Vor Kurzem verbrachten meine Schwester und ich zusammen ein paar Tage in Barcelona. Auf der Plaça de Sant Pere, einem wunderschönen Ort, legten wir eine Pause ein und beobachteten das Treiben. Ein kleiner Junge tat dies ebenfalls, ganz in unserer Nähe. Ich fotografierte ihn; schien es doch, als würde das Blau seines T-Shirts aus dem Blau des Fahrradreifens wachsen. Als mein Blick wenige Augenblicke später erneut in diese Richtung fiel, saß an derselben Stelle plötzlich ein älterer Mann in gleicher Position. Es war, als wäre die Zeit innerhalb weniger Minuten um Jahrzehnte vorangeschritten – wie im Zeitraffer.
Es gibt kaum einen Unterschied zu entdecken auf den beiden Bildern der Stari Most, der Alten Brücke von Mostar. Das Schwarz-Weiß-Foto hatte mein Vater im Juni 1955 während einer Reise durch das damalige Jugoslawien aufgenommen. Das Farbfoto entstand kürzlich bei einer Reise auf den Spuren meines Vaters. Beide Bilder sind von der Karađozbeg-Moschee aus aufgenommen.
Und doch liegt mehr zwischen den beiden Fotos als die Zeitdifferenz von 60 Jahren. »Wir hier in Mostar«, erklärte uns unser Stadtführer, »wir sprechen nicht mehr von der Alten Brücke. Für uns ist das heute die Neue Brücke.« Die Alte Brücke als Symbol für die Verbindung zwischen der Welt des Christentums und des Islams war während des Bosnienkriegs im November 1993 zerstört worden. Nach dem Wiederaufbau zwischen 1995 und 2004 hat die Brücke eine noch stärkere Bedeutung für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen religiösen, kulturellen und ethnischen Gruppen bekommen. Die jahrhundertealte Bindekraft dieser Brücke hat uns so berührt wie wohl auch meinen Vater vor 60 Jahren.
Das linke Foto zeigt meinen älteren Bruder Friedhelm und mich im Sommer 1964 bei unserem ersten (und leider letzten) gemeinsamen Familienurlaub. Mit unserem Vater Helmut, der im darauffolgenden Jahr viel zu früh mit nur 41 Jahren verstorben ist, posieren wir am Ufer des Walchsees in Tirol. Dieser Urlaub hat uns Brüder emotional sehr geprägt: Seitdem fahren wir beide – zuerst allein mit der Mutter, danach immer wieder mit Partnerinnen, Kindern, Enkeln und Freunden – in den Ferien in unsere zweite Heimat. Das rechte Foto wurde bei unserem „Jubiläumsbesuch“ im vergangenen Sommer geschossen. Während die Büsche und Bäume größer, die Hosen länger, bei mir die Haare weniger und wir beide reifer geworden sind, hat sich doch in der herrlichen Landschaft am Zahmen Kaiser nicht viel geändert, und auch die Kirche (im Hintergrund) ist „im Dorf geblieben“. Wer fehlt auf dem Erinnerungsfoto, ist unser Vater. In unseren Herzen aber, da reist er seit 50 Jahren mit uns an den Walchsee – auch in diesem Sommer.
Wie man auf dem Foto von 1945 sieht, hat mein Vater, Reinhardt Freudenberg, die Liebe zur Natur sehr früh entdeckt. Und obwohl er sein Arbeitsleben im Finanzamt mit Steuerprogression, Bemessungsgrundlagen und Abschreibungstabellen verbrachte, ist er bis heute ein Naturfreund geblieben: Er gärtnert mit Leidenschaft, päppelt schwache Igel ebenso auf wie flügellahme Amseln und kranke Hasen. Ich bin mir sicher, das alles hat zu seinem Frohsinn beigetragen – ebenso wie die Fähigkeit, auch mal verschmitzt über sich selbst zu lachen. Ich wünsche ihm, dass das noch lange so bleibt.
Constanze Jötten, Travenbrück, Schleswig-Holstein
Vor einigen Jahren verbrachten wir mit unseren Enkelinnen die Ferien im schwedischen Småland. Wir wohnten in einer alten Bauernhütte und angelten bei schönem Wetter im benachbarten See. Inzwischen entdeckte ich in einem Buch dieses Aquarell. Es heißt »Lisbeth angelt« und hängt im Nationalmuseum in Stockholm. Der berühmte schwedische Künstler Carl Larsson hat es 1898 gemalt. Man sieht: Abseits der großen Touristenströme hat sich die Welt in Schweden sehr wenig verändert.
Auf der Postkarte aus dem Jahr 1954 sieht man Seegras-Sammler am Strand von Eckernförde. Die von der Ostsee angespülten Wasserpflanzen schätzte man damals nicht nur als Füllstoff für Matratzen, sondern auch als Dünger zur Bodenverbesserung. Heute gilt der sogenannte Strandanwurf als Bioabfall und wird regelmäßig maschinell entsorgt. Im Wettstreit um den attraktivsten Kurstrand lässt sich das die Eckernförder Touristik GmbH bis zu 80.000 Euro pro Saison kosten. Und kaum einer denkt mehr daran, dass die Stadt auf einer Nehrung gegründet ist, die das Meer in vielen Tausend Jahren aus Sand – und Seegras – schuf.
Für Ihren Zeitsprung schicke ich Ihnen eine Fotomontage, die den gewaltigen Sprung zeigen soll, den die Kommunikation in der jüngsten Vergangenheit gemacht hat. Die Idee kam mir, als ich sah, wie meine Kinder ein altes Telefon, das ich aus Sentimentalität bei uns aufgestellt hatte, ihren Freunden als Attraktion vorführten und ihnen erklärten, was man damit tut und wie die Wählscheibe funktioniert.
Für mich ist der Apparat aus dem Jahr 1977 ein Alltagsgegenstand aus meiner Kindheit, für meine Kinder dagegen ein kurioses Museumsstück. Sie benutzen auch unser normales Festnetztelefon kaum noch. Ihre Botschaften verlassen unser Haus zumeist via Smartphone und als WhatsApp-Nachricht.
Im Physikunterricht lernt man, dass bewegliche Teilchen in einem geschlossenen System nach maximaler Entropie (Unordnung) und minimaler Enthalpie (Energie) streben (Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik). Daran muss ich gelegentlich denken, seit es meine kleine Tochter gibt. Sie schafft es nämlich im Handumdrehen, Legosteine, Bauklötze und anderes Spielzeug großflächig im Raum zu verteilen. Den Aufräum-Modus dagegen haben wir bei ihr noch nicht gefunden, das wäre dann aber auch schon wieder Physik…
Vor einem halben Jahrhundert unternahmen zwei 16-jährige Gymnasiasten aus Stuttgart mit ihren Fahrrädern eine weite Reise durch ganz Deutschland. Der Wendepunkt war in Kiel. Fahrradwege gab es noch kaum, die Alternative auf der Straße war gefährlich und holprig. Das linke Bild zeigt meinen Freund Eberhard beim Bekämpfen einer der gar nicht seltenen Reifenpannen. Nach dem Abitur verloren wir uns leider etwas aus den Augen. Aber dann, nach 50 Jahren, fand die Jubiläumstour statt, in abgespeckter Form zwar, aber erneut als eine uns in jeder Hinsicht bewegende Unternehmung. Eberhards Panne freilich – das wird unser Fahrradvermieter gern hören – war diesmal inszeniert.
Unser Apfelbaum hat uns in den vergangenen zwölf Monaten emotional (und auch was das Pensum an Gartenarbeit betrifft) ziemlich beschäftigt. Im April 2014 blühte er üppig, die Aussicht auf die gute Ernte regte uns zu obigem Foto an. Nach dem großen Regen vom 28. Juli 2014 standen weite Teile der Stadt Münster unter Wasser – so auch unser Garten. Im aufgeweichten Boden fanden die Wurzeln dann nicht mehr ausreichend Halt, weshalb der schwer mit Äpfeln beladene Stamm umkippte. Wir ließen den noch einseitig verwurzelten Baum liegen, um wenigstens einen Teil der Früchte zu retten. Im September nach der Ernte schnitten wir die Krone radikal zurück, um den Baum aufrichten zu können – und nun, siehe da, hat er tatsächlich wieder ausgetrieben!