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Ein Gartenbild

Wie gefällt Ihnen unser Tomatentheater? Um das hässliche Plastik-Tomatenhaus im Garten zu verschönern, also zu verhüllen, installierten wir, meine Freundin Beate und ich, kurzerhand das Tomatentheater: Sieben Meter roter Stoff, und schon ist die Spielsaison auf der Freilichtbühne Hohebach eröffnet! Programm von Montag bis Freitag: Das scheue  Erröten der Tomaten, Samstag und Sonntag: Macseth. Kulinarisches Drama in 3 Akten. Der Eintritt ist frei.

Dorothea Seth-Blendinger, Dörzbach-Hohebach, Baden-Württemberg

 

Zwei Historiker bitten um Hilfe

Wir, ein irischer Historiker und seine deutschsprachige Mitarbeiterin, möchten eine Studie über das Schicksal von deutschen und oösterreichischen Piloten, Crewmitgliedern und Meteorologen erstellen, die zwischen 1940 und 1945 mit ihren Flugzeugen auf der Grünen Insel oder über dem Atlantik abgestürzt sind.

Die Überlebenden wurden in das Internierungslager Curragh nahe der Ostküste Irlands gebracht, die Toten auf dem Deutschen Soldatenfriedhof in Glencree bestattet. Die Studie wird die Erste ihrer Art sein, da sie sich nicht nur mit Berichten aus Archiven und Büchern zufriedengibt, sondern auch die menschliche Seite dieser Männer aufzeigen möchte.

So war das Verhältnis der Bevölkerung zu den Internierten so freundschaftlich, ja herzlich, dass sich einige entschlossen, „irischer als die Iren“ zu werden, indem sie sich eine Irin zur Frau nahmen und einfach auf der Insel blieben. Obwohl wir erfreulicher- und dankenswerterweise von vielen Nachkommen und Bekannten der Betroffenen bereits einzigartiges Bildmaterial und hochinteressante Schriftstücke erhalten haben, fehlen uns noch Informationen über bestimmte Crewmitglieder.

Wir bitten nun alle jene, die uns mit Informationen über diese Crewmitglieder helfen könnten, Kontakt mit uns aufzunehmen. Sämtliche Unterlagen werden nicht weiterverwendet und absolut vertraulich behandelt.

Justin Horgan und Eva Maurer, Ardfert, Irland

(Die beiden Historiker sind zu erreichen unter evamaurer47@yahoo.com, jhorgan@ardsoft.ie oder Tel. 00353-87/912 48 03)

 

Wiedergefunden: Coole Gang

Zu meinem runden Geburtstag hat mir unsere nette Nachbarin CDs mit Oldies geschenkt, unter anderem war darauf der Evergreen von Gitte Hænning, Ich will ’nen Cowboy als Mann. Dazu fiel mir prompt ein Foto von einem Schulfasching aus dem Jahr 1962 ein (5. Klasse Grundschule am Eichenwald in Berlin-Spandau): Jeder Junge wollte damals augenscheinlich ein Cowboy sein! Nur ich hatte andere Pläne – ich kam als Pirat. Ob alle Cowboys später eine Frau gefunden haben, ist mir leider nicht überliefert. Aber der Pirat hat eine Braut an Land  gezogen, mit der er seit 36 Jahren glücklich verheiratet ist!

Frank Bollensdorf, Berlin-Spandau

 

In zwei Welten: Brief an Felix

Du bist da und doch nicht. Du schaust mich an und durch mich hindurch. Jeden Tag spreche ich mit Dir und erhalte keine Antwort. Für Augenblicke suchst Du den Körperkontakt, um Dich dann wieder Deinen Spielen zuzuwenden. Du liebst alles Runde und alles, was sich dreht, spielst stundenlang mit bunten Ringen und reiseln. Die Ringe ordnest Du in Mustern auf dem Fußboden an und tänzelst darum herum, dabei gibst Du kehlige Laute von Dir oder auch Gekreische, weshalb wir Dich manchmal unseren »Urwaldvogel« nennen. Oft hältst Du einen Ring dicht vor Dein Auge und schaust konzentriert hindurch wie durch eine Lupe. Wie gerne wüsste ich, was Du dann siehst. Du bist mein Sohn. Du bist fünfeinhalb Jahre alt. Du bist frühkindlicher Autist und gehörlos. Erst seit drei Jahren hörst Du rechtsseitig dank eines Cochlea-Implantats. Ich kenne nicht Dein Lieblingstier und Deine Lieblingsfarbe. Ich weiß noch nicht einmal, ob Du weißt, was eine Farbe ist. Ich weiß nicht, warum Du nur sü.en Brei essen möchtest. Du bist ein hübscher blonder Junge mit großen braunen Augen, man sieht Dir Deine Behinderung nicht an. Und doch fallen wir unterwegs auf. Wenn Du akribisch Oberflächenstrukturen abtastest, im Supermarkt die Vibration der Kühlregale Dich begeistert, Du in Geschäfte hineinläufst und Dich an der Beleuchtung erfreust, wenn Du um Gullideckel herumspringst und dabei vor Vergnügen kreischst oder freudestrahlend auf jeden Rollstuhl und Kinderwagen zusteuerst. Dein Lachen ist ansteckend. Doch Deine Welt ist nicht nur Freude. Deine Welt ist auch Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Einsamkeit,  Verzweiflung, Autoaggression. Umso mehr freue ich mich über die Momente, in denen Du an unserer Welt teilhast. Wenn Du beim Kinderturnen ein Hindernis allein bewältigst und meine Freude mit einem Strahlen erwiderst, wenn Dein kleiner Bruder Dich im Garten »fangen« darf und Du umfällst vor Lachen, wenn Du mir immer wieder den Kreisel hinhältst, damit ich ihn für Dich in Bewegung setze, wenn Du abends beim Einschlafen meine Hand nicht loslassen magst. Ich wünsche mir, dass wir mit Liebe und Geduld weit mehr solcher
Momente schaffen können. Und doch befürchte ich, dass wir niemals in ein und derselben Welt leben werden.
Katja Tappesser, Soest

 

Was mein Leben reicher macht

Auszeiten im Kloster Stühlingen! Kochen im Küchenreich der Schwester Odwina. Sie rührt stundenlang im Marmeladenkochtopf, ich bereite das Essen für die Gemeinschaft von Brüdern, Schwestern und Gästen zu. Die Freude darüber, dass es allen schmeckt – und dass die Köchinnen beim Tischgebet gewürdigt werden.

Maria Landthaler, Bremen

 

Das Nilpferd

Die Stadtbücherei hat eine einladende Kinderbuchabteilung mit Sesseln, Kissen und Spielzeug. Ein Vater hält sich dort mit seiner etwa zweijährigen Tochter auf, sie spielt mit Stofftieren. Ich sitze mit meinem Sohn einige Meter entfernt. »Papa, Nilpferd!« Die Kleine strahlt und schleppt ein großes, grünes Stoffnilpferd zu
ihrem Vater. »Nein, das ist ein Krokodil!« Der Ton ist überraschend streng. Das Kind stutzt, beharrt jedoch auf »Nilpferd«. Ich werde aufmerksam. »Das ist ein Krokodil! «, behauptet der Vater mit Nachdruck, aber ohne Humor. Das Tier ist grün, mag sein, doch ohne Zweifel ist es ein Nilpferd: plumper Körper, kurze, stämmige Beine, breites Maul, dünner Schwanz. Ein Nilpferd, aber grün. Macht ja nichts: Der kleine blaue Elefant ist ja auch ein Elefant. Stofftiere dürfen das. Das weiß auch das Kind. Der Vater weiß es nicht und setzt an, das fragend schauende Mädchen mit seinem stärksten Argument zu überzeugen: »Ich habe schon mehr Tierfilme gesehen als du, und ich weiß, wie ein Krokodil aussieht. Das ist ein Krokodil.« Er legt das Nilpferd zur Seite, nimmt seine Tochter bei der Hand, und sie gehen. Ich blicke ihnen nach. Ach, kleines Mädchen, ich wünsche dir Mut zum Widerspruch, ein Leben lang!

Friederike Schwencke, Braunschweig

 

Mein Wort-Schatz

Nun ist es fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden, das kleine Wort zimperlich. Wer es anwendete, bezog es immer auf andere, von sich selbst sagte man es nicht. »Sich nicht trauen« war gemeint, auch »inaktiv«, im schlimmsten Fall sogar »Welch ein Feigling!«. Zuweilen bezeichnete es Wehleidigkeit oder Prüderie. Aber wer wollte schon selber zimperlich sein? Heute sind wir nicht mehr so, heute ist der aktive Tatmensch gefragt. Schade! Manchmal möchte ich doch zimperlich sein. Es klingt so schön nach Kindheit.

Inge Recker, Bremen

 

Daniel ist tot

Daniel ist tot. Daniel, der Sohn unserer ältesten Freunde, der »große Bruder« unserer Töchter – vor zwei Monaten ist er im Himalaya in einer Gletscherspalte verschwunden, mit 35 Jahren. Mitten aus dem Leben ist er in den Tod gestürzt. In gewisser, absurder Weise war sein Tod wie sein Leben: stürmisch, geradeaus. Seine
Familie, seine vielen Freunde und uns lässt er fassungslos zurück. Hier stehen wir, jeder vor seiner eigenen Gletscherspalte aus Verzweiflung, Schmerz und Wut.
Daniel ist tot. Die Wucht dieser Tatsache bringt das Leben derer, die ihm nah waren, völlig aus dem Gleichgewicht: Daniel – mein Freund, mein Bruder, mein Klettergefährte, mein Geliebter, mein einziges Kind. Wie sollen wir jetzt übrigbleiben – als Freund, als Schwester, Mutter, Vater, als Geliebte? Nichts ist mehr in Ordnung. Das Leben geht weiter, schwankend zwischen absolut belanglos und absolut unerträglich. Allem, was wir tun, allem, was wir erleben, ist Daniels Tod beigemischt. Wir müssen den Schmerz immer aufs Neue bewältigen. Und gleichzeitig, während all dies stattfindet, geschieht etwas Seltsames, etwas noch kaum
Sichtbares: Aus Daniels radikaler Abwesenheit entsteht irgendetwas Neues, kommt etwas Neues ins Leben – hier, da, dort.

Gabriele Haarhaus, Schulendorf, Schleswig-Holstein

 

Was mein Leben reicher macht

Dass ich elf Monate nach dem Tod meiner geliebten Frau, mit der ich 27 Jahre glücklich war, wieder lachen, Arm in Arm spazieren gehen und gute Gespräche führen kann. Und sogar Liebesbriefe schreiben. Danke Christina!

Wolf Dirk Rauh, Greifswald

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Hälfte des Urlaubs

(Nach Friedrich Hölderlin, »Hälfte des Lebens«)

Mit blauen Trauben hänget
Und voll mit reifen Feigen
Das Land in das Meer.
Ihr trägen Touristen,
Versunken ins Nichtstun
Tunkt ihr den Leib
Ins blaugrünsalzige Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Sonne, und wo
Den frischen Wein
Und Früchte des Meeres?
Die Autos stehn
Ächzend und heiß, am Strande
Wandern die Wellen.

Beatrix Nüscheler-Doppler, Erlenbach, Schweiz