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DIE ZEIT

(nach Christian Morgenstern, »Die Zeit«)

Es gibt ein altbewährtes Mittel,
die ZEIT zu packen am Schlawittel:
einfach auseinanderfalten,
links und rechts am Rande halten.

Sie knistert, schnurrt und flüstert dann:
»Fang du ruhig mich zu lesen an.
Nervt dich Länge? Nervt dich Breite?
Macht nix, bin auf deiner Seite.

Denn dass ich nicht handlich bin,
macht tatsächlich echt nur Sinn,
wenn man sich die Zeit auch nimmt.
Erst sich. Dann mich«, sagt sie bestimmt.

Und was ich an der Sache mag:
Mit leerem Kopfe spricht man nicht.
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Donnerstag.
Schluss jetzt mit dem Lobgedicht!

Florian Streier, Essen

 

Humanitätern: Mein Wort-Schatz

Eine Zeit lang habe ich selbst geprägte Wörter verschenkt, aber zu viele davon blieben liegen, wenn man sich trennte. Wahrscheinlich missfiel die Präzisierung. Hier nun eine meiner ältesten Schöpfungen für Ihren Wortschatz: Statt das abgenutzte Wort »Gutmensch« oder gar »Moralapostel« für Menschen zu verwenden, die anderen durch ihre moralische Vorbildlichkeit auf die Nerven gehen, spreche ich in diesem Zusammenhang gern von Humanitätern.

Irmgard Kratky, Coesfeld

 

Was mein Leben reicher macht

Meiner besten Freundin (wir kennen uns seit dem ersten Kindergartentag) bei ihrer Hochzeit im heimatlich-hessischen Regen den weißen Spitzenschirm zu halten.

Anna Löw, Köln

 

Was mein Leben reicher macht

Seit zwei Wochen sind meine Tochter (sieben Monate) und ich krank. Übermüdet und am Ende unserer Kraft stehen wir Eltern morgens um fünf Uhr mit ihr nach erneuten Erbrechen unter der Dusche, um dann zu sehen, mit welcher Faszination unsere Tochter versucht, jeden einzelnen Wassertropfen zu fassen zu bekommen.

Ophelia Liebig, Hamburg

 

Gewese: Mein Wort-Schatz

Neulich sagte eine Freundin über die Geburtsvorbereitungen eines gemeinsamen Bekannten »Der hat wieder ein Gewese gemacht!« Ein Gewese? Im Internet fand ich folgende Erklärung: »Das umgangssprachliche, oft abwertend gebrauchte Wort bezeichnet ein auffallendes Verhalten oder Gebaren und bedeutet, einer Person oder Sache übertrieben große Bedeutung beizumessen.« Stimmt, sie hatte es getroffen!

Gerlinde Winzer, Rastede, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Seit eineinhalb Jahren leben wir in einer Fernbeziehung und stellen bei jedem Treffen fest, wie sehr wir uns nach einer gemeinsamen Zukunft sehnen. Und dann ein Anruf: »Liebling, ich habe die Jobzusage in deiner Stadt!«

Gabriela Schiechl, Regensburg

 

Was mein Leben reicher macht

Nach drei Jahrzehnten habe ich allen Mut zusammengenommen und meine große Liebe ausfindig gemacht. Das ist jetzt fünf Jahre her, und inzwischen sehen wir uns regelmäßig und genießen die schönsten Stunden unseres Lebens.

Franz Lülf, Karlsruhe

 

Zeitsprung: Schwieriger Start

1988, unsere Zwillinge sind geboren – vor der Zeit, winzig, zerbrechlich. Auf der Intensivstation der Uni­-Klinik hält ihr Vater sie noch ungeübt und ängstlich auf dem Arm. Nach einem Vierteljahrhundert mit ihnen sieht die »Familienaufstellung« ganz anders aus: Laura und Malte sind zu großen, gesunden und selbstbewussten Menschen geworden, und für ein Bild in den Weinbergen kommen beide aus ihren Studentenbuden zu uns nach Mainz. Jetzt sind sie es, die uns in die Arme nehmen!

Annelen Otterman, Mainz

 

Die Kritzelei der Woche

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Bei dem Besuch einer Jugendstrafanstalt besichtigten wir – eine Gruppe BewährungshelferInnen – die Werkräume der Jugendlichen. Die hölzernen Arbeitstische waren übersät mit Farbspuren, Kritzeleien und eingeritzten wie eingebrannten Bildern. Mir fiel dabei besonders die kindliche Darstellung eines Hauses auf mit den eingebrannten Wörtern »ich nix deutsch«. Welche Botschaft sollte hier dem schäbigen Holz der Werkbänke anvertraut werden?

Almuth Dinkelaker, Baden­-Baden

 

Was mein Leben reicher macht

Ich bin spät dran und beeile mich, den süßesten Nachbarsjungen der Welt von der Kita abzuholen. Als ich mit der kleinen eingepackten Kugel zu Hause ankomme, merke ich, dass ich meinen Schlüssel ver­gessen habe. Doch zum Glück kann ich bei mindestens vier Menschen klingeln, um Hugo und mich vor dem Erfrieren zu ret­ten. Und schon der erste lässt uns ein – er­ freut über das Kinderlachen –, obwohl er als Student kurz vor dem Abschluss steht und gleich zu seiner Prüfung muss!

Charlotte Nentwig, Köln