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Was mein Leben reicher macht

Mein Sechsjähriger, der mich vor Weihnachten fragt: »Mama, wie alt bist du?« Erwachsen und argwöhnisch frage ich zurück: »Warum willst du das wissen?« Seine Anwort: »Ich wollte nur wissen, wie viele Weihnachten du schon hattest.«

Birgit Setz, Mainz

 

Regenbogenpresse: Mein Wort-Schatz

Ich bin nicht sicher, ob mein Lieblingswort schon bei Ihnen erschienen ist. Jedenfalls ist Regenbogenpresse wirklich aktuell: Da gaukeln die bunten Seifenblasen zu Skandalen und Skandälchen mal wieder durch den Medienwald, bis die raue Wirklichkeit der Journalisten dem gläubigen Publikum alle Regenbogenträume platt walzt.

Susanne Privat, Bonn

 

Kunststoffstoßstange: Mein Wort-Schatz

Es gibt ein Wort in der deutschen Sprache, das jedem Autofahrer geläufig sein sollte, spätestens wenn er beim Ein- oder Ausparken auf ein anderes Fahrzeug auffährt: Kunststoffstoßstange! Richtig flüssig geht das nicht von der Zunge, und ein Ausländer – besonders aus dem spanischen oder englischen Sprachraum – wird bei der Aussprache auf große Schwierigkeiten stoßen. Vielleicht sollte man daraus ein Silbenkurzwort formen, etwa »Kustostosta« oder noch kürzer »Kusta« – wie »Azubi« für »Auszubildender«.

Gerhard Bauer, München

 

Zeitsprung

1950

2009

1950 lebte ich als Erstklässlerin mit meinen Eltern in Berlin. Ein großes Ereignis in diesem Jahr war unser Familienurlaub in Oberhof, Thüringen. Als wir fast 60 Jahre später auf einer Fahrt nach Berlin überraschend eine neue Route wählten und das Ortsschild »Oberhof« auftauchte, stand mir sofort wieder das Bild vor Augen, wie ich damals auf einem Bronze-Hirsch in der Ortsmitte reiten durfte. Wir fuhren nach Oberhof hinein und fanden das Denkmal unverändert vor. Ich wagte es nicht mehr, mich auf den Rücken des Tieres zu setzen, aber die Erinnerung an glückliche Kinderferien vor fast sechzig Jahren war sehr schön!

Sabine Enders, Tübingen

 

Was mein Leben reicher macht

Mit der S-Bahn bin ich auf dem Weg in den Berliner Südosten. Irgendwann steigt eine junge Frau mit ihrer vielleicht zweijährigen Tochter ein und setzt sich in meine Nähe. Die Kleine kann kaum zwei Wörter aneinanderreihen, aber als ein alter Mann zusteigt, ruft sie zu ihm hinüber: »Hallo, Onkel, freier Platz!«, und zeigt auf den Platz neben sich. Leider hört es der Mann nicht. Wie gern wäre ich wie er gerade erst eingestiegen!

Anne Schäfer, Berlin

 

Wiedergefunden: Der Leihschein


Januar 1946 – genau ein Jahr zuvor hatten wir unsere Heimat in Westpreußen verlassen müssen. Auf vielen Umwegen waren wir in Bad Pyrmont gelandet. Wir besaßen kaum etwas, wurden selten satt und froren erbärmlich in diesem langen kalten Winter. Unser Mittagessen durften wir uns täglich in einer Suppenküche abholen – mit einer Terrine, aus der wir auch alle aßen. Da freuten wir uns, als wir einen Brief vom Wohnungsamt erhielten mit einer Adresse, bei der wir uns drei Teller (leihweise!) abholen durften. Nach langem Klingeln wurde uns die Haustür geöffnet. Wortlos las man unsere Bescheinigung und drückte uns – ebenso wortlos – drei tiefe Teller mit den eingetrockneten Resten von Erbsensuppe in die Hand. Ich war damals acht Jahre alt und habe mich sehr geschämt. 54 Jahre später fanden wir die Bescheinigung im Nachlass meiner Mutter. Die drei Teller standen noch wohlbehalten in ihrem alten Küchenschrank.

Karin Hampe, Hann. Münden

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn im Winter die Saatkrähen als munterer Schwarm schräg über unser Haus zu ihrem Nachtquartier fliegen, nachmittags um vier, und sie im blassrosa Himmel langsam meinen Blicken entschwinden, dann beneide ich sie um ihr entferntes Ziel und ihre Gemeinschaft. Morgen warte ich wieder auf sie.

Elke Langmann, Augsburg

 

Was mein Leben reicher macht

Mittagspause in der Praxis. Kurz zum Essen nach Hause fahren mit dem neuen Auto. Tornadorot. Ein paar Hundert Meter vor der Haustür stehen Jan und Roman an der Straße, zwei Jungen aus der Nachbarschaft, zwölf Jahre, Klassenkameraden meiner Tochter. Also: rechts ran, Türen auf und rein mit den Jungs. »Geile Karre«, meint Jan. Danach männerübliches Schweigen. Erst fahre ich Jan bis direkt vor die Haustür, dann Roman. Er zögert kurz beim Öffnen der Tür und fragt dann: »Wollen wir nicht Du sagen?«

Matthias Warlich, Detmold

 

Verzweifelt

(Nach Friedrich Nietzsche, »Vereinsamt«)

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt …

Ganz gut, ganz nett! Doch kanns nicht sein!
Denn Krähen werden dort nicht satt.
Es warn wohl eher Dohlen?
Nächstens, gell, wolln wir uns Bioinfos holen!

Und was heißt »schwirren« oder »schrein«?
Wir wolln nicht allzu pinglig sein,
doch auch ein Nietzsche kann sich irren!
Mensch, Friedrich, das heißt »krächzen«!
Und dieses lahme Flügeln nennst du »schwirren«?
Das tun die Kolibris, von mir aus Tauben.

Dann dieses selbstmitleidge Ächzen!
Das kann sich heute keiner mehr erlauben.
Jetzt jammert er, weil er nur pennte,
statt zu malochen. Mit Philosophie
und Versen wird man zwar Genie,
doch langt’s noch lange nicht zu einer Rente.
Also noch einmal, aber richtig!
Mach das Gedicht, wie soll ich sagen, dichtig!

Meino Naumann, Oldenburg

 

Rückwärts: Mein Wort-Schatz

Als Kinder sprachen und lasen wir Wörter rückwärts, kichernd und mit Freude am Kauderwelsch. Wir hüpften rückwärts mit Kribbeln im Bauch. Heute hat »rückwärts« eine andere Bedeutung für mich. Seit dem Tod meines Mannes, mit dem ich in einer liebevollen vierzigjährigen Ehe lebte, ist mein Denken und Fühlen rückwärts gewandt. Ich werde rückwärts gelebt und treibe steuerlos, in assoziativer Verkettung, durch die Erinnerungen. Und bemerke, wie im Aushalten und Durchleben des Abschieds ein winziges Vorwärts durchschimmert.

Martha Böttger, Witzwort