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Was mein Leben reicher macht

Nach wochenlangen Aushängen in Bibliotheken, Schulen und Bäckereien haben wir doch noch nette Gastfamilien gefunden, die ein neues »Familienmitglied auf Zeit« aufnehmen können. Wir freuen uns auf Hurano (15) aus Japan und Ani (16) aus Georgien und auf eine spannende Zeit mit ihnen in Deutschland.

Corinna Wiesinger, Holzgerlingen

 

Saumseligkeit: Mein Wort-Schatz

Eine Gelegenheit verpasst, nicht in der allseits geforderten Höchstgeschwindigkeit gehandelt zu haben – das ist ein Versäumnis. Dieses unglückliche, wie ein abgefahrener Zug nicht mehr einholbare Wort hat mich schon immer abgestoßen. Wie weich und verträumt wirkt dagegen jene Saumseligkeit, mit der einstmals derselbe Vorgang umschrieben wurde. Es heißt, langsamer zu sein als erwartet und mit der Erledigung von Pflichten im Rückstand sein – dabei aber selig. Eben: saumselig. Die immer ungeduldiger klingende Aufforderung meiner Mutter, vom Spielen endlich ins Haus zu kommen, um zu Abend zu essen; das genüssliche Gefühl, es immer noch einen Augenblick hinauszuzögern – das war eine der Saumseligkeiten meiner Kindheit. Heute komme ich bisweilen in diesen vorparadiesischen Zustand, wenn ich immer noch eine Weile dabei vergehen lasse, den Pflanzen auf meinem Balkon beim Wachsen zuzusehen und meinen Gedanken nachzugehen. Eigentlich müsste ich die Küche aufräumen, die Wohnung putzen, groß einkaufen, kochen und waschen, die eine oder andere Rechnung begleichen, Anrufe erledigen und die tausendste EMail schreiben… Ich kann die drängenden Rufe förmlich hören, aber ich stelle mich taub. Welch eine Seligkeit!

Antonia Landois, Würzburg

 

Zeitsprung

1964 in Rom

2011...wieder in Rom

1964 war ich drei Jahre alt und reiste mit meinen Eltern in die Toskana – im VW-Käfer. Bei einem Ausflug nach Rom entstand dieses Foto. Ich wurde »ordentlich« angezogen, meine Mutter machte das Foto auf dem damals fast menschenleeren Petersplatz. 47 Jahre später, zum 50. Geburtstag, schenkte mir meine Familie eine Reise nach Rom. Da steh ich nun wieder – in Jeans statt im Träger-Faltenröckchen.

Birgit Matrisch-Dinkler, Bochum

 

Was mein Leben reicher macht

Neulich ging ich mit meinem Hund im Park spazieren. Eine ältere Dame näherte sich mit ihrem Boxer. Sie sprach mich an: »Ach, ist der niedlich. Wie heißt er denn?«Ich: »Lotte.« Sie: »Das ist aber schön. Ich finde es nett, dass diese alten deutschen Namen wieder in Mode kommen.« Ich: »Wie heißt denn Ihrer?« Sie: »Ananas.«

Bernd Müller, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

…der Moment mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Uni, Sonne im Gesicht und Frühlingsduft überall, in der die Shuffle-Funktion des iPods mein Lieblingslied spielt und ich einfach lächeln muss.

Jan Rediker, Konstanz

 

Was mein Leben reicher macht

Ich reite mit meiner Stute aus, wie immer ohne Sattel und mit gebisslosem Zaum, heute auch barfuß weil die Sonne wärmt. Am Straßenrand ist ein Auto mit geöffnetem Fenster geparkt. Wir kommen näher und ich vernehme aus einem Radiobeitrag noch den Satz: „der große Traum von der Indianerfreiheit ist geblieben“. Ich muss lächeln. Unterstrichen wird das ganze von einem
eingespielten Pferdewiehern. Meine Stute hebt den Kopf und antwortet. Dann ziehen wir weiter…

Inga Böhling aus Tharandt

 

Was mein Leben reicher macht

..ist der Tag, an dem ich in unserer Ü-60 Gruppe des Theaters mit den sehr nervenstarken Theaterpädagoginnen unser Stück „Gruß und Kuss, dein Berti“ entwickele und einübe. Spaß, Ernst, Körperlichkeit, Stimmgewalt, Spontaneität, Konzentration, Frust, Gruppendynamik, Sorge, ob wir auf der großen Bühne bestehen, inbegriffen. Alles ist neu und extrem spannend.
Ute Bönsel, Bremen

 

Was mein Leben reicher macht

Ausschlafen an einem sonnigen Tag im Mai. Ein leckeres Frühstück mit Mailänder Salami, die habe ich uns trotz mickrigem PJ-ler Gehalt gegönnt. Kaffee aus der Espressomaschine mit Sylvia, der einzigen nicht-blutsverwandte Frau, die ich neben mir an Andys Seite dulde. Das Sofa haben wir zum Fenster gedreht, um schonmal ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. Mit einer Decke in den Englischen Garten gehen, die Nase in die Sonne halten, dem bunten Treiben zuschauen, den Trommlern lauschen, sich über einen der zahlreichen Junggesellenabschiede amüsieren. Am Chinesischen Turm eine Radlerhalbe genießen. Dazu Breze und Leberkas. Auf dem Nachhauseweg noch ein Eis auf die Hand, Mangosorbet ist einfach unschlagbar, und Schoko-Ingwer ganz schön mächtig bei der Bullenhitze. Noch ein paar Stunden auf dem Sofa entspannen und den scheinbar unausweichlichen Abstieg von Frankfurt verkraften. Mein Aufmunterungsversuch, dass doch niemand gestorben sei, schlägt kläglich fehl. Sich an der Schulter des anderen anlehnen. Andy und ich. An einem sonnigen Samstag im Mai.

Derya Belgutay, Luzern – München

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich morgens einsam am Frühstückstisch sitze – mein Mann schläft noch – dann winke ich mit dem Nachbarsmädchen, das in den Kindergarten gebracht wird. Aber erst, wenn sie sich umgedreht hat und fröhlich hüpfend weiter geht, hüpft auch mein Herz vor Freude.

Christine Baustel (64), Zülpich

 

Was mein Leben reicher macht

Am schönsten für mich – als Einzelkind – ist immer wieder die innige Geschwisterbeziehung meiner beiden Söhne, die hoffentlich ein Leben lang anhalten wird:
Mein Großer (5) möchte morgens unbedingt den Kuschelhasen des Kleinen (3) mit in den Kindergarten nehmen.
Der hält ihn fest umklammert und mag ihn nicht hergeben, alle Ersatzangebote schlagen fehl und meinem großen Sohn schießen Tränen in die Augen. Da sagt der Kleine zum Großen: „Frag doch mal ganz lieb.“ Tränenerstickt fragt der große Bruder ganz leise: „Darf ich den Hasi heute mitnehmen?“ Mein Jünster reicht ihm den Hasen und der Große drückt den Kleinen zum Abschied ganz fest und mit strahlendem Gesicht.

Heidi Huckert, Landsberg