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Was mein Leben reicher macht

Während Viertklässler versuchen, eine alte Zeitung aus dem Jahre 1916 im Original zu entschlüsseln, bittet mich ein Erstklässler darum, diese Zeitung hinterher geschenkt zu kriegen. Auf meine Frage, ob er denn schon lesen könne, antwortet er: »Noch nicht. Aber bald.«

Edelgard Wilms, Eddigehausen, Niedersachsen

 

Straßenbild: Achtung


Es gibt den Corcovado in Rio, das Matterhorn in der Schweiz, das Monument Valley in den USA und was weiß ich noch, was man bestaunen kann. Aber wenn man mal auf der Autofahrt zwischen Bargteheide und Bad Oldesloe (das liegt in Schleswig-Holstein) in die Gegend guckt, gibt es mindestens genauso schöne Dinge zu sehen. Allerdings: Anhalten sollte man schon, an die Seite fahren und beim Aussteigen vorsichtig sein – sonst war es das Letzte, was man im Leben gesehen hat.

Dietrich von Horn, Bargteheide

 

Was mein Leben reicher macht

Neulich vor einem Möbelhaus. Ich habe mir ein Auto mit Hybridantrieb ausgeliehen, um die notwendigen und die überflüssigen Dinge nach Hause zu fahren. Als ich ausparke, versuchen neben mir ein Mann und seine Frau die viel zu langen Regalteile in ihr kleines Auto zu wuchten. Und als ich mit dem Wagen lautlos wie ein Fisch aus der Parklücke gleite, lassen sie alles liegen und stehen. Ich sehe sie im Rückspiegel mit großen Augen fassungslos hinter mir herblicken, als würde ich in einem Raumschiff sitzen. Da spüre ich das Glück in mir, den beiden das Wunder der Stille geschenkt zu haben.

Wolf Stahl, München

 

Wiedergefunden: Das Radio-Geschenk


Eigentlich suchte ich nur in alten Kisten nach Fotos für eine Familienfeier. Dabei fiel mir dieser Geburtstagsgruß meines Vaters an meine Mutter in die Hände. Mein Vater war in den fünfziger Jahren als Schiffskoch bei der Handelsmarine beschäftigt und auf der Ansgaritor nach New York oder in die Karibik unterwegs. Meine Mutter arbeitete in Kamen, Westfalen, in einem Altenheim. Viel schöner als jede SMS und auch jeder Anruf, der längst vergessen wäre, hat sich der telegrafische Gruß auch mehr als 50 Jahre nach seiner Versendung erhalten. Dieses »Radio-Geschenk« brachte die große weite Welt in Windeseile in die deutsche Provinz und hat die Empfängerin die große Distanz zu ihrem Schatz sicher vergessen lassen. Vor zwei Jahren haben meine Eltern ihre Goldene Hochzeit gefeiert, die Investition meines Vaters hat sich also offenbar gelohnt.

Elfi Zimmerling, Düsseldorf

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich meinen 15-jährigen, stark pubertierenden Sohn sehe, wie er seiner zweijährigen Cousine Marmeladenbrote streicht und sie gemeinsam mit ihr verzehrt. Er ist doch auf einem guten Weg, denke ich dann.

Mona Klement, Schwabach

 

Was mein Leben reicher macht

Schon als Kind hatte ich Probleme mit Reißverschlüssen. Das hat sich im Rentenalter nicht geändert. So stehe ich letztens in Friedrichshafen auf dem Bürgersteig und kämpfe mit meiner Jacke. Ein älterer Herr kommt mir entgegen, bleibt stehen und sagt: »Diese Reißverschlüsse klemmen aber auch immer!« Ganz selbstverständlich macht er mir die Jacke zu. Das war ein Gefühl wie damals als Kind, wenn Mama mir geholfen hat. Schön war das. Und vor allem so selbstverständlich. Der freundliche Herr ging einfach weiter.

Hedi Winter, Friedrichshafen

 

Neujahrsträume

Ich träume von einer Welt, in der die Menschen das Licht ausschalten, wenn sie einen Raum für länger als einen Augenblick verlassen, in der sie alle Geräte mit Stand-by-Funktion ganz ausschalten, wenn diese nicht in Gebrauch sind (am besten einfach mit einer Steckdosenleiste mit Kippschalter), in der sie die Heizung ausmachen, wenn die Fenster offen sind. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen kein Fleisch und überhaupt keine tierischen Produkte kaufen, wenn die Lebewesen unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden, wenn sie mit Antibiotika gefüttert oder auf langen Fahrten zum Schlachthof gequält werden. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen nur noch fair gehandelte Kleidung kaufen, für deren Herstellung die Arbeiter angemessen bezahlt und keine schädlichen Substanzen benutzt werden. Ich träume von einer Welt, in der die Bahn kleine Schokoladentäfelchen im Zug verteilt, wenn die Verspätung sieben Minuten übersteigt. Und ich träume davon, fliegen zu können.

Gesche Hübner, London

 

Was mein Leben reicher macht

WGs. Alte und neue, hier und dort. Spontane Jazz-Sessions in der Küche bei einem Glas Wein. Abendliches Vorlesen: jeden Abend ein Kapitel aus einem Buch. Jedes Mal in einem anderen Zimmer, sodass jeden Abend ein anderer dabei in seinem Bett einschlafen kann. Und natürlich die vielen Gespräche – alltägliche und nicht alltägliche. Inspirierend und horizonterweiternd. Wahlweise auch stundenlang.

Anna Schmitt, Würzburg

 

Einmummeln: Mein Wort-Schatz

Was mir bei einmummeln alles einfällt: Sonntagmorgen, Tannenspitzen vor dem Fenster, leise knackendes Feuer, knisternde Daunendecken, kalte Nasenspitzen, müde Augen, warme Haut, an die man sich kuschelt, um sich beschützt und sicher zu fühlen.

Katharina Becker, Karlsruhe