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Gabelfrühstück: Mein Wort-Schatz

Das Gabelfrühstück, das ehrwürdige hanseatische Kaufleute nach den ersten Arbeitsstunden im Kontor des Handelshauses gegen elf Uhr zu sich nahmen. Inzwischen ist daraus das neudeutsche »Brunch« geworden! Man stelle sich vor, Thomas Mann hätte den Konsul und den Senator im Gehrock und mit Spazierstock zum Brunchen gehen lassen – schrecklich!

Hubert Schröder, Lippstadt

 

Wegzeerum: Mein Wort-Schatz

Ein Wort, das mich seit Kindertagen begeistert hat, vor allem weil es mit einer besonderen Aufmerksamkeit meiner Großmutter verbunden war, ist die »Wegzeerum«. So jedenfalls hatte ich es als Kind verstanden und fand es von mystischer Tiefe, geradezu rätselhaft. Das lag wohl an der Endung auf -um, die sich nicht recht einordnen ließ. Später wurde mir klar, dass eigentlich die Wegzehrung gemeint war, was meine Zuneigung für dieses Wort jedoch in keiner Weise schmälerte. Da es vom Aussterben bedroht scheint, propagiere ich es nach Kräften. Wie viel besser ein Butterbrot auf einer Wanderung als Wegzehrung schmeckt denn als schnöder Proviant, sollte jeder einmal ausprobieren!

Claus Wurst, Heilbronn

 

Mutterseelenallein: Mein Wort-Schatz

Eigentlich bin ich fast 84 Jahre lang heiter durchs Leben gegangen. Aber seit Kurzem geht mir ein Wort nicht mehr aus dem Kopf, das meine Gefühlslage exakt beschreibt: mutterseelenallein! Ich wünschte mir so sehr, dass sich die Stimmung bald wieder aufhellt, damit ich meinem 91-jährigen, blinden Mann wieder fröhlich vorlesen kann.

Ursel Bräuning, Germering

 

Flugs: Mein Wort-Schatz

Vor Kurzem hatten wir eine lustige Begegnung mit einem Wort, das man heute nur noch selten hört. Wir waren am Ende einer wunderschönen Wanderung auf dem Rheinsteig, als ich in der Wegbeschreibung las, wir müssten »zu einem Abzweig mitten im Wald, von dem aus man flugs hinab nach Osterspai gelangt«. Flugs kommt vom mittelhochdeutschen vluges »im Fluge, eilend« – schwer vorstellbar nach dem stundenlangem Auf und Ab. Irgendwie verlieh uns die durch das Wort ausgelöste Heiterkeit dann aber doch noch Flügel. Nun haben wir ein neues Lieblingswort, wenn beim Wandern die Füße schwer werden: Jetzt geht es flugs hinab!

Evelin Engert-Buder, Solms, Hessen

 

Einander: Mein Wort-Schatz

Oft hört man: »Wir sehen uns sowieso morgen.« Aber uns können wir höchstens im Spiegel sehen. Deshalb ist mein Lieblingswort einander. »Wir sehen einander ohnedies morgen.« Das Wort klingt wunderschön, und es gibt einen auf den anderen bezogenen Gehalt – wechselseitig. Probe: Wir lieben sich? Wir lieben uns? Wir lieben einander! Ist doch schöner!

Herbert Haller, St. Georgen, Kärnten, Österreich

 

Fabulieren: Mein Wort-Schatz

In der kleinen französischen Stadt Moulins in der Auvergne trafen wir kürzlich auf einen veritablen Wort­-Schatz­-Sucher. Wir gingen am Abend mit ihm in der Stadt spazieren und saßen anschließend noch gemütlich bei einem Tee beisammen. Es stellte sich heraus, dass er ein angehender Schriftsteller war und als solcher Wörter verschiedener Sprachen sammelte. Er fragte uns nach unseren deut­schen Lieblingswörtern. Mir fiel sogleich fabulieren ein. Mit seiner herrlichen Übereinstimmung von Form und Inhalt ist es ein Lobgesang auf den Reichtum ausschweifender Texte. Mit seiner phonetischen Sanftmut deckt es einen zarten euphemistischen Schleier über so manchen Text, der andernfalls als »Geschwafel« abgestempelt werden müsste. Als wir von unserer Reise zurückkamen, erhielten wir diese Nach­richt aus Moulins:
»I must say I appreciated your curiosity and your politeness, our walks and your stories. Danke for your words (fabulieren, liebkosen, scharwenzeln): one day I’ll be able to use them and feel their musicality! Have a great life!«

Martin Wunderlich, München

 

Handschuhfach, Kotflügel, Brieftasche: Mein Wort-Schatz

Mich faszinieren Wörter, die sich von ihrem ursprünglichen Sinngehalt längst entfernt haben und trotzdem noch zu unserer tägli­chen Umgangssprache gehören. Handschuhfach etwa: Alles Mög­liche wird heutzutage in diesem Fach aufbewahrt, aber kaum noch Handschuhe. Kotflügel ist auch ein solcher Begriff, entstanden zu einer Zeit, als man sich im Straßenverkehr der Kutschen bediente und vermeiden wollte, dass Straßenschmutz oder Pferdekot in den Innenraum des Fahrzeugs ge­schleudert werde. Oder die Brieftasche: Wer führt in dieser »Ta­sche« noch Briefe mit sich?

Helmut Dieth, Nieder­-Olm

 

Frühlingsgefühle: Mein Wortschatz

Im November kann ich mich kaum noch erinnern, in der Adventszeit denke ich an das bevorstehende Fest, doch im Januar und Februar wünsche ich mir, dass mich bald mein Lieblingswort überkommt: Frühlingsgefühle. Ist es nicht herrlich, wenn die ersten Schneeglöckchen erscheinen, die Krokusse sprießen und dann die Osterglocken und Tulpen die Gärten zum Leuchten bringen? Dann habe ich wieder meine Frühlingsgefühle. In früheren Jahren habe ich natürlich auch anderes unter diesem Wort subsumiert.

Hans-Günter Loock, Friedrichsdorf

 

Ruscheldupps: Mein Wortschatz

Ruscheldupps – so nannte meine Mutter, die aus Ostpreußen stammte, zärtlich ihre Enkelkinder, wenn sie unruhig auf ihrem Schoß herumturnten. Ein liebevoller und lautmalerischer Ausdruck – vielleicht ähnlich unserem hessischen Zappelphilipp. Und niemand dachte dabei an ADHS.

Christel Heukäufer, Hadamar

 

Söller: Mein Wortschatz

Nicht der Speicher, nicht der schick ausgebaute Dachboden, nein: der Söller ist der Ort meiner Kindheit, auf dem ich mit meinem Bruder in den fünfziger Jahren eintauchte in eine andere Welt. Schummrig beleuchtet durch nur eine kleine Dachluke und eine am Dachfirst pendelnde Glühbirne, unheimliche Ecken unter der Dachschräge, Spinnweben und Staub, ein leichter Duft von Mottenkugeln und Muff: Dort war das Refugium der abgelegten Dinge, von denen sich meine Eltern in der Nachkriegszeit nicht trennen konnten. Regale mit alten Büchern, Zeitschriften, Poesiealben in alter, unlesbarer Schrift, Pappkartons voller welliger, nicht eingeklebter Schwarz-Weiß-Fotos, Schubladen mit Krimskrams; nicht zu vergessen ein alter Kleiderschrank, dessen quietschende Türen uns den Blick auf alte Kleider, Hüte und Taschen öffneten, mit denen wir uns gern verkleideten. Der Söller war für mich ein heimeliges Eintauchen in die Vergangenheit unserer Eltern.

Johanna Gossel, Mönchengladbach