Lesezeichen
 

Gespräch eines Hausse-Spekulanten mit sich selbst

(nach Christian Morgenstern, »Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst«)

Soll i aus mein Aktien raus? Soll i aus mein Aktien nit raus? Ein bisschen raus?
Lieber nit raus?
Hausse aus?
Hausseritraus?
Haussenaus? Rauserauserauserause …

(Der Hausse-Spekulant verfängt sich in seinen eigenen Gedanken, oder vielmehr diese gehen mit ihm dermaßen durch, dass er die weitere Entscheidung der Frage erst mal verschieben muss)

Günter Kirchhain, Leverkusen

 

Ruhewünsche

(nach Joseph von Eichendorff, »Wünschelrute«)

Schläft ein Lied in allen Dingen,
und besser wär’s, es wacht nicht auf,
denn würd’s jemand zum Klingen bringen,
ging zweifellos die Ruhe drauf.

Jana Lobe, Bamberg

 

Obacht

(nach Joseph von Eichendorff, »Mondnacht«)

Es war als hätt’ der Lümmel
Die Braut mal schnell geküsst,
Dass ich im Menschgetümmel
Dies mit ihm klären müsst.

Die Nerven tobten. Scheiße!
Da hat er nur gelacht.
Mein Hirn ging dummerweise
Mal kurz auf Schicht im Schacht

Und meine Kehle sandte
Wut in die Nacht hinaus.
O Weiberwillen! Tante
Ich geh allein nach Haus!

Maria Gessler, Horb am Neckar

 

Die Sparschweinmörderin

(nach Frank Wedekind, »Der Tantenmörder«)

Ich habe mein Sparschwein geschlachtet,
Mein Sparschwein war alt und schwach,
Mit Euros und Cents überfrachtet.
Da gab ich ihm eines aufs Dach.

Viel’ Münzen fand ich unter den Scherben,
Jedoch an Papiergeld nicht viel.
Dafür musste mein Sparschwein sterben?
Mich schüttelt’s vor Mitgefühl.

Was nutzt es, dass ich mich noch härme –
Denn auch mein Konto ist leer –
So bleibt leider nichts für die wärme-
ren Länder am Mittelmeer.

Mein Geld kann ich dorthin nicht tragen,
So schwer’s meinem Herzen auch ist.
Ich muss mir schon selbst viel versagen.
Die Euro-Krise – ihr wisst.

Ich habe mein Sparschwein geschlachtet,
Mein Sparschwein war alt und schwach.
Die Euro-Krise, sie trachtet
Selbst meinem Spargroschen nach.

Brunhild Bast, Lambsheim, Rheinland-Pfalz

 

didis fisch

(nach Ernst Jandl, »ottos mops«)

didis fisch irrt
didi: links fisch links
didis fisch schwimmt
links didi: hihi

didi sitzt
didi schwitzt
didi singt
didi: fisch fisch

didi gibt
didi: hin fisch hin
didis fisch nimmt
didis fisch frisst
didis fisch pisst
didi: igittigitt

Larissa Landahl, Reinbek

 

Kreuzfahrt

(nach Johann Wolfgang von Goethe, »Mignon«)

Kennst du das Schiff, die Meere pflügt es kühn,
Wo Geister, zahllos, sich um dich bemühn,
Wo selbst des Schiffes Schraube sich um dich nur dreht,
Ein Herr im Dinnerjacket auf der Brücke steht.
Man will dein Wohl.

Damit! Damit
Den Alltag du vergisst vor Hua Hin.

Kennst du sein Reich? Eng, schwankend. Mach
Dir nichts vor: Kabinen hundertfach!
Dein Leid fängt oft mit sanftem Rollen an,
Wenn die Zyklone sich von Weitem nahn
Dem abgelegensten Atoll.

Dahin! Dahin
Die Zeit, da lockend noch die Sonne schien.

Kennst du den Gast? Im Deckchair liegt er träg,
Von Backbord tönt die Bordkapelle schräg,
Sein Cocktailglas ist leer – er voll Entdecker-Mut:
Vom Abenteuer-Feuer noch ein Rest an Glut.
Cheers, Prost und Skål!

Dafür! Dafür
Kann man doch mal sein Konto überziehn!

Kurt Wagner, Bonn

 

DIE ZEIT

(nach Christian Morgenstern, »Die Zeit«)

Es gibt ein altbewährtes Mittel,
die ZEIT zu packen am Schlawittel:
einfach auseinanderfalten,
links und rechts am Rande halten.

Sie knistert, schnurrt und flüstert dann:
»Fang du ruhig mich zu lesen an.
Nervt dich Länge? Nervt dich Breite?
Macht nix, bin auf deiner Seite.

Denn dass ich nicht handlich bin,
macht tatsächlich echt nur Sinn,
wenn man sich die Zeit auch nimmt.
Erst sich. Dann mich«, sagt sie bestimmt.

Und was ich an der Sache mag:
Mit leerem Kopfe spricht man nicht.
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Donnerstag.
Schluss jetzt mit dem Lobgedicht!

Florian Streier, Essen

 

Fasten

(nach Gottfried Benn, »Astern«)

Fasten, quälende Tage
nichts als Möhren, Broccoli, Lauch.
Mutig besteig ich die Waage,
doch nur grammweise schmilzt mein Bauch.

Noch einmal möchte ich werden
so schlank wie zur Konfirmation.
Nie mehr brat ich mir auf den Herden
Steaks in Holzfällerportion.

Noch einmal die ersehnten
Weine aus Baden oder vom Rhein,
die mich immer verwöhnten –
ich schenke sie heimlich mir ein.

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Vorsätze, vor allem die guten,
überleben kaum eine Nacht.

Wolfgang Hauger, Leinfelden­-Echterdingen

 

Vorm Winter

(nach Rainer Maria Rilke, »Herbsttag«)

Herbst und Sommer war’n zu groß;
mach endlich Winter, Herr!
Es hat zu lange nicht gefroren,
und schick von den Azoren
her – uns bloß nicht noch ein Hoch!

Befiehl dem Himmel, jetzt zu schneien!
Schick darauf ein paar klirrend kalte Tage,
dann halte inne und entsage
jedwedem Tauwetter und lass Atlantiktiefs
überm Atlantik bleib’n.

Wen’s dann nicht rauszieht,
dem hilft keiner mehr.
Soll der ruhig twittern, skypen, …
in seinen Virtu-Welten bleiben,
wenn wir auf Kufen hin und her
draußen durch den Winter gleiten.

Gregor Murmann, Xanten

 

Vorm Winter

(nach Rainer Maria Rilke, »Herbsttag«)

Herbst und Sommer war’n zu groß;
mach endlich Winter, Herr!
Es hat zu lange nicht gefroren,
und schick von den Azoren
her – uns bloß nicht noch ein Hoch!

Befiehl dem Himmel, jetzt zu schneien!
Schick darauf ein paar klirrend kalte Tage,
dann halte inne und entsage
jedwedem Tauwetter und lass Atlantiktiefs
überm Atlantik bleib’n.

Wen’s dann nicht rauszieht,
dem hilft keiner mehr.
Soll der ruhig twittern, skypen, …
in seinen Virtu-Welten bleiben,
wenn wir auf Kufen hin und her
draußen durch den Winter gleiten.

Gregor Murmann, Xanten