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Unterwegsbahnhöfe: Mein Wort-Schatz

Die Deutsche Bahn wird wegen des Gebrauchs von Anglizismen oft gescholten. Ich zucke aber auch bei den deutschen Wortschöpfungen zusammen, etwa wenn die Ansage kommt: »Die Anschlüsse auf allen Unterwegsbahnhöfen werden erreicht.« Als ich vor Kurzem am Gare du Nord in Paris eine Fahrkarte lösen musste, fand ich auf dem dreisprachigen Hinweisschild auch das Wort Fahrkartenschalter, was mir in dieser Umgebung dann doch Tränen der Rührung in die Augen trieb.

Heinz Burger, Berlin

 

Stadtranderholung: Mein Wort-Schatz

Während der Ferien erfreuten mich täglich Zeitungsberichte über Aktionen für Schulkinder, deren Familien sich keinen Urlaub leisten können. In den fünfziger Jahren nannte man das Stadtranderholung. Als Bewohner der Dortmunder Nordstadt hatten wir lediglich Blickkontakt mit der Natur: Vom Küchenfenster unserer Zweieinhalbzimmerwohnung aus konnten wir die Kastanien der benachbarten Gartenwirtschaft sehen. Pflanzen zum Anfassen gab es nur, wenn wir, mit dem Matchbeutel bepackt, Fußmärsche zum Fredenbaum oder in den Hoeschpark unternahmen. In den Sommerferien aber durften wir uns bei der Stadtranderholung anmelden. Jeden Morgen startete am Hauptbahnhof ein Sonderwagen der Straßenbahn, der lärmende Schulkinder dahin brachte, wo es Wald, Wiesen und Felder gab. Meine Schwester und ich stiegen an der dritten Haltestelle zu, bekamen also immer Sitzplätze. Unser Ziel war das »Hexenhäuschen«, das Waldheim einer kirchlichen Einrichtung. Hier spielten, bastelten und sportelten wir den liegen langen Tag. Wir durchstreiften den Wald, wanderten zu den Getreidefeldern und lernten, verschiedene Pflanzen und Getreidesorten zu unterscheiden. Es gab auch einen Schlafraum mit Feldbetten, wo wir nach dem Mittagessen eine Ruhestunde halten mussten, auf die wir durch Märchen oder Gruselgeschichten eingestimmt wurden. Am meisten liebte ich den abendlichen Singkreis vor der Heimfahrt. Wie schön, dass es die Stadtranderholung immer noch gibt: Bei der Google-Suche fand ich unter diesem Stichwort 27.900 Treffer aus Städten von Augsburg bis Zülpich!

Helga Bothe, Kierspe, Nordrhein-Westfalen

 

Ätschegäbele: Mein Wort-Schatz

Nur ein knitzer Schwabe weiß wahrscheinlich, unter welchen Bedingungen er das Missgeschick eines anderen mit »Ätschegäbele«. Eine Übersetzung in verständliches Deutsch, etwa »Geschieht dir gerade recht!«, deckt ja den liebenswürdigen Charme dieses Wortes genauso wenig ab wie »frech« die Bedeutung von »knitz«. Ich freue mich jedenfalls, diese beiden Wörter bei passender Gelegenheit einsetzen zu können. Hallo, gell, ihr Schwaben?!

Gerhard Evers, Göppingen

 

Wegspinne: Mein Wort-Schatz

Ich finde die Wegspinne ein echtes Wort-Schätzchen; ich habe sie im Pfälzer Wald entdeckt. Als Wieder-neu-Familienwanderer können wir mit der Suche nach der nächsten Wegspinne und der damit verbundenen Frage, ob wir auch den richtigen Weg eingeschlagen haben, nicht nur die Kinder bei Laune halten. Und wenn man sie gefunden hat, steht man vor der nächsten Herausforderung: wieder den richtigen Weg heraus zu finden.

Andrea Kühberger, Neckargemünd

 

Lump: Mein Wort-Schatz

Lump ist eine der wenigen Gattungsbezeichnungen, zu denen der Duden kein weibliches Gegenstück kennt. Einst wurde „Lump“ für Männer verwendet, die sich nach einem Heiratsversprechen in die Büsche verzogen. Hatten sie die Frau auch noch geschwängert, wurde diese als Schlampe bezeichnet. Das Kind war dann ein Bankert, der mit der Lumperei seines Vaters leben musste. Heutzutage sind Lumpen meist die Männer, die ihre Doktorarbeit fälschen oder staatliche Gelder in die eigene Tasche stecken.

Eva Schwarz, Berlin

 

Löschwassereinspeisestelle: Mein Wort-Schatz

Ich bin 1957 geboren und mit dem Gefühl aufgewachsen, dass es eine Schande sei, deutsch zu sein. So habe ich mich stets als Individuum und nicht als Teil einer Nation begriffen. Seit fünfzehn Jahren arbeite ich häufig in den USA, und obwohl ich gern und gut Englisch spreche, ist mir erst während dieser Reisen klar geworden, was an mir typisch deutsch ist. Das fängt schon mit meinem Namen an: das dunkle U, das rollende R und das harte K, gefolgt von einem stummen E, das sind gleich mehrere unüberwindliche Hindernisse für englischsprachige Menschen. So habe ich mich ausgesöhnt mit meinem Pass und die deutsche Sprache lieben gelernt, mit all ihrer Umständlichkeit, aber auch Genauigkeit. Wie fast jeder Geschäftsreisende, der viel Zeit in Flugzeugen verbringt, will auch ich zum Schluss nur noch nach Hause. Und wenn ich nun aus dem Land komme, wo selbst der schönste Liebesbrief als love letter in zwei Teile geteilt wird, in Düsseldorf lande und im Eingang mein Blick auf das herrliche Wort Löschwassereinspeisestelle fällt, dann weiß ich: Ich bin zu Hause, und hier gehöre ich hin!

Ulrike Voelcker, Bochum

 

Verkasematuckeln: Mein Wort-Schatz

Verkasematuckeln – was für ein Wort, aufregend, verschwörerisch und fremd! Kamen wir als Kinder an einem Apfel- oder Pflaumenbaum vorbei und konnten einige Früchte erreichen, hieß es: »Komm, die verkasematuckeln (verspeisen) wir!« Hatte man etwas nicht begriffen, bat man: »Kannst du mir das einmal verkasematuckeln (erklären)?« Meine Enkel im Vorschulalter sprechen bereits Englisch und etwas Chinesisch. Das geheimnisvolle Wort aus Großmutters Kindheit aber werden sie nie zu hören bekommen.

Ursula Marquardt-Treser, Burgwedel

 

i-Dötzchen: Mein Wort-Schatz

Heutzutage treten die Sechsjährigen als Abc-Schützen oder als Schulanfänger in die Grundschule ein. Den fast zärtlichen Namen i-Dötzchen, der aus meiner Kindheit im Bergischen Land stammt – als das Schulleben mit Schiefertafel und Griffel begann –, habe ich bis jetzt nicht vergessen.

Karl-Josef Mewaldt, Buxheim (Schwaben)

 

Telefongabel: Mein Wort-Schatz

»Du musst den Hörer auch richtig auf die Gabel legen«, sagte meine Mutter immer, wenn das Telefon nicht richtig funktionierte. Bei einem alten Telefon mit Wählscheibe und Hörer nannte man die Auflage für den Hörer Telefongabel. Durch Abnehmen des Hörers wurde die Telefonleitung aktiviert und durch Auflegen wieder beendet. Heute geschieht das ja durch Drücken einer Taste oder Berührung des Bildschirms. »Ich leg jetzt auf« stirbt damit wohl aus. Meine Kinder kennen den Begriff Telefongabel schon gar nicht mehr.

Herbert Höltgen, Essen

 

Ferngespräch: Mein Wort-Schatz

Ferngespräch, das klingt nach etwas Besonderem, nach Ferne. Neulich stieß ich in einem Telefonat mit einem Freund auf dieses Wort. Er sagte zu einem Kollegen, als er mit mir telefonierte, er führe ein »Ferngespräch«. Reaktion: Verwunderung. Er wohnt im Westen, genauer in Walldorf bei Frankfurt, und ich lebe in Dresden, also im Osten. Wir necken uns gern mit den typischen Ost-West-Klischees. Erwähnen sollte ich wohl, dass wir beide zur Zeit der Wende um die zwölf Jahre alt waren. Heutzutage telefoniert man mit Flatrate sonst wohin und macht sich keine Gedanken mehr darüber. Aber in unserer Kindheit sah das noch anders aus. Gerade in der DDR gab es nur in wenigen Haushalten ein Telefon. Und so war es an der Tagesordnung, dass man als Telefonbesitzer Besucher hatte, die kamen, nur um ein Ferngespräch zu führen.

Marlen Arnold, Dresden