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Was mein Leben reicher macht

Monatsanfang, und ich bin schon fast pleite. Statt sauer zu sein, wie ich es befürchtet habe, schickt mir mein Papa ein Carepaket in die WG. Es besteht hauptsächlich aus Sekt und Wein – damit ich auf den Semesteranfang anstoßen kann. Weinhändlerpapas sind eben doch die besten!

Valerie Böhm, Düsseldorf

 

Opas Taschenuhrdeckel

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Nach dem Tod meiner Mutter begann das Aussortieren, Wegwerfen und Behalten. Sie besaß eine große Knopfsammlung. Als ich diese langsam in einen Müllsack rieseln ließ, fiel mir ein schwärzlicher, runder »Knopf« ohne Löcher auf. Ich nahm ihn und säuberte ihn. Er entpuppte sich als der silberne hintere Deckel einer Taschenuhr. Darauf fand sich der Name meines Großvaters Leonhard Boschet und  eine Jahreszahl: 1879. Vielleicht das Jahr seiner Konfirmation? Leider weiß ich wenig von meinem Großvater, nur dieses Erinnerungsstück besitze ich jetzt. Ich trage es als Halsschmuck.
Hilde Brust, Nordheim

 

Nur mit der Ruhe

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Auf der Fahrt durch ein friulanisches Bergdorf musste ich kürzlich anhalten und warten. Der Grund: Ein stolzer Hahn querte ganz gemächlich die Fahrbahn. »Jetzt bin ich an der Reihe!«, schien sein Gang zu sagen. Und ich dachte mir: »Hast ja recht, du Federvieh! So viel Zeit muss sein.«
Karl Brunner, Klagenfurt, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Unser Enkel Dorian ist vier. Auf einem Gartenfest langweilt er sich furchtbar. Endlich postiert er sich vor einer alten Dame und fragt sie laut: »Sag mal, wie alt bist du?« – »101 Jahre alt bin ich, mein Kind!«, antwortet die Dame. Und unser Enkel darauf, bewundernd und voller Ehrfurcht, denn er kennt sich aus, seit wir ihm  Otfried Preußler vorgelesen haben: »Dann bist du ja eine Hexe!« Die Umstehenden halten den Atem an. Die alte Dame aber sagt nur: »Ja sicher! Und ich bin eine ganz junge Hexe!«

Hedi Ibendahl, Oldenburg

 

Was mein Leben reicher macht

An einem sonnigen Frühlingstag mit meinem Freund auf einer Bank in Stralsund sitzen, aufs Wasser hinausschauen und Fish and Chips aus einer Tüte essen. Unsere Klamotten sind bekleckert, unsere Hände sind beschmiert, aber wir sind glücklich.

Sarah Gerlach, Köln

 

Aus meinem Garten

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Die Mimosen blühen in unserem Garten in Südfrankreich. Endlich Sonne: warm im Rücken und leuchtend gelb im Auge. Wunderbar!
Cornelia Schmidt zur Nedden, Frankfurt am Main

 

Was mein Leben reicher macht

Freitagnacht im Wohnzimmer mit unserer 50-jährigen Freundin zu elektronischen Beats zu tanzen, bis der Vermieter von oben klopft. Dabei würde unsere Freundin wahrscheinlich lieber die Amigos hören – und der Vermieter auch.

Irina Straßheim, Burg Stargard, Mecklenburg-Vorpommern

 

Klassische Lyrik, neu verfasst

Die totgesagte frau
(nach Stefan George, »Komm in den totgesagten park«)
Schau sie dir an, die totgesagte frau:
Ihr fernes lächeln zeugt von jenen tagen,
Da sie – so jung, und blond statt grau –
Ihr los auf sich nahm, ohne viel zu klagen.
Nimm ihren mut (ja, doch, er ist noch ganz,
Bei ihrer krankheit braucht sie ihn erst recht).
Dann küsse sie und flicht ihr einen kranz.
Ein bisschen zärtlichkeit: es wärmt sie echt.
Vergiss nicht, ihr von deiner zeit zu geben,
In ihrem alter hat sie so viel nicht.
Doch auch was übrig bleibt von ihrem leben,
Es schimmert hell in ihrem herbstgesicht.
Elfie Riegler, Genf, Schweiz

 

Zeitsprung

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Im Mai 1963 wurden wir in der Evangelischen Kirche von Breithardt im Taunus konfirmiert, konnten also kürzlich goldene Konfirmation feiern. Und wir schätzen uns glücklich: Alle Konfirmanden von damals leben noch, und alle, die geheiratet haben, sind noch mit demselben Partner zusammen. Wie vor 50 Jahren stellten wir uns neben der Kirche auf und fragten uns dabei, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Also: In der Mitte, wo früher ein Pfarrer stand, steht jetzt eine Pfarrerin. Der große Baum im Hintergrund ist nicht mehr da. Das Schulgebäude links steht noch, wird aber nicht mehr als Schule genutzt. Die Fachwerkscheune wurde abgerissen; an ihrer Stelle steht nun ein Gemeindezentrum. Die Kirche hat neue Fenster und ein neues Dach bekommen. Am meisten haben wir uns, am wenigsten hat sich der mehr als tausend Jahre alte Kirchturm verändert.

Roland Ziss, Wiesbaden