Beim Aufräumen der gesammelten frühen Werke meiner Kids habe ich ein Bild gefunden, das bestimmt in die „Alltagskunst der Neunziger“ eingestuft werden kann: Meine Kinder pflegten ihre Kassetten und CD’s zusammen auf dem Teppich liegend zu hören, dabei malten zusammen auf einem Blatt. Dies ist das Ergebnis einer Drei-Fragezeichen-Stunde – gute Verarbeitung des Stress-Abenteuers, oder? Übrigens die Kinder sind jetzt groß und finden ihre Zeichnung nach wie vor gelungen. Die Drei Fragezeichen hören sie immer noch ab und zu.
Hier eine Kritzelei, die bereits 1962 oder 1963 entstanden ist, vermutlich, als ich in der Vorabiturklasse, zweifellos hoch konzentriert, den Ausführungen unseres unvergessenen Sozialkundelehrers „Faust“ am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach folgte. Ich habe das schlichte Cover der Schülerausgabe von bayerischer Verfassung und Grundgesetz veredelt und dabei ersterer offenkundig den repräsentativeren Auftritt verschafft.
Um ein dem vorgefunden Bücherbestand entsprungenen Würfelgedicht spann sich auf einer Berghütte weit über der Zivilisation, im Beisein eines guten Freundes und Vorlesers, ein Geflecht aus Gehörtem, Gesehenem und Gedachten. Ein spielerisch gefülltes Blatt, wie man es gerne öfter hätte, auch dieses Jahr.
Ich habe in meiner Schulkarriere schon früh einen kreativen Weg gefunden, die Geni im lateinischen Imperfekt sowie Cosinus und Sinus wirkungsvoll in den Hintergrund zu rücken: Es sah so aus, als würde ich mich konzentriert über meinen Block beugen, doch statt mitzuschreiben, malte ich Striche. So verflog Stunde um Stunde. Strich um Strich entstand Bild um Bild. Immer fein säuberlich mit Finelinern. Themen-, ziel- und zahllos. Leider litten darunter nicht nur meine Noten, sondern auch meine Lehrer, was mir einen „Mal-Verweis“ in Englisch einbrachte. Erst nach einem Schulwechsel (natürlich auf den Kunstzweig einer Realschule) begann ich wirklich zu lernen, und meine kleinen Kritzeleien entstehen jetzt nur noch in meiner Freizeit. Meistens.
Teil meines Jobs als Wissenschaftler ist es, sich viele Vorträge auf Konferenzen und in Seminaren anzuhören. Manchmal ziehe ich hier und da eine Linie, und wenn der Vortrag nicht fesselnd genug ist, verselbstständigt sich die Sache. Dann entstehen „Botadras“, boring talk drawings. Besonders ergiebig war eine Tagung vor einiger Zeit in der Mitte von Nirgendwo an nasskaltgrauen Wintertagen. Von dort stammt diese Kritzelei.
Wenn ich anfange, eine Einkaufsliste zusammenzustellen, fragt meine sechsjährige Tochter Sunniva oft, ob sie auch darauf malen dürfe. So entstehen Einkaufszettel wie dieser. Schlösser, Prinzessinnen und Prinzen sind ein immer wiederkehrendes Thema. Zusätzlich findet sich auf dieser Zeichnung die Flagge Indiens, weil meine Tochter in der Schule gerade ein Projekt über den Alltag eines indischen Mädchens hatte. Außerdem hat sie auf Norwegisch noch zwei Artikel auf der Liste ergänzt: Fisch und Brokkoli.
Auch ich gehöre zur Gilde der Konferenz- und Telefonkritzler. Lange Telefongespräche ergeben ausführliche Bildchen, kurze halt magere. Manche dieser überwiegend unbewusst entstandenen Produkte koloriere ich auch und versehe sie nachträglich mit einem Zweizeiler. Devise: „Wer kritzelt, baut an kleinen Waben, die manchmal Hand und Augen haben.“
Diese Kritzelei ist während einiger unerträglich langweiliger Schulstunden entstanden. Zwischendurch hat einer meiner Mitschüler den schwarzen Kugelschreiber kaputt gemacht, dann ging es mit Blau weiter. Eigentlich sollte ich ihm danken, denn nur in Schwarz wäre das hier nur halb so interessant ausgefallen.
Während der vielen Sitzungen von kirchlichen Ausschüssen und Gremien, die ich als Pfarrer bestreite, fängt mein Bleistift fast immer an, sich wie von Geisterhand zu bewegen. So kann ich gedanklich am besten bei der Sache bleiben. Diese Kritzelei ist das Ergebnis der intensiven Vorbereitung einer Konfirmandenfreizeit.