Mein Vater, Jahrgang 1903, erzählte mir früher gerne Geschichten aus seiner Jugend in Wermelskirchen. Also: Die Jungens konnten damals, wenn sie hungrig waren, mit ihren Mützen zur Backstube gehen und sich dort vom Bäcker für drei Pfennige Brezzelgeschrabbelz einfüllen lassen, eine Mütze voll. Man hört diesem Wort förmlich an, wie der Bäcker mit einem Metallschaber die knusprigen Reste von einem Blech kratzt, auf dem gerade Brezeln gebacken worden sind.
Direkt nach meinem Abitur 1942 musste ich als »Pflichtjahrmädchen« in einem Haushalt arbeiten. In der Küche meiner Arbeitgeberin gab es ein Regal für Besen, Teppichklopfer und Schrubber. Als Vorhang vor diesen Utensilien hing ein liebevoll besticktes Tuch. Darauf konnte man lesen: »Willst du eigen sein, halt deine Besen rein!« Ich wollte damals alles andere als »eigen« sein! Aber das Wort ist mir als Kuriosum in Erinnerung geblieben.
»Wir gingen Selbander«, dieser heute nicht mehr gebräuchliche Ausdruck kam mir bei einem Spaziergang an der Ostsee in den Sinn. Er vermittelt eine vertraute Zweisamkeit, auch Zuversicht, die »wir gingen miteinander« nicht haben kann. Miteinander kann man zu vielen sein, miteinander kann man streiten. Die Geborgenheit, die in selbander mitschwingt, ist nur noch im festen Begriff der »Anna selbdritt« zu spüren. Die Darstellungen der fülligen Großmutter mit ihrer Tochter Maria und dem Jesuskind im Schoß flößen mit der Würde der reifen Frau das Vertrauen ein, dass diesem Kindchen nie etwas Böses widerfahren könnte – auch wenn man weiß, dass es ganz anders kam.
In Zeiten der Rezession gilt es als unverzeihlich, seine Zeit zu verplempern. Immer wieder wird man daran erinnert, wie wichtig es wäre, optimal Nützliches zu tun. Dabei vergisst man, dass vergeudete Zeit, in der man jemandem geduldig zuhört und ihn ermuntert oder, auf einer Wiese liegend, den Himmel betrachtet, sehr viel ertragreicher ist, als an einer verbogenen Schraube zu drehen.
Dreschflegelund Scheunendrescher! Bei Ersterem handelt es sich nicht um einen ungezogenen, gewalttätigen Menschen, sondern um ein Arbeitsgerät, mit dem früher das Getreide gedroschen wurde. Das Dreschen mit dem Dreschflegel war eine körperlich harte Arbeit, bei der in der Scheune die Körner aus den Getreide- ähren herausgedroschen wurden. Diese Arbeit übernimmt heute auf den Getreidefeldern der Mähdrescher. Die Männer – Scheunendrescher genannt –, die damals diese schwere Arbeit ausübten, waren gestandene Mannsbilder, mit einem ungeheuren Durst und großem Appetit. Noch heute sagt man auf dem Land über einen, der viel essen und trinken kann, er esse und trinke wie ein Scheunendrescher.
Wer nur so in den Tag hineinlebte, zwar meistens fröhlich, aber auch etwas unzuverlässig war, den nannten wir früher einen Luftikus. Eine weibliche Form ist mir dagegen nicht bekannt!
Beim Spaziergang im Hamburger Hafen fragte ich, 51, meinen Vater, 81, ob diese langen schwarzen Holzpfähle im Hafenwasser eigentlich einen Namen hätten. Das seien doch Duckdalben, erklärte mir mein Vater, an denen die Schiffe festmachen, wenn am Kai kein Platz mehr ist! Er schien etwas erstaunt zu sein ob meiner Unwissenheit. So ein witziges Wort für eine so wichtige Sache, das finde ich immer wieder schön. Und besonders schön, weil es mir mein Vater erklärt hat!
Meine Tochter Diana präsentierte ihren Großeltern ihr erfreuliches Zeugnis. Mein Vater nickte anerkennend und meinte: »Früher hätte man gesagt, du bist eine Schanzkachel.« Wir lachten spontan los ob dieses uns bis dahin unbekannten Ausdrucks. Doch der Duden bestätigte die Auskunft meines Vaters, wonach der Begriff »schanzen« früher als Synonym für »lernen« verwendet wurde. Wie mein Vater weiter erklärte, beschrieb der (schwäbische) Ausdruck »Kachel« eine Person, die eher fülliger Statur war, und »Schanzkachel« entsprechend Streber beiderlei Geschlechts. Denn die hätten durch das ausgedehnte Lernen weniger Zeit für Bewegung gehabt und seien deshalb etwas dicker gewesen – so die Beobachtung meines Vaters. Letzteres trifft auf meine Tochter allerdings nicht zu!
In Graz stehen im Stadtpark und auf dem Schlossberg Bänke, auf denen nur eine Person Platz hat (siehe Foto). Meine Großmutter nannte die immer Zölibatsbankerl.