Lesezeichen
 

Was man ist

(nach Erich Fried, »Was es ist«)

Es ist scharf
sagt die Tochter
Es ist pampig
sagt der Sohn

Es ist lecker
sagt der Opa
Es ist nichts als fad
sagt der Bruder
Es ist würzig
sagt die Schwester
Man ist was man isst
sagt der Vater

Es ist hervorragend
sagt der Besuch
Es ist gelungen
sagt die Oma
Es ist Erasco Hühnersuppe aus der Dose
sagt die Mutter
Man ist was man isst
sagt der Vater

Martin Köhler, Wertheim

 

Neujahrswünsche

(nach Joseph von Eichendorff, »Weihnachten«)

Nimmermehr vor Neid erblassen,
Heiterkeit in meinem Haus,
Freunde aller Altersklassen,
Anteilnahme statt Applaus.

Radeln schon im Morgengrauen,
Treuepunkte – Trübsal nicht,
Weitsicht, statt auf Sand zu bauen,
Cha­Cha­Cha bei Kerzenlicht.

Locker bleiben – nicht versauern,
Sommerwetter wie bestellt,
Rum mit Tee bei Kälteschauern,
Kölsche Tön’ bis Bielefeld.

Kuschelige Strandkorbplätzchen,
Sergeant Pepper’s Ohrenschmaus,
Wohldosierte Urlaubsschwätzchen,
Alltagsfreuden, Schluss, Punkt, aus!

Vincenz Keuck, Oerlinghausen

 

Weltwende

(nach Jakob van Hoddis, »Weltende«)

Dem Hipster fliegt vom stumpfen Hirn der Mut,
In allen Medien hallt es wie Geschrei:
Die Welt zerfällt, das Leben ist vorbei!
Die Mayas, munkelt man, vergehn vor Wut.

Das Ende naht: Das letzte Blättchen zupfen
Wir vom Kalender. Lasst diesen Tag uns pflücken,
Als wenns der letzte wär. Dann lasst uns rupfen
die Gans und uns am nächsten Untergang
entzücken!

Andreas Goletz-de Ruffray, Ammersbek

 

Weihnachtliches Inferno

(nach dem Weihnachtslied von Wilhelm Hey)

alle jahre wieder
qualmt der weihnachtsbaum
menschen knien nieder
löschen baum mit schaum

alle jahre wieder
brennt es bei dir auch
joseph schleppt die eimer
maria hält den schlauch

alle jahre wieder
lernt man nichts dazu
weihnachtsbäume knistern
und die welt schaut zu

Jürgen Maruhn, Marburg

 

Advent

(Nach robert Gernhardt, »Gebet«)

Lieber Gott, nimm es hin,
dass ich weiter skeptisch bin.
Und gib ruhig einmal zu:
Keiner ziert sich so wie du.
Preisen werd ich deinen Namen,
aber zeig dich vorher. Amen.

Wolfgang Klosterhalfen, Düsseldorf

 

Fragen eines korrigierenden Deutschlehrers

(Nach bertolt brecht, »Fragen eines lesenden Arbeiters«)

Wer wiederholte endlos die Schreibung von »des Weiteren«?
In den Blättern steht beharrlich »desweiteren«.
Haben wir das nicht ein Dutzend Mal besprochen?
Wer warnte davor? Auf welchen Ohren
Saßen die Schreiber?
Wohin gingen die Gedanken allmorgendlich?
Der große Duden
Ist voll von Rechtschreibung. Wer nutzt ihn?
Gehören die Reichtümer der Orthografie
Nur manchen? Selbst in den guten Arbeiten
Schreit mancher Ausdruck noch immer
Zum Himmel. Als Deutschlehrer hat man Träume.
Vergebens?
Haben wir nicht wenigstens »das« und »dass« zu unterscheiden versucht?
Es ist zum Weinen, wenn wieder einmal
Eine Satzkonstruktion im Meer der Prädikate versinkt.
Weint sonst niemand?
Kaum einer begreift. Wer
Steht ihm zur Seite?

Auf jeder Seite Fehler.
Wer ist dafür verantwortlich?
Nur alle zehn Arbeiten ein Lichtblick.
Wer trägt die Schuld?

So viele Blätter.
So viele Fehler.

Eberhard Stephan, Weißenburg, bayern

 

Lores Leid

(Nach Heinrich Heine, »Lied von der Loreley«)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin.
Ein Mädchen aus früheren Zeiten,
Das geht mir nicht aus dem Sinn.

Es ist so schön und es lächelt.
Im Spiegel find’ ich es nicht.
Der laue Wind, er fächelt
Die Sehnsucht ihr ins Gesicht.

Eine Frau seh’ ich vor mir stehn,
Mit Haaren so weiß wie der Schnee.
Mich kann ich nirgendwo sehn.
Mein Herz, es tut mir so weh.

Das Mädchen singt leise Lieder,
Von Liebe im nahenden Mai.
Am Ufer blüht prächtig der Flieder.
Ich wünschte, ich wäre dabei.

Friedhelm Kappenstein, Euskirchen (inspiriert durch die Alzheimer-Erkrankung seiner Schwiegermutter)

 

Bankers Erntedanklied

(Nach Matthias Claudius, »Wir pflügen und wir streuen«, zu singen nach der Melodie: Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. 508)

Wir lügen und wir streuen
euch Sand in das Gesicht;
dass wir das je bereuen,
glaubt ihr wohl selber nicht.
Das wird sich auch nicht ändern,
Frau Merkel hat’s erkannt:
Wir sind in allen Ländern
so wirtschaftsrelevant!
Alle gute Gabe schenkt uns die Politik,
drum dankt ihr, dankt, drum dankt ihr, dankt;
sie sichert unser Glück!

Sie macht aus jeder Pleite
für uns doch stets Gewinn;
hielt gestern und hält heute
uns Rettungsschirme hin.
Geld, das wir gar nicht haben,
vermehrt sie ohne Zahl.
Wir können uns dran laben,
denn uns fehlt die Moral.
Alle gute Gabe schenkt uns die Politik,
drum dankt ihr, dankt, drum dankt ihr, dankt;
sie sichert unser Glück!

Daniela Daniels, Meppen

 

Am Stehtisch

(Nach Heinrich Heine, »Am Teetisch«)

Sie standen und rauchten am Stehtisch
Und qualmten entsetzlich viel.
Die Herren, sämtlich unathletisch,
die Damen fast ganz ohne Stil.

»Der Rauch muss sein harmonisch«,
Der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin hustete komisch
Und stürzte nach vorn, völlig schwach.

Der Domherr öffnet den Mund weit:
Der Qualm mache richtig froh,
Doch schade er der Gesundheit.
Das Fräulein röchelt: »Wieso?«

Die Gräfin spricht wehmütig:
»Das Rauchen ist eine Passion!«
Und präsentieret schmerzlich
Am Kehlkopf ihr Mikrofon.

Am Tisch war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest, wärst du nicht verstorben
Vom Lungenkrebs uns was erzählt.

Danny Morgenstern, Braunschweig

 

Sankt Martin, reloaded

(Nach dem Kinderlied »Sankt Martin, Sankt Martin«)

Sankt Martin, Sankt Martin,
Sankt Martin fuhr durch Schnee und Wind,
sein SUV, der trug ihn fort geschwind.
Sankt Martin fuhr mit leichtem Mut,
im SUV, da war’s ihm warm und gut.

Im Schnee saß, im Schnee saß,
im Schnee, da saß ein armer Mann,
hat Kleider nicht, hat Lumpen an:
»Oh helft mir doch in meiner Not,
sonst ist der bitt’re Frost mein Tod!«

Sankt Martin, Sankt Martin,
Sankt Martin hält den Wagen an,
macht’s Fenster auf zum braven Mann.
Sankt Martin wirft ’ne Decke raus
da lag sein Hund noch gestern drauf.

Sankt Martin, Sankt Martin,
der denkt, er sei ein guter Mann,
weil er so herrlich teilen kann.
Sankt Martin gibt jetzt richtig Gas,
denn Geben macht doch so viel Spaß!

Sankt Martin, Sankt Martin,
Sankt Martin legt sich müd zur Ruh,
da tritt im Traum der Herr hinzu.
Er trägt die Hundedeck’ als Kleid,
sein Antlitz strahlet Zornigkeit.

Sankt Martin, Sankt Martin,
Sankt Martin sieht ihn staunend an,
der Herr spricht ihn jetzt zornig an:
»Die Decke half dem Armen nicht,
er starb im frühen Morgenlicht.

Sankt Martin, Sankt Martin,
Decken schenken reicht nicht aus
bei all der Armut großem Graus.
Der Armut Grund, der liegt bei dir,
bei deinem Reichtum, deiner Gier!«

Sankt Martin, Sankt Martin,
wacht auf aus diesem bösen Traum,
erleichtert, weil allein im Raum.
Ein Gott mit solch’ Gerechtigkeit
das geht dem Martin echt zu weit.

Kurt Eimers, Düsseldorf