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Im digitalen Wahn

Jede der Erfindungen mit dem kleinen „i“ am Anfang soll die Menschheit auf eine neue Evolutionsstufe heben, Gewohnheiten verändern und uns zusammenführen. Digital, natürlich. Keine dieser Erfindungen hat mein Leben revolutioniert. Ich nutze immer noch einen Stationären PC, anstatt eines Laptops und telefoniere noch immer ohne „i“.

Es gibt weitaus schnellere Mobiltelefone, überwiegend sogar mit besserer Ausstattung – und doch drängen sich die Jünger des „einen“ Mobiltelefons bei Verkaufsstart vor den Türen bekannter Elektronikfachmärkte oder bestellen Wochen oder Monate im Voraus online ihr Exemplar vor. Weshalb?

Aus demselben Grund, weshalb man sich in sozialen Netzwerken über die eigene Unterwäsche oder die Qualität des Mittagpausenkaffees unterhält. Aus demselben Grund, warum wir künftig Apps unter dem Weihnachtsbaum finden werden. Aus demselben Grund, weshalb man einen neuen Begriff für Online-Freunde finden muss, die oftmals nur ein paar hundert Meter entfernt von uns sind: Dabei sein. Es ist das Gefühl, etwas zu verpassen.

Neulich im Elektronikfachmarkt: Ich teste und vergleiche Telefone, denn auch in Zeiten schneller Preisvergleiche kann mir keine Internetseite die Menüführung oder Haptik eines Mobiltelefons verdeutlichen. Ich werde Zeuge eines Phänomens: Ein Junge drangsaliert seine Eltern mit seiner Forderung nach dem einen Telefon. Sonst könne er nicht mehr mitreden. Und überhaupt seien die Eltern völlig hinterm Mond und zu arm, ihm endlich sein Handy mit dem „i“ zu kaufen (Neupreis ohne Vertrag ca. 950€ und damit nahezu drei Monate Single Hartz-IV).

Verständlicherweise waren seine Eltern mit den Ansprüchen und dem Werteverständnis des Jungen überfordert. Ich auch. Als ich jung war – und man sollte meinen, das sei noch nicht allzu lange her – habe ich mit sieben Jahren noch mit Puppen gespielt oder war mit meinen Freunden ganz traditionell offline zusammen. Fassungslos und ein wenig belustigt stellte sich mir die Frage: Bin ich mit 24 Jahren schon zu alt für die Welt?

Sarah Moser

 

Das regt mich auf: Asphaltrowdys

Nach 1 ½ Stunden Theoriegeschwafel in der Fahrschule über vorbildliches Verhalten im Straßenverkehr
stiefle ich in die Nacht hinaus. Beim ordnungsgemäßen Überqueren der Straße werde ich dann auf halber Strecke von einem schwarzen Opel erfasst. Ich knalle auf die Motorhaube, mache eine halbe Rolle und segle wieder zurück auf den harten Teer. Nachdem ich mich mühsam aufrappele, habe ich metallischen Blutgschmack im Mund.

Plötzlich steht die leichenblasse Fahrerin neben mir und stammelt: „Es ist ja gar nichts passiert, da brauchen wir keine Polizei.“ Ich schreie sie an: „Sie haben mich gerade angefahren! Jetzt rufen Sie den Krankenwagen, ich habe mir einen Zahn ausgeschlagen!“ Wenig später bringen mich die Sanitäter zur Untersuchung in die Unfallklinik. Zum Glück bin ich mit „nur“ einigen Schürfwunden sowie einem abgebrochenen Schneidezahn davon gekommen, an dessen Stumpen noch schwarzer Autolack haftet. Nun besitze ich eine Krone und kann mich mit dem Gedanken auf Schmerzensgeld trösten.

Constanze Wilz

 

Das regt mich auf: störrische Verpackungen

Jeden Morgen das gleiche Theater: mein Kampf gegen die Verpackungen. Entweder bin ich zu doof, oder die Packungen sind zu clever. Oder sind gar höhere Mächte im Spiel?

Gerade wollte ich einen frischen Kaffee aufbrühen. Die Dose war leer, die neue Packung vakuumverpackt. Wegen der Frische und um mich zu ärgern. Seit ich Kaffeetrinker bin, läuft nun folgender Film ab: Beim Aufreißen der kleinen Kerbe, sollte ich sie ohne Brille gefunden haben, verstreut sich der halbe Kaffee. Versuche ich es zart, geht die Alufolie nicht auf. Reiße ich daran: Ergebnis siehe oben.

Der Joghurtbecher birgt ähnliche Probleme. Beim ersten Aufreißversuch geht die Alulasche ab. Zum Glück nimmt sie noch einen dünnen Streifen des Deckels mit: Immerhin kann ich jetzt den Inhalt sehen. Doch die nun folgende Rumzerrerei endet mit unschönen Flecken auf dem Hemd. Getoppt wird das alles von eingeschweißtem Aufschnitt. Da gelangen mitteleuropäische Normalfinger an ihre Grenzen. Ich weiß: Es gibt die Lasche links unten. Doch falls ich die beiden Folien hier überhaupt trennen kann, heißt das noch lange nicht, dass sie sich auch auseinanderziehen lassen.

Um ob meiner Unfähigkeit nicht in Depressionen zu verfallen, habe ich mir eine Theorie zurechtgelegt: Die Industrie will mich zur Enthaltsamkeit erziehen. Und sie will, wie beim Kaffee, ihre Umsätze steigern. Beides klingt plausibel und lenkt elegant von meiner Ungeschicklichkeit ab.

Steffen Köpf, Hümmel

 

Das regt mich auf: Fünfkampf im öffentlichen Nahverkehr

Wurde das Scheitern der Leipziger Olympia-Bewerbung zum Anlass genommen, den modernen Fünfkampf neu zu initiieren? Um aus der Not eine Tugend zu machen und Leipzigs Bedeutung als Sportstadt zu unterstreichen, beschloss man offenbar kurzerhand, nun aus Nahverkehrs-Kunden Sportler zu machen. Der moderne Fünfkampf „Leipziger Art“ war geboren.

Inzwischen treten täglich hunderte Sportbegeisterte in den neuen Disziplinen gegeneinander an:
• Ticket-Automat finden
• Fahrplan finden
• Bahnsteig finden
• wahlweise Hürden- oder Langstreckenlauf zur Bahn und
• Finger wund drücken (weil der Türöffner soeben vom Fahrer …äh Trainer süffisant deaktiviert wurde)

Bei den Verkehrsbetrieben hofft man nun auf künftige Berücksichtigung ihrer Disziplin. Bis dahin will man die Kunden …äh Sportler noch härter trainieren lassen.

Ralf Zeuge

 

Das regt mich auf: Hund klaut Wurstsemmel

© judigrafie / photocase.com

Ich rege mich nie auf. Außer ich habe einen Grund. Letzte Woche zum Beispiel:
Großmutterdienst in der Innenstadt. Ich schiebe den Kinderwagen. Drin thront meine Enkelin Lea, die gerade ihre Wurstsemmel verzehren will. Auf einmal springt ein Riesenhund mit scharfen Zähnen daher und schnappt, genau zwischen Händchen und offenem Mündchen des Kindes, die Wurstsemmel weg.
Schriller, langer, nie enden wollender Aufschrei. Tausend Alarmglocken in meinem Großmutterherzen: Der Hund hat die Hände und die Zunge meiner Enkelin abge-bissen! Nein. Die Hände sind da. Ich zähle die Fingerchen. Zehn. Auch der brüllende Mund ist unversehrt, die Zunge und alle Zähne sind noch drin. Die Alarmglocken werden leiser. Leas markerschütterndes Schreien nicht.
Der Hund und sein Besitzer sind weitergegangen. Ich schreie: „Sie, Ihr Hund hat gerade die Wurstsemmel meiner Enkelin gefressen!“ Der Mann dreht sich um, schmunzelt und sagt beinahe vorwurfsvoll: „Na, Sie müssen schon aufpassen!“ Und zieht von dannen mit seinem Monster.
Der Hundeführerschein, über den bei uns in Österreich gerade diskutiert wird, ist zwar eine gute Idee. Aber ich plädiere für einen viersemestrigen Benimmkursus für Hundebesitzer. Mit obligatem Feingefühlseminar.

Marie-Luce Eröd, Wien