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Zeitsprung: Besetzt

Im Mai 2009 feierte unsere Tochter mit Freundinnen ihren elften Geburtstag. Nach einem Besuch im Dresdner Arnoldbad ließen wir uns im angrenzenden Blüherpark zum Picknick nieder. Ein leerer verwitterter Sandsteinsockel lud zu einem ganz besonderen Foto der Geburtstagsgesellschaft ein. Als wir fünf Jahre später mal wieder dort vorbeischauten, war der Sockel besetzt: Im Zuge der Wiederherstellung des Parks unter denkmalpflegerischen Aspekten hatte man im Jahr 2012 die von Lorenzo Mattielli um 1744/45 geschaffene und beim Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 sehr stark beschädigte Figurengruppe Merkur und Minerva wieder aufgestellt.

Uta Jarsumbeck, Dresden

 

Zeitsprung: An der Grenze

»Bis zur Grenze 5 km, wenn Flensburg deutsch bleibt«, so steht es auf dem Schild, das Demonstranten anlässlich der Volksabstimmung vom 10. Februar 1920 vor unserem Haus aufgestellt hatten. Mein Großvater war zu diesem Zeitpunkt Arzt in Gravenstein, das nach dem Ergebnis der Volksabstimmung dänisch wurde und heute Gråsten heißt. Also zog er mit seiner Praxis nach Flensburg um, in das abgebildete Haus, in dem auch nachfolgende Generationen als Ärzte arbeiteten. Heute ist das längst Geschichte. Deutsche und Dänen leben freundschaftlich auf beiden Seiten der offenen Grenze zusammen. Und unser Haus ist ein kleines Symbol dafür, wie Verhältnisse und Beziehungen unter den Menschen sich ändern und verbessern können, wenn die Menschen es nur wollen.

Hartwig Becker, Flensburg

 

Zeitsprung: Abgeschlagen

Im Jahr 1980 besuchten wir Hongkong, damals noch britische Kronkolonie. Vom höchsten Berg der Insel, dem Peak, hatten wir einen fantastischen Blick über die Insel Hongkong (im Vordergrund) und die Halbinsel Kowloon. Alles voller hoher Wolkenkratzer, die uns sehr beeindruckten. 2014 waren wir wieder da und sind natürlich auf dem Peak gewesen. Man konnte fast nichts wiedererkennen, die Häuser sind mittlerweile alle viel höher. Besonders gut sieht man das an dem Gebäude, welches 1980 das höchste war. Das Jardine-Haus ist knapp 180 Meter hoch. Schaut man genau auf das jüngere Bild, so ist dieses Haus im Zentrum des Bildes immer noch zu sehen, allerdings wirkt es wie ein Zwerg neben seinen Nachbarn, die teilweise mehr als doppelt so hoch sind. 1980 das höchste Gebäude, jetzt reicht es nur noch für Platz 150!

Klaus Liphard, Essen

 

Zeitsprung: Alt geworden

1964 haben wir geheiratet. Es eilte damit, weil mir durch einen Glücksumstand in West-Berlin eine kleine Wohnung angeboten worden war. Der Wohnberechtigungsschein lag vor, aber zwei Zimmer für nur eine Person? Unmöglich! Verlobt war ich zwar schon, aber noch nicht mit der Ausbildung fertig und zu arm, um schon heiraten zu können – meinten die Schwiegereltern. Keine guten Startbedingungen für eine Ehe. Wir mussten kämpfen, bestellten schon mal das Aufgebot, bekamen die Wohnung, die Erlaubnis zur Heirat und sogar finanzielle Starthilfe vom Schwiegervater. Es war eine schwere Zeit, sowohl vor wie nach der Hochzeit. Heute stehen wir gut da, drei Kinder, sieben Enkel, keine wirtschaftlichen Sorgen.

Nur eben: alt geworden! Bei unserer goldenen Hochzeit entstanden Fotos, die wir staunend neben die alten Hochzeitsfotos halten. Mit dem jungen Brautpaar tauschen? Besser nicht. Trotz aller Klagen über das Altwerden: Es ist schon besser so!

Michael Kraatz, Zeuthen, Brandenburg

 

Zeitsprung: Nasen!

Das linke Foto zeigt meinen Mann im Frühling 1988 vor dem Straßburger Münster. Frisch verliebt, verbrachten wir damals einen gemeinsamen Tag in der elsässischen Bilderbuchstadt. Ich wollte als Germanistikstudentin Goethes enthusiastischen Text Von deutscher Baukunst. Über das Straßburger Münster besser verstehen. Es war neblig und kalt, mein Mann trug als künftiger Förster seinen feschen Lodenmantel. Die unverkennbare Ähnlichkeit seiner Nase mit der des Fabelwesens fiel uns gleich ins Auge, und wir hielten sie vergnügt fotografisch fest. Das rechte Foto zeigt meinen Mann erneut vor dem Straßburger Münster, 26 Jahre später, im April 2014. Dieses Mal waren wir in Begleitung unserer ältesten Tochter angereist, die mit 19 Jahren kurz vor dem Abitur stand. Goethes Lyrik vom Sturm und Drang zur Klassik war eines ihrer Themen der schriftlichen Prüfung in Deutsch. Wir beschäftigten uns aber lieber damit, die Nase meines Mannes erneut ins rechte Licht zu rücken.

Ulrike Steenbuck, Breklum, Nordfriesland

 

Zeitsprung: Der wandernde Bass

Das erste Foto zeigt mich mit dem Kontrabass vor 50 Jahren an der Seite meines Vaters beim Narzissenfest im Ausseerland (Steiermark). 1965 war er 59 Jahre alt, und ihm war es zu schwer geworden, während des Blumenkorsos musizierenderweise die Bassgeige zu tragen. Daher musste ich mit 23 Jahren den Bass übernehmen, und mein Vater spielte die Kontragitarre.

Mittlerweile bin ich auch schon über 70-jährig, habe vor vielen Jahren »Die Ausseer Geigenmusi« gegründet und (unter anderem aus Konditionsgründen) auch das Instrument gewechselt. Jetzt spiele ich die Steirische Knopfharmonika, den Bass trägt nun ein anderer. Das zweite Bild entstand im Fasching 2014, und natürlich werden wir auch heuer wieder aufspielen!

Herbert Randacher, Bad Aussee, Österreich

 

Zeitsprung: Aus „hart“ wird „zart“

Diese Inschrift »Harte Zeit (h)arte Herzen« ist mir seit Kindertagen vertraut. Sie wurde 1944 – vermutlich als Durchhalteparole – an einer Mauer meiner Geburtsstadt Mannheim angebracht. Zum Hintergrund: Mannheim war im Zweiten Weltkrieg mit über 150 Luftangriffen die wohl am meisten bombardierte Stadt auf dem Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg, das barocke Schloss wurde fast vollständig zerstört. Die Inschrift dagegen überlebte Krieg und Nachkriegszeit weitgehend unbeschadet. Irgendwann jedoch entfernte jemand einen einzelnen Buchstaben, nämlich das h in der Mitte, was mich veranlasste, das Graffito fotografisch festzuhalten. Jetzt hat jemand ein z in die Lücke gesetzt und der Inschrift nach 70 Jahren einen ganz neuen Sinn verliehen. Es wurde aber auch Zeit!

Dieter Hetzel, Heidelberg

 

Zeitsprung: Viele, viele Jahre

Das linke Bild zeigt vier Brüder zu Weihnachten 1940. Damals waren sie acht bis vierzehn Jahre alt. Später hatten sie viele, viele Jahre lang keine Kommunikation miteinander. Einer der Brüder ist mein Vater. Dass ich es geschafft habe, den Kontakt zwischen diesen Brüdern wieder herzustellen, war eines der besten Dinge, die ich in meinem Leben bisher getan habe. Trotz Demenz und anderer Altersgebrechen: Wenn die Brüder sich unterhalten, ist das interessant und berührend.

Christiane Rudlof, Bremen

 

Zeitsprung: In einem Bild

s78-zeitsprung

Mein Zeitsprung besteht aus einem einzigen Bild: Ich habe dieses Wegkreuz vor Tholey am Schaumberg einmal im Frühling fotografiert und einmal im Winter: gleiche Position, Richtung und Brennweite. Die beiden Aufnahmen habe ich in Photoshop übereinandergelegt und überblendet, sonst aber nicht bearbeitet.

Karl-Otto Franz, Tholey-Bergweiler, Saarland

 

Zeitsprung: Richtig gemacht

Eigentlich sind auf den Fotos zwei Zeitsprünge zu sehen. Ein großer, der eine Wandreklame vermutlich aus den sechziger Jahren zeigt, die in Hamburg-Eimsbüttel durch den Abriss eines Hauses freigelegt wurde. Der kleine Zeitsprung überbrückt nur rund ein halbes Jahr: Graffiti haben den ursprünglichen Zustand der Wand verändert. Die Bilder zeigen einerseits die Kultur der »Wandmalerei« im Wandel der Zeit. Andererseits drücken sie dasselbe aus: eine persönliche Botschaft ihrer Urheber, die – mit unterschiedlichen Motiven – auf sich aufmerksam machen wollen.

Mathias Thurm, Hamburg