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Ein Gedicht! Klassische Lyrik

11. März 2011

nach Theodor Fontane, »Die Brük’ am Tay (28. Dezember 1879)«

»Wann treffen wir drei wieder zusamm’?«
»Um die neunte Stund’, am östlichen Damm.«
»Beim Block Nummer eins.« –»Ich breche die Wand.«
»Ich ’s Dach.« – »Ich komme von Norden her.«

»Und ich von Süden.« – »Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt einen wilden Tanz,

Und keiner der Meiler bleibt dann noch ganz.«
Und die Kühlung, die doch so sicher hät?«
»Von dem Tsunami wird sie zerschellt!«

»Zerstört!«
»Tand, Tand,
Ist das Gebilde von Menschenhand.«

(…)

»Wann treffen wir drei wieder zusamm’?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«
»Hoch über der Insel, mit wilder Flamm’.«

»Ich komme.« – »Ich mit.« – »Ich nenn euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.« – »Und ich die Qual.«

»Hei!
Zerborstene Blöke, die Strahlung ist frei.«
»Tand, Tand, Ist das Gebilde von Menschenhand.«

Ortwin Beisbart, Stegaurach, Oberfranken

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Der Sohn des Polykrates

(nach Schiller: „Der Ring des Polykrates“)

Er trat auf den Balkon von drinnen
Und schaute mit vergnügten Sinnen
Auf zwei gekühlte Türme hin.
„Es ist nun nicht mehr störanfällig,
das AKW, und nicht gefährlich“,
sprach er und nahm sich einen Gin.

„Die Strahlung kann nicht mehr entweichen,
Beton und Stahl sind dick und reichen.
Im Notfall schaltet es sich aus.
Und will man es mit Macht zerstören,
mit Flugzeug, Bomben und Gewehren,
der Mantel hält das spielend aus.“

„Und wenn“, sprach nun der Sohn zum Vater,
„ein Beben kommt, ein neuer Krater?
Gibt es dafür auch Garantie?“
„Man kann die Angst auch übertreiben,
darüber sollt’ man besser schweigen.
Wir brauchen Strom und Energie.“

„Und wenn“, fragte der Sohn nun leiser,
„die Kühlung stoppt und es wird heißer?
Schmilzt nicht der ganze Kern dahin?“
„Ach, Sohn, du machst dir zu viel Sorgen!
Denk doch an heute, nicht an morgen“,
sprach er und nippte kurz am Gin.“

Albrecht Gralle, Northeim

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Min jong

(nach Johann Wolfgang von Goethe, »Mignon«)

Kennst du das Land, wo die Zitronen blün?
Kennst du das Laub, das Goldorangen ziert?
Kennst du den Himmel, seine Bläue und sein Glühn,
und jenen Wind, den man auf Lorbeerhöhen spürt?
Kennst du das Dach, den Saal und auch die Säulen?
Die Flut? Den Fels? Das Maultier, grau und schnöd?
Vielleicht das Marmorbild? Du, echt, es ist zum Heulen:
Nix kennst du, gar nix?
Mensch, Junge, bist du blöd!

Bettina Hoffmann-Günster, Westerburg­Wengenrot

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Die Ägypter sind frei,
wer konnte das ahnen,
Armee und Polizei,
sie wechseln die Fahnen.
Despoten, sollt wissen,
es nützt euch kein Schießen
mit Pulver und Blei –
Ganz Arabien sei frei!

Tut Tunis, was es will,
– die Welt ist beglücket –
hält Lybien nicht still,
vom Führer erdrücket.
Volkswunsch und – begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
Ganz Arabien sei frei!

– nach „Die Gedanken sind frei“, Hoffmann von Fallersleben

Heiko C. Luislampe

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Leistungskurs Deutsch vor dem Auftritt
(nach Johann Wolfgang Goethe, Iphigenie auf Tauris, 1. Auftritt)

Herein in diese Hallen, LK D – ler,
Der alten, heil’gen, Bildungsstätte AKG,
Wie in der Honig stilles Heiligtum,
Tritt doch jetzt ein mit schauderndem Gefühl,
Als wenn du sie zum ersten Mal beträtest,
Und es gewöhnt sich nicht dein Geist hierher.
So manches Jahr hielt fest dich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem du dich musst’ ergeben;
Auch jetzt scheint alles dir so fremd.
Denn ach dich trennet die Klausur vom Leben,
Und vor dem leeren Blatt verweilst du sinnend,
Das Land der Freiheit mit der Seele suchend …

Doris Honig, Roth

 

Ein Gedicht!

Er war’s!
Bauer lässt die Gülleschwaden
Wieder schamlos in die Lüfte;
Giftig-aggressive Düfte
Streifen rücksichtslos durchs Land.
Manche würgen schon,
Atmen nur beklommen.
– Weh! Da naht der nächste Nebel schon!
Frühling, oh du bist’s?
Ach, bist du verkommen!

– (nach Eduard Mörike »Er ist’s«) –

Christoph von Plettenberg, Münster

 

Ich find dich ganz okay!

Deinen Arm würd ich nicht verrenken
Dir aber auch nichts Schenken.

Hab nie was für dich gemacht
Und kenne dich nicht gut.
Hab nie mit dir gelacht
Dazu fehlt mir der Mut.

Kaum getroffen – kaum gekannt –
Vielleicht sind wir ja auch verwandt.
Ich reise Bis wir uns kennenlernen
Sind wir alte Greise.

Bist du ein Held?
Oder ein Schurke?
Hat du viel Geld?
Oder bist du arm wie ´ne Gurke?

Machst du viel Sport?
Sagst du auch mal ein Wort?
Ich lache
Weil ich nie was mit dir mache.

Ist ja auch egal. Have a nice day.

Ich find dich ganz okay

Leroy Brown (15 Jahre) frei nach „Ich habe dich so lieb“ von Joachim Ringelnatz

 

Der süße Igel

(nach Christian Morgenstern: Das aesthetische Wiesel)

Ein Igel
saß in einem Tiegel
inmitten Schokoladenriegel.

Wisst ihr,
wozu?

Die Mondkuh
verriet es mir
im Lauten:

Das Tier saß dort
am süßen Ort
Reklame für van Houten.

Volker Unruh

 

Winterspaziergang

Noch längst nicht befreit sind Strom und Bäche
Vom Eise durch holden Frühlingsblick;
Denn Kälte trübt das Hoffnungsglück.
Noch zeigt der Winter keine Schwäche,
Zieht sich auch nicht aus der Heide zurück.
Noch glänzt es weiß auf den Feldern nur,
Noch sind die Wege voll glatten Eises
Und nichts ist zu sehen von grünender Flur.
All unsre Bildung, all unser Streben
Lässt sich noch nicht mit Farben beleben.
Ich zieh mich zurück in mein Revier
Und mache diese Parodie dafür.

– nach Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, »Osterspaziergang« –

Horst Mantzel, Suhlendorf, Lüneburger Heide