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Funkeln

Vor einem Jahr haben wir geheiratet, an einem heißen Tag im August. Als mein Mann mir den Ehering ansteckte, wollte der vor Aufregung und Hitze nicht gleich über den Fingerknöchel. Erleichterung beim Bräutigam und bei mir, als der Ring endlich saß. Seither habe ich ihn nur wenige Male abgenommen, zum Backen oder zum Sonnenbaden. Oft erinnert mich das Glitzern seiner Steine an unseren „schönsten Tag im Leben“. Wenn ich Stress habe, reicht ein flüchtiger Blick auf ihn, ein kurzes Drehen und Funkelnlassen. Dann bin ich glücklich. Glücklich, verheiratet zu sein.

Carolin Anselmann, Düsseldorf

 

Unter denselben Sternen

Mit fünfzehn anderen jungen Menschen aus sieben verschiedenen Nationen nehme ich derzeit an einem dreiwöchigen internationalen Jugend-Workcamp teil. In der zweiten Woche kam ein neuer Teilnehmer zur Gruppe. Er brachte seine Gitarre mit. Seitdem ist nichts mehr wie vorher. Wenn wir abends zusammen singen, brechen alle Grenzen, und man merkt: Wir alle leben unter denselben Sternen.

Nina Sofie Wagner, Großweingarten

 

Kassen-Knigge

Ich bin achtzig. Vor einigen Tagen war ich im Aldi zum Einkaufen. Vor mir an der Kasse hatte sich eine lange Schlange gebildet, alle Einkaufswagen waren ziemlich voll. Meiner auch. Hinter mir bemerkte ich einen älteren Herrn, der nur ein Paar Pantoffeln und ein blaues Hemd bezahlen wollte. Ich forderte ihn auf, sich vor mir einzureihen, da er gewiss viel schneller fertig sei als ich. Er bedankte sich und winkte mir noch einmal zu, als er bezahlt hatte. Ich winkte zurück. Es winkt einem ja nicht alle Tage jemand zu. Als ich zur Kasse kam, sagte die Kassiererin: „Die beiden Rosensträußchen, die Sie dabeihaben, hat der Herr vor Ihnen gerade bezahlt.“ Den ganzen Tag war ich beschwingt und froh. Vielen Dank, lieber Unbekannter!

Agi Wegener, Mandelbachtal

 

Heine bringt die Welt in Ordnung

Meine Zeitungszustellerin hat Urlaub. Ihre Vertretung hat mich – wie sich herausstellte – nicht auf ihrer Liste. Was soll ich mit einem Donnerstag ohne ZEIT anfangen? Und erst mit dem Wochenende, für das ich mir meist das Zeitmagazin und den Feuilletonteil aufhebe? Zum Glück hatte ich mir gerade das Buch Mein Heine von Marcel Reich-Ranicki gekauft. Da war meine (kleine) Welt wieder in Ordnung. Und der Urlaub meiner Zeitungszustellerin bald zu Ende.

Brigitte Reul, Freital
„Mein Heine“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen

 

Fado auf dem Pflaster

Fadoklänge an einer Großbaustelle:Ein portugiesischer Bauarbeiter singt voller Inbrunst, während er Pflastersteine verlegt.

Christiane Abele, Freiburg im Breisgau

 

Wunderbare Bücher

Mit vier weiteren literatur- und lesebegeisterten Leuten haben wir einen privaten Leseclub gegründet. Nun treffen wir uns alle sechs bis acht Wochen in der Wunderbar (einer wirklich wunderbaren Bar) und sprechen über Bücher, die wir gelesen haben und empfehlen können – oder auch nicht.

Dörte Sternberg, Güstrow

 

Aushilfs-Postbotin

Wenn man mich bei meinem Ferienjob als Postbotin freudig grüßt. Wenn ich sehe, dass sich die Menschen auch noch persönliche Briefe schreiben. Wenn man mich nach fünf Stunden in der Sonne in ein kühles Wohnzimmer bittet und
mir eine Flasche Sprudel anbietet. Und wenn ich heute mal keine Werbung mitschleifen muss.

Johanna Grözinger, Vaihingen a. d. Enz

 

„So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein“

Christoph Schlingensief, gestorben im Alter von 49 Jahren, war Regisseur für Film und Theater, Künstler, Autor und lungenkrebskrank. Vor über einem Jahr wird sein linker Lungenflügel entfernt. Er macht sich Hoffnungen. Kurz darauf entstehen neue Metastasen im rechten. Er weiß, dass sein Leben nur noch von kurzer Dauer ist.

Schlingensief aber, nun stark geschwächt, arbeitet weiter: Er hat noch große Pläne. Er will noch nicht sterben! 2009 erscheint das Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! – Tagebuch einer Krebserkrankung“. In diesem berichtet er von der Suche nach sich selbst, von Liebe, von dem Gedanken an das, was nach dem Tod kommt, aber auch von ganz alltäglichen Dingen aus seinem Leben. Er forscht nach seiner Vergangenheit und schmiedet aus den gefundenen Erfahrungen und Eindrücken von sich selbst und der Welt Pläne für die Zukunft. Er denkt an Kinder und träumt von einem Festspielhaus in Afrika, einer Krankenstation, einer Schule. Er will etwas Konkretes, etwas Nützliches, etwas schaffen. Die Sinnfrage stellt sich. Was hat er erreicht, wie hat er gelebt und was hat noch Bedeutung?

Alles steht für ihn in einem völlig neuen Kontext. Wieso gibt er nicht auf, wieso findet er sich nicht mit seinem Schicksal ab, und nutzt kämpferisch jeden verbleibenden Augenblick? Wahrscheinlich kann man erst in einer solchen Lage die wirklich wichtigen Dinge des Lebens von denen, die unwichtig sind, unterscheiden. Resignieren, kapitulieren und dann, regungslos das Ende abwarten, ist keine Option! Für ihn ist die Krankheit auf alle Fälle schöner als der Tod! Jeder verbleibende Tag, jede verbleibendende Stunde, nein, jede Sekunde muss genutzt werden! Auf einmal geht alles viel zu schnell. Die Sehnsucht nach dem Alltag, nach dem normalen Leben. Was ist wichtig? Was nicht? Kann man durch Selbstmord autonom bleiben, seine Würde wahren? Was kommt danach? – Fragen stellen sich im Überfluss. So wird die Erkrankung auch zur Chance.

„So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ist eine Kampfansage, die keinen Widerstand duldet. Es interessiert Schlingensief nicht, was später kommt. Er will sich nicht an einen Wunsch oder einen Traum klammern. Im Angesicht des Todes kann sich niemand ernsthaft an irgendwelchen Ungewissheiten festhalten. Illusionen und Ausmalungen sind oberflächlich und einfach zu banal. Man lebt hier und jetzt und wahrscheinlich nur einmal! Und wer wirklich schlau ist, macht sich sowieso keine Sorgen über Dinge, die er weder voraussehen noch verändern kann. Daher weiß jeder, auch Schlingensief, tief in seinem Innern, dass es endgültig vorbei ist. Man kann nichts mitnehmen, man hat nicht mehr die Freiheit zu entscheiden.
Das ist der Unterschied von Leben und Tod, zwischen Erde und Himmel.

Christoph Schlingensief wurde erleuchtet. Zu einem hohen Preis, doch auch mit großem Gewinn. Er hinterlässt eine Spur, weil er über das redet, was sonst verborgen blieb. Er setzte sich ein und hörte vor allem nicht auf zu denken. Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt.

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Christoph Schlingensief hat Recht! Menschen, die Zeichen setzen sind wichtig. Menschen, die nicht nur die Sonnenseite kennen. Und Menschen, die selber wissen, wie es ist, zerbrechlich zu sein. Du hast uns Kraft gegeben und dich für andere aufgeopfert. Doch nun bist du leider gegangen, auch wenn du keinen Bock auf Himmel hattest. Du hast mich überwältigt und fasziniert. Danke Christoph. Danke.

Alex Seuthe, 16 Jahre