Lesezeichen
 

Taizé ist überall

Donnerstagabend : Taizégebet im winzigen gotischen Totenkirchle in B. Heute sind wir nur 5 Erwachsene und ein Kind. Während der Lieder berühren sich unsere Stimmen, stützen einander, geben Halt. Aus der Melodiestimme löst sich ein Alt, dann ein Tenor, ein Bass, die Überstimme. Je nach Bedarf und Lust wechseln die Stimmen sich ab, entfalten sich, wie auch die Liedtexte in den europäischen Sprachen frei variiert werden können. Beim gemeinsamen Schweigen, in der Stille ist jeder bei sich und doch eingehüllt in ein Miteinander, das zu tragen scheint ohne grenzverletzend oder sentimental zu werden. Es wird spürbar : Wir sind geliebte Wesen. Der Abend klingt aus in weiteren wunderschönen Gesängen, bis wir fast satt sind. Wir lösen uns leicht wie Federn.

Esther Burke, Althütte

 

Gedächtnisstütze

Meine fünfjährige Tochter Emma überreicht mir eine Muschel, die sie aus ihrem letzten Italienurlaub mitgenommen hat und sagt: „Die schenke ich dir. Heb sie gut auf. Diese Muschel soll dich, wenn du ein alter Opa bist, daran erinnern, dass du einmal ein junger Daddy warst.“ Ich lege sie in meinen Bücherschrank.

Alfred Franz Thiele, Altenberg bei Linz, Österreich

 

Was mein religiöses Leben reicher macht

Dass in der katholischen Kirche St. Georg im Münchner Norden zwei Vertreter der muslimischen Gemeinde am Weihnachtsgottesdienst teilnahmen. Der Pfarrer hat den Imam mit Handschlag begrüßt, und dieser hat zu uns gesprochen.

Neeltje Dijkshoorn, München

 

München-Rom und zurück

Silvestertag, gegen 16 Uhr: ab München-Hauptbahnhof nach Rom. Kein Schlafwagen. Mitternacht mit Piccolo am Brenner. Draußen nur Schnee und Stille. Morgens früh in Rom. Erster Espresso am Bahnhof. Den Tag vertrödeln zwischen „Urbi et orbi“, Forum und Piazza Navona. Spätnachmittags zurück. Schnee in München, um sechs Uhr früh. In die „Schmalznudel“ am Viktualienmarkt zum Frühstück.

Ingrid Riedmeier, Unterschleißheim bei München

 

Wärme

Über mir der Lichtkegel der Leselampe. Die Beine unter der Kuscheldecke ausgestreckt. Ein aufgeklapptes Buch vor der Brille. Draußen klirrender Frost. Um mich herum Wärme. Keine Eisblumen an den Fensterscheiben, kein Zähneklappern vor dem Einschlafen (trotz der heißen Ziegelsteine unterm Federbett). Das Nachkriegskind in mir hofft, dass dieser Luxus von Wärme und Licht bezahlbar bleibt.

Angela Lamza, Dorsten

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich ein druckfrisches Buch in der Hand halte, weil die hiesige Stadtbibliothek mir wieder einmal einen „Leserwunsch“ erfüllt hat!

Petra Yildiz, Göttingen

 

Erste-Handarbeits-Hilfe

Samstagnachmittag, im Zug von Hamburg nach Hause. Ich habe einen der letzten Klappsitze erwischt und stricke an den Socken weiter, die sich mein Schwiegersohn von mir gewünscht hat. Zwei Knaben, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, beobachten mich. „Können Sie auch nähen?“, fragt der eine plötzlich. Als ich bejahe, zieht er seinen Anorak hervor und zeigt mir eine aufgerissene Naht am Ärmel. Als der zweite mir auch noch ein Briefchen mit Nähzeug hinhält, ist der Schaden schnell behoben. „Meine Mutter näht so selten“, sagt der Besitzer der Jacke und bedankt sich. Und fragt mich dabei nach meinem Namen. Nicht irgendeiner älteren Frau im Zug wollte er danken, sondern mir als Person. Bemerkenswert, diese Sensibilität eines – wie sich herausstellte – Elftklässlers aus Lübz in Mecklenburg!

Marianne Lentz, Lütjensee bei Hamburg

 

Was ist da los?

Ich liege im Bett, kuschel mich an meine Freundin und schlafe seelig ein. Mitten in der Nacht sagt sie: „Was ist da los…was ist in der Tiefe?“. Gegenfrage von mir: „Träumst du oder bist du wach?“ Kurze Stille, ein Kichern. Beide lachen wir laut, freuen uns und schlafen seelig weiter.

Jakob Stein, Berlin 

 

Komm zur Ruhr!

Außergewöhnlich viel Schnee im Ruhrgebiet, Busse und Bahnen stellen teilweise die Fahrten ein, die Müllabfuhr kommt nicht mehr durch, dem städtischen Winterdienst geht das Salz aus, Nebenstraßen versinken in meterhohen Schneebergen. Ein alter Mann versucht, mit seinem Rollator die Straße zu überqueren und scheitert schon an den Schneeverwehungen am Straßenrand. Der junge exzentrische Friseur aus dem Laden gegenüber kommt herübergespurtet, führt den alten Herrn sicher über die Straße bis zum Festhalten an die Hauswand, dann läuft er zurück und trägt den mit Einkäufen beladenen Rollator über die Straße.

Ein Auto bleibt in der Kurve im Schnee stecken, nichts geht mehr. Der Fahrer steigt aus und geht um den Wagen herum, er hinkt. Ein Passant bleibt stehen, weitere Menschen kommen aus den Häusern, man schiebt und schaufelt und lacht, legt eine Matte unter, erneute Versuche, der Wagen kann weiter fahren und die Helfer winken. All das schnell und ohne Aufheben, man sieht und hilft. Ein gutes Gefühl: Komm zur Ruhr!

Christa Grewe, Gelsenkirchen

 

Clärchen

Clärchen, meine verängstigte Fundkatze aus dem Tierheim – wilde Tigerstreifen kombiniert mit Sahnepfoten und grünen, mandelförmigen Augen – schmiegt sich nach langen Monaten scheuer Distanz eines Abends zum ersten Mal an mich, duldet die Nähe mit königlicher Würde und lässt sich sachte streicheln. Gemeinsam hören wir Radio, ansonsten ist es still.

Eva Mench, Frankfurt am Main