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Was mein Leben reicher macht

Seit drei Wochen bin ich krank zu Hause, so langsam fällt mir die Decke auf den Kopf. Da klingelt es an der Tür. Es ist der Postbote – mit einem Päckchen von meiner Mutter. Ich bin total erstaunt. Und auf meine Frage »Aber heute ist doch Sonntag? « erhalte ich die freundliche Antwort: »Das ist vor Weihnachten immer so!« Ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass er sich an der Freude der Empfänger freut.

Christine Brandstätter, Dortmund

 

Was mein Leben reicher macht

Ich habe meine Freundin besucht, in ihrem Wochenendhaus mitten im Wald. Es ist spät geworden. Wir treten vor die Tür und erblicken einen funkelnden, unwahrscheinlich voll gesprenkelten Sternenhimmel. Ein Stern leuchtet besonders hell und nah. Die Venus? Alle möglichen Sternenbildernamen fallen mir wieder ein: Andromeda, Kassiopeia, Pegasus. Und Ingeborg Bachmanns Zeile »Hilf nicht dem großen Wagen weiter«. Wir fühlen uns sehr klein unter diesem unendlichen Kosmos. Später lese ich, dass es der Jupiter ist, der gerade so hell leuchtet. Und dass vor 2000 Jahren möglicherweise eine besondere Konstellation zwischen Jupiter und Venus als der geheimnisvolle Weihnachtsstern gedeutet wurde.

Hilla Lubig-Kraft, Bonn

 

Was mein Leben reicher macht

Ich arbeite in einem Museum und führe jeden Tag viele Kinder und Jugendliche durch Ausstellungen. In einer der letzten Ausstellungen ging es um den menschlichen Geist und dessen künstlerische Darstellung. Ich stand vor einer Gruppe mit vielen kleinen Kindern, die ich fragte, wofür der Mensch denn eigentlich seinen Kopf und seinen Geist braucht. Ein kleines Mädchen antwortete: „Zum Denken! Ich denke auch manchmal. Deswegen habe ich auch ein eigenes Denkmal!“, und zeigte auf einen Leberfleck auf ihrer Wange.

Ivonne Rösler, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Meinem Mann dabei zuzusehen, wie er seine alte Modelleisenbahn wieder aufbaut. Seit Jahren hat sie, gut verpackt, auf ihren erneuten Einsatz bei der nächsten Generation gewartet. Jetzt steckt mein Mann im Rausch kindlicher Begeisterung die Schienen zusammen. Dann dreht der Zug wieder seine Runden und zieht Vater und Söhne in Bann. Ich nehme mir fest vor, mich in dieses Männerhobby nicht einzumischen. Doch als am Abend beide Kinder schlafen, sagt mein Mann: »Komm, fahr mal ’ne Runde.« Und dann liegen wir beide auf dem Wohnzimmerboden, und ich denke: »Ich liebe dich!«

Christiane Wild, Schwäbisch Hall

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Schwiegermutter! Sie ist immer zur Stelle: Für den Radfahrer, der auf der Straße gestürzt ist, für meine Frau und meine Kinder und für mich. Zum Beispiel, wenn ich mal jemanden brauche, mit dem ich einen guten Whisky trinken kann.

Dirk Ludewig, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht


Als Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom ist auch nach 12 Jahren Erziehung und alltäglichen Lebens längst nicht alles selbstverständlich. Bei unbehinderten Kindern entwickelt sich vieles von selbst oder braucht nur eine gewisse Anregung, um zu werden; Moritz muss sich für alles anstrengen und mühen. Besonders das Erarbeiten der Lese-Schreib-Kompetenz fällt ihm sehr schwer.
Am Freitag vor dem 4. Advent steigt mein Sohn strahlend aus dem Schulbus aus und streckt mir mit den Worten „Für Dich“ einen zugeklebten Briefumschlag entgegen. In seiner Gegenwart öffne ich ihn in neugieriger Erwartung und finde eine Weihnachtskarte; auf selbstgezogenen Bleistiftlinien steht: LiEbE MAMA ! LIEbE PAPA, MORiTZ – und ein Weihnachtsaufkleber. Ich bin in der Seele gerührt über soviel Liebe, die mir da in ungelenken Buchstaben begegnet. Lettern, die ein hohes Maß an Konzentration und Mühe zeigen. Mir kommen die Tränen und ich drücke Moritz vor Dankbarkeit und Anerkennung, weil ich weiß, welche Anstrengung diese Zeilen ihm abverlangt haben… Ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Klasse, das ich gut hüten werde.

Regina Hönerlage, Ratingen

 

Was mein Leben reicher macht

Kurz vor Weihnachten: Nur im Schritttempo komme ich mit meinem VW-Bus durch die Hamburger Innenstadt. Am Alten Wall steht neben mir ein alter amerikanischer Straßenkreuzer mit geöffneter Motorhaube. »Haben Sie wohl ein Überbrückungskabel?«, fragt mich der Fahrer, ein alter, grauhaariger Mann. »Nee, tut mir leid!«, rufe ich und rolle langsam weiter. Doch dann meldet sich mein Gewissen: Ich habe ein Kabel, ich bin nicht in Eile, es ist Weihnachtszeit! Ich schere aus der Autoschlange aus. Als der Straßenkreuzer wieder anspringt, schenkt mir der alte Mann eine CD. Er ist Chef einer Oldie-Jazzband, sie hat wunderschön verjazzte Weihnachtslieder aufgenommen. Immer, wenn ich sie höre, erinnert sie mich an dieses anrührende Weihnachtserlebnis.

Wolfgang Kausch, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Endlich wieder Klavier zu spielen! Nach zwei Monaten »Entzug« – ich bin im Auslandssemester in Spanien – frage ich in einem heruntergekommenen Antiquitätengeschäft in Sevilla den Verkäufer, ob ich auf dem Flügel spielen dürfe. »Ja!« Zum Glück bemerke ich erst zum Schluss, dass sich vor dem Schaufenster eine Traube von Menschen gesammelt hat, die mir zuhören.

Merle Hömberg, Cádiz, Spanien