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Was mein Leben reicher macht

An der Kasse des Lebensmittelmarktes. Ein etwa Fünfjähriger: »Papa, darf ich den Wagen wegbringen?« Vater: »Ich bitte sogar darum.« Ein Lächeln für den ganzen Tag.
Joachim Schroeder, Wiesbaden

 

Mein Foto des Jahres


Mein Foto des Jahres habe ich im Sommer in Mindelo, Kapverden, aufgenommen. Eine Stunde zuvor hatte sich mein Freund am Telefon von mir getrennt. Ich ging auf die Straße und fand, dass ich jetzt wirklich ein Zeichen für den Sinn dieses verflixten Lebens brauchte. Da sah ich das Auto. Ich machte ein Foto und dachte: »Okay! Das wird mein Motto für den Rest des Jahres.«

Susanne Niemeyer, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Seit drei Wochen bin ich krank zu Hause, so langsam fällt mir die Decke auf den Kopf. Da klingelt es an der Tür. Es ist der Postbote – mit einem Päckchen von meiner Mutter. Ich bin total erstaunt. Und auf meine Frage »Aber heute ist doch Sonntag? « erhalte ich die freundliche Antwort: »Das ist vor Weihnachten immer so!« Ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass er sich an der Freude der Empfänger freut.

Christine Brandstätter, Dortmund

 

Mein Wort-Schatz

In einem Hotel fiel mein Blick auf den gerahmten Nachdruck eines alten Zeitschriften-Titelblattes von Le Monde Illustré. Dabei erinnerte ich mich an das wunderbare Adjektiv illuster, das meine 83-jährige Mutter gerne mit leicht ironischem Unterton verwendet: »Ich hatte heute illustre Gäste!« Aus meinem Sprachgebrauch ist es schon fast verschwunden. Schade eigentlich

Werner Motyka, München

 

Was mein Leben reicher macht

Ich habe meine Freundin besucht, in ihrem Wochenendhaus mitten im Wald. Es ist spät geworden. Wir treten vor die Tür und erblicken einen funkelnden, unwahrscheinlich voll gesprenkelten Sternenhimmel. Ein Stern leuchtet besonders hell und nah. Die Venus? Alle möglichen Sternenbildernamen fallen mir wieder ein: Andromeda, Kassiopeia, Pegasus. Und Ingeborg Bachmanns Zeile »Hilf nicht dem großen Wagen weiter«. Wir fühlen uns sehr klein unter diesem unendlichen Kosmos. Später lese ich, dass es der Jupiter ist, der gerade so hell leuchtet. Und dass vor 2000 Jahren möglicherweise eine besondere Konstellation zwischen Jupiter und Venus als der geheimnisvolle Weihnachtsstern gedeutet wurde.

Hilla Lubig-Kraft, Bonn

 

Wiedergefunden II: Der Schokoladenbaum


Im Januar 1958 war mein Mann aus der damaligen DDR nach Hamburg geflohen. Zu Weihnachten dann hatte er Sehnsucht nach seinen Eltern. Für ein Wiedersehen kam nur ein Flug nach West-Berlin infrage, wohin die Eltern damals noch kommen konnten. In der Maschine der Pan Am bekam am Heiligen Abend jeder Passagier so einen kleinen Schokoladen-Tannenbaum, und meine Schwiegereltern nahmen ihn mit zu sich in die DDR. Als sie 1975 in die BRD übersiedelten, war er mit im Gepäck, und als wir nach ihrem Tod ihre Wohnung auflösten, fanden wir ihn in einer Schachtel mit Weihnachtsschmuck wieder. Sie selbst hatten ihn nie hervorgeholt. Heute aber steht er unversehrt jedes Jahr zu Weihnachten bei uns neben der Krippe, weckt bei meinem Mann schmerzliche Erinnerungen und lässt uns immer wieder dankbar sein, dass heute in Deutschland alle Familien gemeinsam Weihnachten feiern können, ob in Hamburg oder in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern).

Hannelore Mewes, Hamburg

 

Kritzelei


Eigentlich hatte ich mir die kleine Tafel und einen weißen Kreidestift anstelle eines Notizblocks gekauft. Ich wollte darauf notieren, was ich beim nächsten Einkauf nicht vergessen wollte. Dann habe ich aber angefangen, zu kritzeln, und schließlich so lange damit weiter gemacht, bis kein Platz mehr für Notizen war. Das macht aber nichts, denn das Einkaufen funktioniert trotzdem!

Barbara U. Steinforth, Erlangen

 

Was mein Leben reicher macht

Eine alte Hand schiebt sich in meine und hält sie ganz fest. Sie gehört einer Dame in dem Altenheim, in dem ich ehrenamtlich arbeite. Frau K. möchte nur noch nach Hause. In ihrem früheren Leben war sie Dozentin an der Universität Perugia, doch seit Langem fallen ihr die meisten Wörter nicht mehr ein. Jetzt nennt sie mir immer wieder ihre alte Adresse und sieht mich flehend an. Ich lächle ihr zu und verspreche, dass ich sie nicht allein lassen werde. Für einen kurzen Moment vergisst sie ihre Angst und Traurigkeit und gibt mir ein Küsschen, mit schokoladenkuchenverschmiertem Mund.

Ilse May, Garmisch-Partenkirchen

 

Knecht Ruprecht

(nach Theodor Storm)

Von drauß’ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet nicht mehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Seh ich grellbunte Lichter blitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sieht mit großen Augen kein Christkind hervor.
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!«
Doch wie ich so strolcht’ aus dem finstern Tann,
Guckt mich – geklont – mein Ebenbild an.
Und wie ich komm in die große Stadt
Seh ich, dass’s noch viel mehr davon hat.
Ich höre: »Hoho, kauft, kauft, liebe Leut’!
Jeder Wunsch wird erfüllt, und Rabatt gibt es heut!«
Und in den Märkten dröhnt’s immerzu:
»Heilige Nacht!«, und: »In himmlischer Ruh!«
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »nun wirst du alt.
Mach auf den Weg dich zurück in den Wald!«
Doch als ich schon hebe Bein vor Bein,
Bringt sich das Christkind wieder ein.
»Ach, Ruprecht«, sagt es, »du alter Wicht,
Bleib, wo du bist, und fürchte dich nicht!
Denn morgen flieg ich hinab zur Erden,
Und es wird wieder Weihnachten werden!«

Dorothea Jakob, Hamburg