Meine Wurzeln liegen in Oberschlesien, aufgewachsen bin ich in Dortmund, inzwischen bin ich 70 Jahre alt. Am Wochenende gab es in meinem Elternhaus immer selbst gebackenen Kuchen. Der Hefe- oder Mürbeteig wurde mit der Nudelkulle ausgerollt. Immer wenn ich ein Nudelholz in der Hand habe, fällt mir dieses Wort ein.
Gestern schoss mir beim Anblick einer schief aufgesetzten Baskenmütze das Wort Keck durch den Kopf. Was für ein schönes, selten gebrauchtes Wort! Man sieht förmlich, wie es das Köpfchen reckt, das Kinn ein bisschen nach vorne geschoben, die Augen blitzend: »Na, wie weit kann ich wohl gehen?« Keck ist die kleine Schwester von Kühn und Mutig, hat noch nicht deren Ernst, und entfernte Kusine des etwas unbedarften Tollkühn, der, obwohl schon älter, irgendwie nicht richtig erwachsen werden will. Keck aber ist noch jung, unbekümmert, verspielt wie ein junger Hund. Für Keck ist noch alles leicht.
Wir sind bei Freunden eingeladen. Es gibt Lasagne. Also spöttelt jeder ein bisschen. Unser Freund, der geschäftlich viel unterwegs ist, kommentierte den Spott mit: »Ich habe das Hackfleisch aus Rumänien mitgebracht.« Doch wir wissen, dass er nur mit frischen Produkten aus verlässlichem Handwerk kocht. Und essen die Lasagne ratzeputz auf. Das Wort gefällt mir in diesem Zusammenhang besonders gut. Was gut ist, das putzen auch die intelligenten Ratten weg.
Ein Begriff, der für mich mit dem Wortschatz meines Elternhauses in Verbindung steht, lautet gehaltvoll. Meine Mutter verwendet das Wort gerne: Eine nahrhafte Wintersuppe, ein guter Eintopf ist für sie gehaltvoll. Aber auch geistige Nahrung – ein gutes Buch zum Beispiel – kann gehaltvoll sein. Das Wort scheint ansonsten kaum in Verwendung zu sein, jedenfalls kommt es mir sonst nur selten zu Gehör. Für mich klingt es etwas vornehm und zurückhaltend, anders als das viel aufdringlichere »opulent«.
Violoncello ist mein Lieblingswort, solange ich denken kann: diese Eleganz, diese Leichtigkeit, dieses Tremolo zu Beginn, um nach den geradezu artistisch anmutenden Zungenbewegungen der ersten drei Silben, in die man sich am besten mit geschlossenen Augen kopfüber hineinstürzt, nun das einzige »e« des Wortes elegant, ein wenig lasziv und in aller Ruhe ins Delta des »o« fließen zu lassen. Der Klang nimmt mich mit in mondäne Badeorte, ich denke an Positano, an galante Herren und geheimnisvoll lächelnde Damen, an Strohhüte und an Musikkapellen mit dem Schmelz jener Tage im Repertoire. Kann man da noch schlechter Laune sein? Ich jedenfalls bin gegen den Zauber dieses Wortes vollkommen wehrlos.
In einem Lesebuch, verlegt 1899, las ich über den Verfasser »weil. Professor am Königlichen Gymnasium zu Wiesbaden«. Die Abkürzung »weil.« stand für weiland, doch dieses Wort gibt es nicht mehr. Man sagt »einst« oder vielleicht auch »einstmals«. Wenn man aber das Wort Weiland noch benutzen würde, könnte man sich an den Dichter Ch. M. Wieland erinnern, der weiland in Erfurt und Weimar wirkte.
Als Kind und junges Mädchen besuchte ich gern zwei alte Tanten im Rheinland, von denen eine sehr spendabel war. Ich bekam oft ein Flöttken – einen Scheck oder einen Geldschein –, und so griffen sie mir finanziell unter die Arme, wenn ich den Dalles hatte. Leider sind diese Wörter – wie meine Tanten – nicht mehr von dieser Welt.
Ich fürchte um den Feierabend, die klare Unterscheidung zwischen der bezahlten Arbeit am Tag und den Mußestunden am Abend. Ständige Erreichbarkeit hat den Wortsinn des Feierabends aufgeweicht. Mit der Zeit ändert sich eben vieles, auch die Sprache, da hilft kein Lamentieren. Und deshalb höre ich jetzt auch auf, mache Schluss oder noch besser: mache Feierabend.
Das wunderbare Wort umfrieden, das ich unlängst in einer Kolumne in der ZEIT wiederentdeckt habe, gehört nun zu meinem Wort-Schatz. Beschreibt es doch auf eine so freundliche Art und Weise, was damit gemeint sei, einen Garten oder ein Stück Land zu umzäunen. Ich finde, es schwingt unweigerlich etwas Friedvolles in diesem Wort mit, das alle Erfahrungen mit Grenzen, Trennendem und unüberwindbaren Hindernissen vergessen lässt.
Fast wäre es ausgestorben, das Fräulein vom Amt. Wie gut, dass mein Schwiegervater sich neulich erinnerte! Er fuhr in einem Auto mit Navi mit, und die freundliche Stimme aus diesem Gerät war es, die Erinnerungen an eine Stimme aus vergangenen Zeiten in ihm wachrief: Damals, als man noch beim »Amt« anrief, also bei der Telefonvermittlung, wenn man ein Ferngespräch führen wollte. Von Hand stöpselte das Fräulein vom Amt die gewünschte Verbindung… Unser Navi heißt jetzt »das Fräulein vom Amt« – und seit es diesen freundlichen Namen trägt, kann ich mich gar nicht mehr über »sie« ärgern.