Lesezeichen
 

Lustwandle: Mein Wort-Schatz

Mehrmals in der Woche gehe ich durch den wunderschönen Schwetzinger Schlossgarten. Jedes Mal nehme ich mir vor, stramm zu gehen, weil das gesund wäre und auch der Figur zuträglich. Aber jedes Mal verlangsamt sich mein Tempo nach höchstens 500 Metern. Ich schaue: Jeder Blick schön wie ein Gemälde. Ich lausche: Was war das für ein Vogel? Und ich lustwandle, wie es sich in einem so schönen kurfürstlichen Garten gehört. Ich verschränke die Hände auf dem Rücken, ich schnuppere die gute Luft … Das alles ist zwar nicht so gut für die Figur, aber für die Sinne und die Seele.

Claudia Lohmann, Schwetzingen

 

Wasserdampfdiffusionswiderstandszahl: Mein Wort-Schatz

Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Nichtsdestotrotz ist ein deutsches mein Lieblingswort. Vor 25 Jahren, als ich nach Deutschland kam und mein Deutsch noch recht holprig war, gehörte es zu meinem Alltag, in den DIN-Normen nachschlagen zu müssen. Dort fand ich das Wort Wasserdampfdiffusionswiderstandszahl. Ein Traumwort! In allen anderen mir bekannten Sprachen muss dieser Begriff mithilfe gleich mehrerer Wörter umschrieben werden.

Andrzej Klimczyk, Gerlingen

 

Feldrain: Mein Wort-Schatz

Mein Wort-Schatz heißt Feldrain. Was steckt alles in diesem Wort! Sommerhitze, gelbe Kornfelder, leuchtende Mohn- und Kornblumen, ab und zu auch Kamille, Insektengesumm – Sommerferienkindheitsglück. Später kam mir mein Wort-Schatz abhanden. Da gab es nur noch Weg- oder gar Straßenränder. Das klingt nach Staub und Verkehr, und ich trauerte meinem Feldrain nach. Aber dann kam er wieder, allmählich erst, dann immer häufiger, und heute freue ich mich bei unseren Spaziergängen wieder an meinem bunten, duftenden Feldrain.

Almut Eberhardt, Detmold

 

Lapislazuli: Mein Wort-Schatz

Im Kunstunterricht begegnete mir einst das Wort Lapislazuli: alten Ägypterinnen gewannen aus diesem Halbedelstein Farbe und verwendeten sie unter anderem als Augenschminke. Noch mehr als das aber faszinierte mich der Klang des Wortes und wie es auf der Zunge schmeckte: La-pis-la-zu-li. Eine herrliche Wortmelodie, welche mir nicht mehr aus dem Kopf ging. So nahm ich das Wort durch mein weiteres Leben mit und konnte auch nicht widerstehen, es in einem Internetforum als mein Pseudonym zu verwenden.

Es gibt aber auch Begriffe, die ein Gefühl so plastisch beschreiben, dass man es beim Lesen intuitiv spürt. Zum Beispiel: Herzeleid. Dieses Wort hat eine wahrhaft poetische Anmutung, was den emotionalen Zustand, so man ihn erlebt, zwar auch nicht besser macht, ihn aber in wunderbarer sprachlicher Eleganz beschreibt. Ein lautmalerisch interessantes Wort ist holterdiepolter. Es besticht durch seinen Reim und durch die Zwischensilbe »die«. So wird förmlich greifbar, wie etwas überstürzt und geräuschvoll passiert und einen etwas unaufhaltsam ereilt, was man sich lieber mit mehr Ruhe und Zeit gewünscht hätte.

Tohuwabohu dagegen klingt zunächst befremdlich. Es scheint keinen Sinn zu haben, strahlt aber etwas Magisches aus. Kommt es vielleicht aus einer Indianersprache? Nein, es stammt aus dem Hebräischen und steht für »völlige Unordnung, Durcheinander«. Ich denke an meine Kindheit und mein Kinderzimmer. Aber ist nicht oft aus dem Chaos etwas Neues, Geniales entstanden, wenn wir aus Decken, Matratzen und Lampen Raumschiffe gebaut und aus  Tischdecken und Handtüchern kunstvolle Räuberhöhlen installiert haben?

Ein ganz und gar schönes Wort schließlich ist Schmuckschatulle. Ihm haftet eine herrliche Patina an, die an Omas Maiglöckchenparfum und ihren Toilettentisch im Schlafzimmer erinnert. Man kann sich in einer Schmuckschatulle keinen Modeschmuck vorstellen, sondern nur edle, echte Preziosen, die in der Schmuckschatulle sorgsam drapiert und nur zu besonderen Anlässen getragen werden. Die Schmuckschatulle selbst besteht selbstredend aus hochwertigen Materialien wie Edelhölzern und Messing, im Inneren ist sie mit Samt verkleidet. Im Gegensatz zum profanen Schmuckkasten der neueren Zeit besticht die Schmuckschatulle durch zeitlose Wertigkeit und altmodische, ja vielleicht etwas verstaubte Eleganz. Und das macht sie um so liebenswerter.

Brigitte Rahn, Aschaffenburg

 

Ehrensold, Abzocke: Mein Wort-Schatz

Mit meinen 89 Jahren vermag ich meinen Wortschatz der Kindheit von Ehre und Ehrensold absolut nicht in Einklang zu bringen mit den neuerdings notgedrungen neu erlernten Begriffen von Schnäppchenjagd und Abzocke. Oder bin ich begriffsstutzig?

Maude von Bauer, Hilders in der Rhön

 

Dämmerstündchen: Mein Wort-Schatz

Wenn es dunkel wird, knipse ich das Licht an. Einfach so, ohne weiter darüber nachzudenken. Meine Urgroßtante Bertha und viele ihrer Zeitgenossen im ausgehenden 19. Jahrhundert zelebrierten hingegen ihr Dämmerstündchen. Dann saß die Dorfschullehrerin Bertha allein in ihrem Zimmer bei einer Tasse Thee oder Chocolade, schaute in der hereinbrechenden Dämmerung über die Felder hinüber zum Waldrand bis er sich kaum mehr wahrnehmbar vom Horizont abhob. Das Tick-Tack der Uhr vertiefte noch die Stille in der sie in einem halb träumenden Zustand der Kontemplation ihren Gedanken freien Lauf ließ. Oder sie dachte – wie sie in ihrem Tagebuch schrieb – an ihre Freundin, die womöglich gerade jetzt an sie dachte. Dann wurde es ganz dunkel und Zeit, die Petroleumlampe anzuzünden…

Hans-Peter Kipfmüller, Karlsruhe

 

Stelldichein: Mein Wort-Schatz

Neulich fiel es mir mal wieder ein, das hübsche Wort Stelldichein. Es bezeichnet das (heimliche) Treffen (frisch) verliebter Menschen. Offenbar geht es auf das französische »Rendezvous«, zurück, das allerdings früher mehr im militärischen Zusammenhang gebräuchlich war: se rendre = sich irgendwohin begeben; rendez vous = begebt euch (wohin) – so benannt aufgrund der gleichlautenden Aufforderung an Soldaten, sich zu versammeln (nach: Kluge, Etymolog. Wörterbuch der deutschen Sprache). Laut Ernst Wasserzieher hat Joachim H. Campe, Sprachforscher und Verleger, den Begriff »Stelldichein« 1791 als Ersatz für das »Rendezvous « geprägt. Schon der Klang ist herrlich – sprechen Sie es ein paarmal nach! Manchmal wird es noch gebraucht, da geben sich etwa Politiker auf einem Klimagipfel oder die futtersuchenden Singvögel im Garten ein Stelldichein. Für mich aber bleibt die amouröse Konstellation die schönste!

Christoph Schirmer, Aachen

 

Karnickelpass: Mein Wort-Schatz

Kennt ihn wohl noch jemand, den Karnickelpass? Ein treuer Begleiter meiner Kindheit als eine von drei Schwestern in den Achtzigern. Ein anderer Name war der »Würmeling «, weil ein Familienminister namens Wuermeling in den fünfziger Jahren dafür gesorgt hatte, dass Kinder aus kinderreichen Familien (und die begannen auch damals bei drei Kindern) mit dem Berechtigungsausweis zum halben Fahrpreis mit der Deutschen Bundesbahn fahren konnten. Bei uns zu Hause hieß er aber immer Karnickelpass, und niemand fand etwas dabei. Sollte es auf Freizeiten oder Klassenfahrten gehen, wurden wir Kinder daran erinnert, ihn einzustecken. Er war ein treuer, für meine Eltern sehr wertvoller Begleiter auf vielen Bahnreisen.

Anneke Hänel, Hamburg

 

Nickerchen: Mein Wort-Schatz

Als Mutter von vier Kindern (das jüngste sieben Monate) ist mir sehr bewusst, welchen Wert der Schlaf hat. Selten finde ich Ruhe, mich am Tag kurz hinzulegen. Aber manchmal eben doch: Die großen Kinder sind beschäftigt, kein Termin drängt, Söhnchen reibt sich müde die Augen. Dann lege ich mich mit meinem Baby ins Bett und kuschle es in den Schlaf – und bleibe dann noch ein bisschen liegen und mache ein Nickerchen. Dieses Wort wirkt so leicht und klein, viel undramatischer als »Mittagsschlaf «. »Ein Nickerchen machen «, das klingt nach etwas, das sich jeder ohne schlechtes Gewissen zwischendurch gönnen kann.

Martha Jäger, Nürnberg

 

Sanftmut: Mein Wort-Schatz

Mein Wortschatz ist die Sanftmut – für mich ein Synonym für Geduld und Besonnenheit, Zuwendung und Wärme. Woran mag es wohl liegen, dass ich nur noch selten auf dieses Wort treffe? Bei einem Vokabeltest mit meinen Schülern täuschten sich fast alle im Genus des Substantivs: Sie glaubten, es heiße »der« Sanftmut. Sie dachten an »Mut« und an die Regel, dass das Genus des letzten Wort-Bestandteils über das Genus eines zusammengesetzten Wortes entscheidet. Etwa: die Tür/das Schloss -> das Türschloss. Warum die Regel nun bei »Sanftmut« nicht funktioniert, konnte ich leider noch nicht herausfinden.

Evelyne Ohngemach, Bad Ditzenbach