Berlin, Sommer. Ich gehe mit meinem Freund durch den Charlottenburger Schlosspark. Mein Freund kommt aus Wales, er spricht Englisch, Walisisch und Spanisch, aber kaum Deutsch, sodass ich die verantwortungsvolle Aufgabe übernommen habe, ihm unsere Sprache beizubringen. Jeden Tag sprechen wir eine halbe Stunde einfachstes Deutsch. Wir nennen es unsere Sesamstraßen-Konversation.
Wir gehen also durch den Park. Es ist sonnig, die Blumen leuchten in allen Farben, und ich fühle mich wie Königin Sophie Charlotte, die durch ihren Garten schlendert. Da kommt mir das Wort in den Sinn, das genau die Aktivität des Gehens um des Vergnügens willen beschreibt: lustwandeln. Und da dieses Wort so schön klingt, lasse ich – wie es sich für eine ordentliche Deutschstunde gehört – meinen Freund das Wort durchkonjugieren: »Ich lustwandle, du lustwandelst, er, sie, es lustwandelt …« Natürlich erkläre ich ihm, dass man heute eher »spazieren gehen« sagt. Nicht, dass er einem Freund später erzählt: »Wir sind ein bisschen gelustwandelt.« Aber es ist schön, ab und zu die Oberfläche des Sesamstraßen-Deutsch zu verlassen, um die Tiefen der deutschen Sprache auszuloten!
Kommen wir doch mal auf ein Glas Gänsewein zusammen! Für diesen schönen alten Begriff, der vom Aussterben bedroht ist, habe ich eine Patenschaft übernommen. Ich liebe es, Gänsewein auszuschenken, gesund, vital lebensnotwendig und in nicht absehbarer Zeit wahrscheinlich ein teures Elixier! Studiert man in exklusiven Lokalen die Wasserkarte, stößt man auf verschiedenste Bezeichnungen für Gänsewein in Form von Grander Wasser, Levitiertes Wasser, Ayurvedisches Wasser, Bioenergetisches Wasser… Ein neues Qualitätsbewusstsein ist erkennbar.
Für mich stellt sich dabei allerdings die Frage, ob wir der ursprünglichen Schlichtheit des Wassers, die als Image völlig ausreichend ist, nicht den Hahn zudrehen. Also, wann erfrischen Sie mal wieder Ihr Gegenüber mit einer Einladung zum Gänsewein? Es wäre doch zu schade, dieses Wort nicht weiter zu kultivieren.
Ein Begriff, der es verdient, wiederentdeckt zu werden, ist Hasenbrot. So nannte meine Großmutter ein belegtes Brot, welches zur Wegzehrung auf Ausflügen gedacht war, dann aber ungenutzt wieder mit nach Hause fuhr. Mit Begeisterung aß ich es als Kind und es spielte für mich keine Rolle, dass meine von Krieg und Entbehrungen geprägte Oma es mit diesem Begriff zu etwas Besonderem machte, nur um nichts wegwerfen zu müssen. Für dieses Wort möchte ich eine Lanze brechen, zur Freude der Kinder und zum Wohle der Umwelt.
Eines meiner Lieblingswörter ist Schabernack, und zwar immer in der Verbindung mit dem Verb »treiben«. Meine Mutter gebrauchte es bisweilen, wenn wir als Kinder Flausen im Kopf hatten und Streiche spielten. Schabernack meint dabei immer den leichten, intelligenten und lustigen Unsinn, über den man sich – zumindest im Stillen – auch als Lehrer freuen kann. Wenn es um Sachbeschädigungen oder Böswilligkeiten gegen andere geht, hört der Schabernack auf.
Ein Substantiv, das ich sehr oft benutze, weil es mir so gut gefällt: Schnurrpfeifereien. Schnurrpfeifereien sind für gewöhnlich Dinge oder Tätigkeiten, die man eigentlich nicht braucht, die aber dafür umso schöner sind. Auf die Frage »Was hast du denn heute gekauft?« zu antworten: »Och, nur Schnurrpfeifereien!«, ist also an sich nichts Abwertendes. Gelegentlich findet man allerdings in alten Büchern das Wort auch mal in leicht negativem Sinn, wenn etwas »ohne Schnurrpfeifereien«, sachlich und ohne Schnörkel ist.
Eben habe ich es gehört – das Wort Firlefanz lebt! Firlefanz kann alles sein. Er ist überflüssig und vielleicht deshalb oft liebenswert. Er ist überall, vom Dachboden bis zum Keller, im Auto, im Essen, in der Mode, in Texten und Liedern. Firlefanz ist die perfekte sprachliche Krimskrams-Schublade für alles aller Art, dabei unterscheidet er sich deutlich vom Schnickschnack – auf ihn verzichtet man gerne.
Obwohl ich seit beinahe 60 Jahren fast nur noch hochdeutsch spreche, gehören einige plattdeutsche Ausdrücke immer noch zu meinen Lieblingswörtern, zum Beispiel Radioproter (»Radiosprecher« – mein erster Berufswunsch) oder das neuere Wort Mientje Dientje (»Meins Deins«), womit der Trennstab zwischen den Waren an der Kasse im Supermarkt gemeint ist.
Es ist nicht unbedingt mein Lieblingswort, aber eines, das ich regelmäßig verwende: das Adjektiv lidschäftig. Ein alter, wackeliger Stuhl ist lidschäftig oder ein fahruntüchtiges Fahrrad – und auch der eine oder andere Freund ist mittlerweile ein wenig lidschäftig geworden…
Erstaunt war ich aber, als ich im Gespräch mit Menschen aus anderen Regionen Deutschlands damit Unverständnis erntete. Das ist doch nur Dialekt, bekam ich dann zu hören – das gibt es nur bei euch in Franken. Nichtsdestoweniger ist es ein schönes Wort, das den beschriebenen Zustand sehr gut veranschaulicht – ich kann es nur empfehlen.
Ein Wort, das ich poetisch finde und sehr liebe: Augenweide. Mein Großvater sagte – vor über 60 Jahren – häufig zu mir, dem bezopften kleinen Mädchen: »Dodi, du bist meine Augenweide.« Unwillkürlich verband ich das Wort seinerzeit mit dem Bild, das in mir entstand, wenn er mir den 23. Psalm vorlas: »Er weidet mich auf einer grünen Au und führet mich zum frischen Wasser.« Mein Opa, ein alter Pastor, extrem kurzsichtig, die Bibel dicht vor die Augen haltend, las diesen Psalm mit seinem vokaltiefen baltendeutschen Akzent. Seither verbinde ich mit dem Wort Augenweide eine schöne Vorstellung: Erquickung für Großvaters müde, durch dicke Brillengläser strapazierte Augen.
Oft standen wir im Stau auf dem Weg zu den deutschen Ostseebädern, Schilder hingen an den Häusern: Fremdenzimmer. Das waren Zimmer, die man vermietete an Fremde, die dann oft mit Familienanschluss in den deutschen Ostseebädern Urlaub machten. Manches Mal wurden aus Fremden Freunde. Das Wort Fremdenzimmer erzählt von der Bereitschaft, sich dem anderen zu öffnen, ihn zu beherbergen, ihm zu vertrauen.