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Was mein Leben reicher macht

Wegen einer Operation bin ich 200 Kilometer von meiner Familie entfernt. Ich fühle mich einsam und bin aufgeregt. Plötzlich öffnet sich die Tür meines Krankenzimmers. Meine 19-jährige Tochter spaziert lächelnd herein. Sie hat sich mithilfe einer Mitfahrzentrale zu mir auf den Weg gemacht. »Ich bleibe bei dir, bis du in den OP kommst«, sagt sie. Sie hat das mit dem Rest meiner Familie abgesprochen, damit ich nicht alleine bin. Danke!

Britta Petrik, Cochem

 

Das ist mein Ding

Diese Taschenuhr erinnert mich an meinen Großvater. Die Kette wurde aus dem Haar meiner Großmutter geflochten. Für mich, aufgewachsen am Ende des Zweiten Weltkriegs in einer zerbombten Großstadt, waren die Besuche bei den Großeltern immer ein ganz besonderes Erlebnis: eine friedliche Idylle auf dem Lande. Und wenn Großvater lamentierte, dass das Ziffernblatt in der Schlacht bei Tannenberg beschädigt worden war, bekam er zur Antwort: »Sei dankbar, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist!«

Gerold Greiff, Linkenheim-Hochstetten, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Als angehende Studentin in einer fremden Stadt urplötzlich die vertraute Silhouette eines Laser-Seglers auf dem Aasee zu erblicken, der im Abendlicht eine mehr oder weniger elegante Am-Wind-Kenterung hinlegt. Ich erinnere mich an meine Zeiten auf dem Wasser und gehe mit einem Lächeln weiter.

Katharina Glenz, Münster

 

Mein Wort-Schatz

Wer geht denn noch fürbass? Dieses Wort ist schon lange von »eilen, hetzen, jagen, walken, biken, skaten« und Ähnlichem verdrängt. Wie wohltuend kann dagegen das langsame Gehen oder Schlendern auf einem Wege sein, wenn man sich Zeit zum Schauen und Nachdenken nimmt! In freier Natur oder vor allem am Strand – hier dann barfuß – empfinde ich jenes alte Wort als einen kleinen Schatz.

Karl-Josef Mewaldt, Buxheim (Schwaben)

 

Was mein Leben reicher macht

Mit meinem Partner Michael über das Land zu fahren und an Feldwegen Äpfel und Birnen zu pflücken. An einem Baum hängen in unerreichbarer Höhe große, verlockende Birnen. Michael hebt mich hoch, und ich klettere durch das Geäst, um ihm die Birnen zuzuwerfen. Als ich herunterklettere, sagt er: »Lass dich einfach fallen!« Es ist schön, von ihm aufgefangen zu werden.

Sylvia Ballhause, Leipzig

 

Was mein Leben reicher macht

Der Kranichzug an einem sonnigen Herbsttag: Hunderte von Vögeln in charakteristischer Formation, jeder im Windschatten des vorigen und einer, der das Tempo vorgibt.

Rita Herber, Bad Camberg, Hessen

 

Widerrede

(Nach Rainer Maria Rilke, »Herbsttag«)

Herr: gib mir noch Zeit. Den Sommer lass ich
ungern los.
’nen Schatten brauch ich höchstens in der Kur,
und auf den Fluren stör’n die Winde nur.

Befiehl den Gärten, dass sie uns weiterhin
erfreu’n;
schenk uns noch viele südlichere Tage.
Und das Rot der Kapuziner, es trage
noch weit in dieses Jahr hinein.

Wer jetzt schon auf die Leichtigkeit
verzichten muss,
wird unbeweglich werden, voll Verdruss.
Und wird auf seinem Tablet rastlos hin und her
bei Google, Facebook, YouTube kreuz und quer
nach Leben suchen, wenn die Blätter fallen.

Ute Schwarting, Plüderhausen, Baden-Württemberg

 

 

Was mein Leben reicher macht

Im Bus. Ein kleiner Junge zeigt auf mich und fragt seine Mama: »Du, ist das ein Fremder?« – »Ja, das ist eine fremde Frau.« Da strahlt mich der Kleine fröhlich an, stellt sich als Vincent vor und fragt mich, ob ich sein Freund sein will.

Sarah Kniep, Hannover

 

Futschikato: Mein Wort-Schatz

Ist etwas futschikato, ist es nicht so profan kaputt, nicht so hart zerstört, nicht so endgültig beschädigt und nicht so technisch defekt. Ein kindliches Schulterzucken liegt in dem Wort, über etwas, was nicht mehr ist und sich nicht ändern lässt. Ein bisschen Leichtigkeit im Augenblick des Verlustes. »Futschikato« tut gut!

Birte Surborg, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Neulich empfing mich meine Mutter (85) mit den Worten: »Heute habe ich einen Al-Kaida-Kürbis gekauft. Ich will eine Kürbissuppe kochen!« Erst schaute ich verdutzt, dann musste ich lachen: »Na, dann pass mal auf, dass dir nicht der Kochtopf explodiert!« Gemeint war natürlich ein Hokkaido-Kürbis; meine Mutter hatte sich den japanischen Namen nicht mehr so genau merken können. Die Suppe allerdings – verfeinert mit Apfelsaft, Kokosmilch, Curry, Ingwer und Chili – schmeckte uns ganz hervorragend!

Angelika Krieser, Berlin