reicher macht

Der Blick unserer fünfjährigen gehörlosen Adoptivtochter, wenn sich der Papa nach dem noch etwas undeutlichen Ruf »Baba« tatsächlich zu ihr umdreht. Bis vor einem Jahr hat sie in völliger Stille in einem Kinderheim in Haiti gelebt. Jetzt lernt sie dank eines Implantats langsam Hören und Sprechen. Innigsten Dank allen, die uns dreien das ermöglicht haben.

Katinka Jäger, Mühlhausen bei Heidelberg

 

Was mein Leben reicher macht

Im Nachbardorf steht seit einiger Zeit ein einzelner Schuh auf einem Stromkasten. Sonne, Wind und Regen lassen ihn ausbleichen. Ich denke: »Der findet seine bessere Hälfte wohl nicht mehr!« – und was sehe ich heute? In dem Schuh steckt ein Strauß aus Kornblumen und Margeriten! Man kann auch ganz alleine aufblühen …

Vita Meyer zu Hörste, Altmark, Sachsen-Anhalt

 

Muckefuck: Mein Wort-Schatz

Das erste Wort beim Großelternbesuch: »Willste ’n süßen Kaffee?« und dann eilte Opa zum Herd und bereitet mir einen Becher Muckefuck zu, mit drei löffeln Zucker, mindestens. Diesen Ersatzkaffee gab es unter der Woche – den guten, teuren Bohnenkaffee nur sonntags. Aber wehe, wenn man dann sparsam war. Die gestrengen Tanten äugten in die Sammeltassen. Konnte man auf dem Boden durch den Kaffee hindurch das Blumendekor erkennen, gab es ein entrüstetes Schnauben. Das war dann Blümchenkaffee. Sammeltassen gibt es heute nur noch auf dem Flohmarkt. Und im Zeitalter von Latte Macchiato und Cappuccino führt der Muckefuck ein Schattendasein. Eine Geschäftsidee: der Muckefuck to go!

Marion Birkenfelder-Linn, Essen

 

Die Kritzelei der Woche

s74-kritzelei

Diese Kritzelei entstand vor gut zwei Jahren. Ich saß mit meinen Kollegen in unserem letzten Team-Meeting. Kurz zuvor hat unser Arbeitgeber – per Mail – mitgeteilt, dass rund hundert von uns Mitarbeitern nicht mehr gebraucht werden. Das kam sehr überraschend, und wir waren wütend und enttäuscht, so abserviert zu werden. ich kritzelte einen Vormittag lang nur auf meinem Block herum.

Später habe ich dann einen Arbeitsplatz bei einer anderen Bank gefunden und bin darüber sehr glücklich. Als Frau über 40 hatte ich nämlich spontan die Befürchtung, vielleicht gar keinen neuen Job mehr zu finden. Die Kritzelei habe ich aufgehoben, um mich ab und an daran zu erinnern.

Katharina-Anette Zander, Ahlen

 

Zeitsprung: Alles beim Alten

s74-zeitsprung-2010 s74-zeitsprung-2013

Üblicherweise leben die Bildpaare auf dieser Seite von Veränderungen. Hier aber hat sich kaum etwas verändert. Beide Bilder stammen aus der italienischen Provinzstadt l’Aquila, das eine vom Juni 2010, das andere aus dem vergangenen Mai. Sie zeigen ein Haus, das in der Erdbebennacht vom 9. April 2009 zerstört wurde. Damals starben 308 Menschen, fast 34 000 Bewohner von l’Aquila wurden obdachlos. Politiker versprachen einen raschen Wiederaufbau… Viele Betroffene leben heute in neu errichteten Siedlungen von einstöckigen Holzhäusern, welche sich um die umliegenden Dörfer und Städte formieren. l’Aquila gibt es nicht mehr.

Bernd Riedmüller, Aalen-Wasseralfingen

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich mitten in der Nacht wach werde und meine Frau ruhig neben mir atmet, dann freu ich mich, dass wir nach 40 Jahren Ehe immer noch zusammen sind und sich keiner von uns beiden über Nacht still und heimlich »davongemacht« hat.

Günther Schmitt, Saarbrücken

 

Was mein Leben reicher macht

Ich, Endachtzigerin, genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Terrasse. Meine Katze Mimi setzt sich auf einen Baumstamm dicht bei und – genießt mit. Aber der Wind ist doch etwas kühl, ich stehe auf und sage: »Mimi, jetzt gehen wir in den Wintergarten.« Sie erhebt sich. Ich bin wieder einmal glücklich über unsere Zweisamkeit.

Traute Range, Westerstede, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Im Spreewald in einem Kahn auf einem der unzähligen Wasserarme dahinzugleiten: hohe Bäume, Sonnenscheinglitzer, Stille, Vogelsang von allen Seiten, Wasserplätschern, und dann wieder Stille, absolute Stille, wie in einer anderen Welt.

Ulrich Viefhaus, Ostfildern