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Was mein Leben reicher macht

In der Ausstellung Im Farbenrausch – Munch, Matisse und die Expressionisten im Essener Folkwang Museum betrachte ich die Dekorative Figur von Henri Matisse aus dem Jahre 1908. Sie stellt eine überaus reizvolle Frau mit selbstbewusstem Auftreten dar. Eindringlich blickt sie mich an.

Jörg Mirbach, Essen

 

Die erste Liebe

Würzburg 2012: Ich warte am Bahnhof auf einen Zug und komme mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der zu seinem 50-jährigen Abi-Jubiläum fährt. Er trägt ein Hörgerät und merkwürdige Socken aus Naturwolle, aber seine Bewegungen und sein Lächeln lassen mich an jemand denken, den ich früher gut kannte.

Würzburg 1966: Uns gegenüber zog ein Medizinstudent ein, in den ich mich voller Inbrunst verliebte. Als ihn sein Vater nach einer nicht bestandenen Prüfung zum Studium nach Kiel beorderte, folgten Briefe und ein (heimlicher) Besuch meinerseits in Kiel. Als ich später nach Hamburg zog, besuchte auch er mich noch einmal, dann verloren wir uns aus den Augen. Würzburg 2012: Als ich am Bahnhof neben ihm saß, wagte ich nicht zu fragen. Doch Gott sei Dank gibt es heute das Internet. Schnell habe ich den Doktor gefunden. Ich rufe ihn in der Praxis an. Er kommt an den Apparat. Er ist es. Er hat mich nicht erkannt. Wir haben uns verändert in 46 Jahren. Wie schnell unsere Zeit auf dieser Erde vergeht. Nie habe ich es so deutlich gespürt. Doch gleichzeitig spüre ich ein sehr warmes Gefühl.

Elisabeth Conrad, Würzburg

 

Bankers Erntedanklied

(Nach Matthias Claudius, »Wir pflügen und wir streuen«, zu singen nach der Melodie: Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. 508)

Wir lügen und wir streuen
euch Sand in das Gesicht;
dass wir das je bereuen,
glaubt ihr wohl selber nicht.
Das wird sich auch nicht ändern,
Frau Merkel hat’s erkannt:
Wir sind in allen Ländern
so wirtschaftsrelevant!
Alle gute Gabe schenkt uns die Politik,
drum dankt ihr, dankt, drum dankt ihr, dankt;
sie sichert unser Glück!

Sie macht aus jeder Pleite
für uns doch stets Gewinn;
hielt gestern und hält heute
uns Rettungsschirme hin.
Geld, das wir gar nicht haben,
vermehrt sie ohne Zahl.
Wir können uns dran laben,
denn uns fehlt die Moral.
Alle gute Gabe schenkt uns die Politik,
drum dankt ihr, dankt, drum dankt ihr, dankt;
sie sichert unser Glück!

Daniela Daniels, Meppen

 

Laufmaschenreparaturannahmestelle: Mein Wort-Schatz

Ich sammle seit vielen Jahren Begriffe – alte, neue, ärgerliche, bildhafte … – und habe schon Etliches beisammen. Vor ein paar Wochen fiel mir beim Gang durch das Städtchen Altenahr ein leider demolierter Strumpfautomat an einer Hauswand auf (Einwurf 3 x 1,–). Gleich kam die Erinnerung an die »Damenstrumpf-Revolution« Anfang der sechziger Jahre hoch. Vorher waren »Nylons« so teuer, dass kaputte Strümpfe sofort zu einer Laufmaschenreparaturannahmestelle gebracht wurden. Tempi passati!

Rolf Reinert, Bornheim, Nordrhein-Westfalen

 

Das ist mein Ding

Mein Ding ist diese zerbeulte Milchkanne mit Kindheitserinnerungen aus den fünfziger Jahren. Darin holten wir Milch vom Wagen, der zuerst noch mit Pferd kam, später war es das Auto. Wenn unser Hauswirt schlachtete, bekamen wir Wurstbrühe darin. Mühsam war es, die Kanne voll Bickbeeren (Blaubeeren, Heidelbeeren) zu sammeln. Heute steht sie im Küchenregal, gefüllt mit Dinkel.

Barbara Borgfeldt, Friedrichshafen

 

Was mein Leben reicher macht

Reisetee; das ist so eine Art Zaubertrank aus Darjeeling mit etwas Zucker und Zitrone, den nur meine Frau zubereiten kann. Er ist mir bei langen Autofahrten unentbehrlich.

Peter Haas, Teningen, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Die Stimmen der Kraniche und Gänse. Ich finde, es ist eines der schönsten Geräusche, sie über uns hinwegziehen zu hören. Wenn ich sie am Himmel gen Süden fliegen sehe, rufe ich ihnen »Gute Reise« zu.

Christiane Allermann, Tarmstedt, Niedersachsen

 

Zeitsprung

Wir heirateten im August 1962. Das Foto links entstand am Ende der Festlichkeit. Danach klappten wir die Fronttür zu und fuhren auf »Hochzeitsreise« (es waren drei Tage am Chiemsee). Zur goldenen Hochzeit in diesem Jahr bescherten uns unsere Kinder eine gelungene Überraschung: Wir durften eine Spazierfahrt in der Isetta machen, die einem Freund unserer Tochter gehört. Als Dankeschön an den Besitzer des Oldtimers haben wir unser 50 Jahre altes Hochzeitsfoto noch einmal nachgestellt. Die Veränderungen – vor allem am Bräutigam – sind allerdings nicht zu leugnen …

Giselbert und Gertraud Kosmala, Friedberg/Bayern

 

Was mein Leben reicher macht

Nachdem wir auf Reisen oft von der Hilfsbereitschaft der Einheimischen profitiert hatten, hielten wir unsere Töchter (11 und 13 Jahre) an, sich umgekehrt entsprechend zu verhalten: »Denkt daran, ihr seid überall Botschafter eures Landes!« Eines Tages sahen wir – unterwegs auf Mallorcas Straßen – einen Igel, der sich angesichts der drohenden Gefahr zusammenrollte. Ich bremste, stieg aus und beförderte das Tier aufs angrenzende Feld. Da tönte es von den hinteren Sitzen: »Und sag ihm, dass wir Deutsche sind!«

Konrad Multmeier, Mönchengladbach