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Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Hälfte des Urlaubs

(Nach Friedrich Hölderlin, »Hälfte des Lebens«)

Mit blauen Trauben hänget
Und voll mit reifen Feigen
Das Land in das Meer.
Ihr trägen Touristen,
Versunken ins Nichtstun
Tunkt ihr den Leib
Ins blaugrünsalzige Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Sonne, und wo
Den frischen Wein
Und Früchte des Meeres?
Die Autos stehn
Ächzend und heiß, am Strande
Wandern die Wellen.

Beatrix Nüscheler-Doppler, Erlenbach, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

An einem warmen Sommernachmittag in der Hängematte liegen, über mir das Blätterdach der Birken, um mich herum Vogelgezwitscher. Und dabei an einen verstorbenen Freund denken und an seinen Schüttelreim: »Sie lag in ihrer Hängematte, wovon sie eine Menge hatte«.

Ursula Richter, Winsen/Aller

 

Straßenbild

Hier mein visueller Beitrag für die Rubrik Straßenbild. Motto: Integration, Deutsch, Nahversorgung. Nachdem mir einige lohnende Motive durch die Lappen gegangen sind, bin ich jetzt (fast) immer mit einer digitalen Kompaktkamera unterwegs.

Harald Reichmann, Spillern, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Zusammen mit meiner Freundin unsere gemeinsame Höhenangst zu besiegen und uns auf 204 Meter Höhe auf dem Berliner Fernsehturm zu verloben.

Thorsten Langtim, Umeå, Schweden, zzt. Berlin

 

Kritzelei der Woche

Diese Kritzelei stammt von meinem Mann. Er ist Orchestermusiker und sitzt öfters in Probespielen. Das ist ein Auswahlvorspiel, bei dem sich die Bewerber für eine freie Orchesterstelle präsentieren. Damit die Bewerber möglichst neutral bewertet werden, findet meist die erste Runde hinter einem Vorhang statt. Mein Mann prägt sich seinen Eindruck vom Spieler dann zeichnenderweise ein, um sich später besser an die einzelnen Kandidaten erinnern zu können.

Kathrin Lustig, Schwetzingen

 

Was mein Leben reicher macht

Eine Nachricht von unserer russischen Freundin Olga. Sie wohnt in einem hässlichen Plattenbau in der Stadt Pskov. Kürzlich besuchte Putin die Stadt. Olga schrieb uns danach: »Unser Haus wurde neu gestrichen. Im Treppenhaus hat man die kaputten Postkästen durch neue ersetzt. Der Hof wurde mit Grasrollen bedeckt. Für die Kinder wurde eine bunte Rutsche aufgestellt. Die ganze Nacht wurde die Straße gewaschen und geputzt. Hoffentlich besucht uns Putin bald wieder!«

Erik Herfurth, Lübeck

 

Was mein Leben reicher macht

In der S-Bahn das Gespräch zweier Jugendlicher zu verfolgen, die sich über die Hochschulen in ihrer türkischen Heimat und in Deutschland unterhalten. Beide tragen ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Abi 2011 – wir haben es geschafft.«

Alexander Castle, München

 

Wiedergefunden: Ein Gruss von Max Frisch

Im Sommer 1975 unternahmen wir mit unseren drei Söhnen, die damals zwischen 8 und 10 Jahren alt waren, eine Italienreise mit Auto und Zelt. Bei einem Besuch der etruskischen Monterozzi-Nekropole in Tarquinia trafen wir Max Frisch. Er war in Begleitung einer rothaarigen Amerikanerin (die wir in Montauk wiedertreffen sollten), freute sich, als wir ihn erkannten, unterhielt sich mit uns und schrieb einen Gruß in unser Reisetagebuch. Auf dem Parkplatz verabschiedeten wir uns. Er fuhr einen R5 mit römischem Kennzeichen. In diesem Max-Frisch-Jahr 2011 erinnerte ich mich wieder an die Begegnung. Ich suchte im Keller nach dem alten Reisetagebuch und wurde tatsächlich fündig.

Christa Lieb, Ludwigsburg

 

Zeitsprung

1926

2011

Im Herbst 1926 kauften meine Eltern in Königsberg ihr erstes Automobil, einen Hanomag 2/10 PS, einen Zweisitzer, genannt »Kommissbrot«, und natürlich wurde ich, damals zwei Jahre alt, am Steuer fotografiert. Meine Mutter erhielt ihren Führerschein im Jahr darauf und benutzte den Wagen manchmal für Einkäufe in der Stadt. Als ihr einmal auf dem  verkehrsreichsten Platz von Königsberg der Motor abstarb, versuchte sie, ihn mit einer Handkurbel wieder zum Laufen zu bringen, was ihr in der Aufregung nicht gelang. »Sehn Se, Frolleinchen«, sagte da einer Zuschauer, »Se sollten besser nur een Kinderwajen fahren «, und nahm ihr die Kurbel aus der Hand. Ich selbst machte den Führerschein 1963, und mein erster Wagen war ein VW Käfer. Vorsichtshalber warnte mich der Fahrlehrer davor, auf der Autobahn schneller als 100 Stundenkilometer zu fahren, »da es Sie dann aus der Kurve tragen könnte«. Inzwischen bin ich wohl bei meinem letzten Wagen angelangt, einem VW Polo Automatik, schadstoffarm, Jahrgang 1998. Den möchte ich fahren, solange der TÜV und meine Fahrtüchtigkeit es erlauben.

Tione Raht, München

 

Was mein Leben reicher macht

Heute Morgen, in der Dorfbäckerei, fragt mich ein Mann, offenbar wegen meiner »naturkostigen« Kleidung: »Kennen Sie Rudolf Steiner?« Ich bejahe. Da wird aus dem schnauzbärtigen Vertretertyp in Sekundenschnelle ein Bub mit strahlenden Augen: »Ich war Waldorfschüler! « Und er hebt an, aus dem Prolog im Himmel zu deklamieren: »Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang …« Als ich mit einstimme, schüttelt die Verkäuferin belustigt den Kopf. Und mein Tag ist dank der gemeinsamen Liebe zur Literatur gerettet!

Elisabeth Wagensommer, Salem-Weildorf