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Zeitsprung: Zuwachs

Links ein Bild von mir aus dem Spätsommer 1983, aufgenommen in Saarbrücken. Es zeigt mich als stolzen Vater mit meinem im Winter zuvor geborenen deutsch-französischen Sohn. Im Saarland ist das eigentlich keine seltene Kombination, nur komme ich aus Freiburg, meine Frau kommt aus Paris, und kennengelernt haben wir uns in Cochabamba, Bolivien. Und dreißig Jahre später: Der stolze deutsch-französische Vater hält seine im Sommer geborene kanadisch-schweizerisch-deutsch-französische Tochter in den Armen, und zwar in Paris, wo die junge Familie zurzeit wohnt. Weniger originell haben sich die Eltern in Neuchâtel, Schweiz, kennengelernt, aber sie vererben zusammen vier Nationalitäten! Wie viele Pässe werden unsere Urenkel haben?

Hanns Ulrich Henn, La Queue Lez Yvelines, Frankreich

 

Zeitsprung: Zweimal Nepal

Nach Beendigung meines Studiums konnte ich Anfang 1988 mit meiner (jetzigen) Frau einen lang gehegten Traum verwirklichen: Ein Jahr lang reisten wir durch Thailand, Birma, die Philippinen, Hongkong, Südchina, Indonesien und Malaysia. Zuletzt verbrachten wir drei Monate in Nepal, genossen die Freundlichkeit der Nepalis und das Wandern in der fantastischen Himalaya-Landschaft. Im Frühjahr 2013 reiste unsere Tochter Teresa mit einer Freundin ebenfalls nach Nepal. Als wir ihre Bilder anschauten, stellten wir fest, dass sie offenbar am selben Ort namens Chomrong auf dem Weg zum Annapurna-Basiscamp übernachtet hatte und den Rhododendron-Busch vor dem Annapurna-Massiv ebenfalls fotogen fand. Nur die Sitzmöbel vor der Lodge haben sich verändert…

Hermann Baldauf, Albstadt-Ebingen

 

Zeitsprung: Dem Schicksal mit der Schere trotzen

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Eierstockkrebs! Völlig unglaublich für mein Alter – 24 Jahre –, aber im Dezember 2013 bekam ich die Diagnose. Und von einem Tag auf den anderen war alles anders. Plötzlich hatte ich nicht mehr die Kontrolle über das, was in meinem Leben passierte. Wegen der vielen Komplikationen verbrachte ich fast die ganze Zeit im Krankenhaus. Ende Februar kämpfte ich dann für zwei Tage zu Hause. Das war, bevor die extrem heftige Chemotherapie anfing. Die Ärzte versicherten mir, dass die Haare ausfallen würden. Bis dahin waren meine Haare mein absolutes Heiligtum. Also beschloss ich, mir zumindest einen kleinen Teil meines Selbstbestimmungsrechtes zurückzuholen, indem ich sie mir in Anwesenheit vieler Freunde selbst abschnitt und dies auch fotografisch dokumentierte. Die ganz pragmatische Nützlichkeit (man schwitzt während der Chemo oft, da ist so eine Glatze ganz vorteilhaft) und mehr noch der Zuspruch meiner Freunde und meiner Familie halfen mir, meinen Entschluss nicht zu bereuen und mich auch ohne lange Haare weiblich und schön zu fühlen. So schafften wir es gemeinsam, dem Schönheitsideal und dem Schicksal einen Streich zu spielen. Seit vier Wochen ist die Chemo überstanden. Tumorfrei (und mit ersten Stoppeln auf dem Kopf ) gehe ich nun in die vorbeugende Strahlentherapie.

Natalie Müller, Aalen

Unser Körper soll attraktiv sein und problemlos funktionieren. Was aber, wenn wir den Idealvorstellungen nicht entsprechen? Oder unser Körper kaputtgeht? Mit diesen Fragen befassen sich unsere Leser aktuell in der Serie Körperbilder. Wir freuen uns weiterhin auf Ihre Einsendungen – bitte per E-Mail an leseraufruf@zeit.de, Betreff „Körperbilder“.

 

Zeitsprung: Stürmisch

Liebe ZEIT der Leser-Redaktion,
am 3. Juni 2014 mailte ich Ihnen ein Foto (linke Abbildung) von unserem schönen Zwetschgenbaum für Ihre Rubrik Mein Freund, der Baum. Dann fegte am Pfingstmontag das Sturmtief Ela über Düsseldorf, und das angrenzende Ruhrgebiet und unser alter Baum hatte nicht mehr genug Kraft, sich dem Wind zu widersetzen (rechte Abbildung). Wir mussten ihn schweren Herzens absägen.
Liebe Grüße

Sophie Reich, Bochum

 

Zeitsprung: Fußball

Als mein Vater (Jahrgang 1949) zehn Jahre alt war, schenkte ihm meine Großmutter einen Fußball aus echtem Leder (links) – ein wahrer Schatz für ein fußballbegeistertes Kind. Damit der Ball sich nicht mit Wasser vollsog (was ihn unbrauchbar gemacht hätte), musste er regelmäßig gefettet werden. Als mein Vater zum Wehrdienst eingezogen wurde und schließlich meine Mutter kennenlernte, wanderte der Fußball in den Keller. Trotz der sich lösenden Nähte brachte meine Großmutter es nicht übers Herz, ihn wegzuwerfen. Den Ball rechts daneben schenkte mir meine Mutter, als wiederum ich etwa zehn Jahre alt war, und zwar zur Fußball-Weltmeisterschaft 1994. Er ist bereits aus modernem Kunstleder, allerdings sind die einzelnen Stücke auch hier noch mit der Hand zusammengenäht. Anders als die heutigen Bälle haben beide weder aufwendiges Design noch hochtrabende Namen, dafür aber die Spuren von vielen glücklichen Momenten auf dem grünen Rasen.

Stefanie Mayer, Reichertshausen, Bayern

 

Zeitsprung: Pappboot

Links sehen sie ein Bild der Titanic, bei ihrer Indienststellung 1912 war sie das größte Schiff der Welt und galt als unsinkbar – was sich tragischerweise schon bei der Jungfernfahrt als Irrtum erwies. Gut hundert Jahre später gelang mir jetzt vor der Hamburger Rüschhalbinsel das Foto eines Titanic-Nachbaus, der allerdings weit von den früheren Größenrekorden entfernt ist: Das Schiff misst nur 1,30 Meter (und es handelt sich um ein von mir gefertigtes Papiermodell).

Helmut Beutel, Hamburg

 

Zeitsprung: Auswanderer

Die Aufnahme links stammt aus einem für mich sehr kostbaren Familienalbum und zeigt meinen Großvater, Wilhelm Haslbeck, im Jahr 1935 in Buenos Aires, wohin er als junger Mann seiner Mutter gefolgt war. Meine Familie lebte eigentlich in Lengfelden bei Passau. Doch auf dem bayerischen Land war es für meine Uroma als ledige Mutter und ihren unehelichen Sohn nicht unbedingt einfach in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Deshalb ging sie nach Argentinien, wo sie sich als Dienstmädchen verdingte, und er kam nach, nachdem er zu Hause seine Schreinerlehre abgeschlossen hatte und arbeitete auf dem Bau. So konnten sie sich als Auswanderer endlich eine Existenz aufbauen. Tragischerweise fassten sie kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs den folgenschweren Entschluss, nach Passau zurückzukehren. Mein Großvater wurde daraufhin prompt eingezogen und kam ausgehungert und magenkrank aus dem Krieg zurück – wovon er sich nie mehr erholte. Das rechte Bild entstand am Bahnhof Retiro in Buenos Aires, als ich 2007 mit dem Album im Gepäck aufbrach, um mehr über den Großvater herauszufinden, den ich leider nicht kennengelernt habe: Er starb, als ich gerade ein halbes Jahr alt war.

Gwendolyn Windpassinger, Nizza

 

Zeitsprung: Schuld war der Affe

Meine Eltern hatten zu Ostern 1960 eine Studienreise nach London unternommen. Uns, ihre beiden Söhne, hatten sie zu Hause gelassen. Also wollte unser Vater uns nach der Rückkehr auch etwas bieten und fuhr mit uns und unserem Kapuzineräffchen Fritzi zu verschiedenen Naturdenkmälern im Kreis Lauenburg. (Daher die Landkarte auf der Kofferraumhaube.) Auf dem Rückweg wurde in der Nähe von Berkenthin noch ein Erinnerungsfoto gemacht, unser Kapuzineräffchen saß dabei auf meiner Schulter. Schließlich gönnte mein Vater uns (und dem Affen auch) ein Vanilleeis am Stiel. Wir durften es sogar auf der Fahrt verspeisen. Als Fritzi aber etwas Eis auf das Polster der Rückbank kleckerte, drehte sich mein Vater vorwurfsvoll um, verriss dabei die Lenkung und landete mit Totalschaden im linken Straßengraben. Den Fahrer eines zufällig vorbeikommenden Pkw bat mein Vater, uns mit nach Ratzeburg zu nehmen, vorher aber unbedingt noch ein Foto vom Unfallwagen zu machen. So entstanden innerhalb einer Viertelstunde zwei sehr verschiedene Fotos vom selben Objekt.

Friedemann Roeßler, Ratzeburg

 

Zeitsprung: Mutterschaft

Wir sind drei Schulfreundinnen aus Franken, die zufällig zur selben Zeit schwanger wurden und sich dabei (ebenso zufällig) im Norden wiederfanden. Zwei von uns kamen schon zum Studieren nach Hamburg, eine erst während der Schwangerschaft. Immer wieder verwundert, irritiert und erfreut über diesen besonderen Moment im Leben, den wir miteinander teilen konnten, beschlossen wir (Katharina,
Sabrina, Katrin) im Juli 2012, ein Foto zu machen. Wie würde das Mutterdasein wohl sein? Und würden wir einen Jobeinstieg beziehungsweise -wiedereinstieg finden? Ein Jahr später ein weiteres Bild: Da hatten wir Mateo, Frida und Selma schon auf dem Arm, und wie es so ist im Leben: Antworten kommen mit der Zeit. Allen geht es gut, die Kleinen turnen inzwischen durch die Kitas, die Mütter arbeiten (als Produktionsassistentin, Texterin und Dramaturgin). Was sich verändert hat? Ziemlich alles – bis auf unsere Freundschaft.

Katharina Jockusch, Hamburg

 

Zeitsprung: Liebesschwüre

An einer Göttinger Brücke leuchten mit Schlössern besiegelte Treueschwüre in der Wintersonne. Monate später wieder an der Leine-Brücke: Ob all die Liebesbekenntnisse noch Bestand haben? Das Gedicht Le pont Mirabeau von Guillaume Apollinaire kommt mir in den Sinn: »Unterm Pont Mirabeau fließt die Seine… Wie der Strom fließt die Liebe, geht die Liebe fort…«

Hans Günter Mischkowski, Göttingen