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Gackel und Demmeln: Mein Wort-Schatz

Ich bin nach dem Krieg in Thüringen groß geworden. Wenn wir Kinder ein wenig Blödsinn machten, kam die Ermahnung »Mach keinen Gackel« oder »Gackel nicht so«. Verteilte man dagegen Fußtritte, dann hieß es: »Du sollst mich nicht demmeln«. Ich habe diese Wörter später nie wieder gehört, schon gar nicht im Schwäbischen, wo ich seit über fünf Jahrzehnten lebe.

Wolfgang Teubner, Herrenberg

 

Was mein Leben reicher macht

Als ich mit 34 Jahren das dritte Kind erwartete, riet die Ärztin zu einer Fruchtwasseruntersuchung. Wir lehnten ab. Auf den Bluttest aber ließ ich mich ein und bekam eine Woche später die Mitteilung, dass unser Baby einen schweren Herzfehler hätte. Abtreibung? Glaube und Bauchgefühl sprachen dagegen. Es stellte sich heraus, dass sich das Labor verrechnet hatte. Gerade ist unser – kerngesundes – drittes Kind 18 Jahre alt geworden.

Vera Landua, Frankfurt am Main

 

Zeitsprung: Der Garten des Malers

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Mein Großvater war Maler, und meiner Mutter war sehr daran gelegen, uns Kinder für Kunst zu begeistern. Deshalb las sie mit mir das Kinderbuch Linnea im Garten des Malers. Es erzählt von einem Besuch in Claude Monets Garten in Giverny, wo seine berühmten Seerosenbilder entstanden. Meine Mutter ermöglichte es mir, wie Linnea auf Spurensuche zu gehen. Das Bild links zeigt mich 1992 als kleinen Jungen in Giverny. 20 Jahre später bin ich (rechts) auf Hochzeitsreise mit meiner Frau zurückgekehrt. Mit Bedauern stellte ich fest, dass aus dem Geheimtipp offenbar ein touristisches Highlight geworden ist. Monets ehemaliges Atelier dient als Souvenirshop. Darin gibt es zwar das Kinderbuch zu kaufen. Aber die Ruhe, mit der ich einst auf Entdeckungsreise ging, werden meine Kinder wohl nicht mehr erleben.

Matthias Fürstenberger, Augsburg

 

Was mein Leben reicher macht

Ich besuche meine Frau in der Kur, und wir laufen am Abend durch das einsame und kalte Städtchen. Wir küssen uns. Eine ältere Frau kommt vorbei und ruft: »Ach ist das schön, machen Sie das noch einmal!«

René Lindenberg, Erfurt

 

Kruschen: Mein Wort-Schatz

Meine Lieblingstätigkeit in dieser Jahreszeit jenseits von Golfplatz und Blumengarten ist Kruschen! Diese Tätigkeit besteht aus Nachschauen, Aufräumen und darin, Dinge von der einen Seite auf die andere Seite zu legen. Zum »Kruschen« braucht man Zeit und Muße – wie zu einer Meditation!

Schon als Kind habe ich gerne gekruscht auf dem Dachboden und im Keller, sehr zum Missfallen meiner Mutter, die mit acht Kindern für sinnlose Tätigkeiten wie das Kruschen keine Zeit hatte.

Erst viel später, mit über achtzig, hab ich sie mal gefragt: »Was hast du heute denn alles gemacht?« Antwort: »Ich hab nur ein wenig rumgekruscht!«

Sie sehen, es ist nie zu spät für sinnlose und doch erfüllende Dinge.

Rosa Laube, Neumarkt

 

Was mein Leben reicher macht

Vertretungsstunde in einer dritten Klasse nach den Ferien. Jemand hat »Ich liebe die Schule« an die Tafel geschrieben. Mein Lehrerinnenherz hüpft.

Eva Pitsch-Schweikert, Berlin

 

Die Kritzelei der Woche

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Ich saß (als Prüferin) in der Aufnahmekommission für Lehramtsstudenten der Musik. Diese jungen Menschen müssen eine sehr anspruchsvolle praktische Prüfung über sich ergehen lassen. Sie singen und spielen Klavier sowie ein anderes Instrument. Dazu werden sie noch in Gehörbildung und musikalischer und sonstiger Allgemeinbildung getestet. Das Ganze dauert etwa 45 Minuten. Da ich nur für den Gesang zuständig war, blieb mir also jede Menge zeit, die Kandidaten kritzelnderweise auf der Rückseite des Programmzettels zu verewigen.

Iris Braig, Karlsruhe

 

Was mein Leben reicher macht

Wenige Tage vor meinem 35. Geburtstag bin ich zu einem Seminar in Hamburg. Ich übernachte bei meinen Eltern, um am Morgen um 7.30 Uhr die Regionalbahn zu nehmen. Leise schleiche ich mich am elterlichen Schlafzimmer vorbei ins Bad und dann hinunter in die Küche; da steht mein Vater im Schlafanzug und hält mir eine Tüte mit Schwarzbrotstullen entgegen. Im Zug beiße ich hinein und komme mir wieder vor wie ein Schulkind!

Henrike Gosemann, München

 

Wiedergefunden: Ostergruß aus Russland, 1916

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Diese alte Ansichtskarte aus dem Ersten Weltkrieg (1916) fand ich im Nachlass meiner verstorbenen Mutter. Mein Großvater hat sie gemalt und als Ostergruß von der russischen Front an die Familie nach Potsdam geschickt. Ein denkwürdiges Zeitdokument, wie ich meine. Den Krieg hat mein Großvater überlebt. Gerne hätte er danach künstlerisch gearbeitet, aber die Verhältnisse ließen das nicht zu. So verdiente er sein Geld als Maler- und Lackierermeister, bis er 1933 an einer Kopfverletzung starb, die er sich beim Streichen eines Fensters zugezogen hatte.

Ernst-Ulrich Schadow, Erlangen