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Was mein Leben reicher macht

Zweimal in der Woche am Frankfurter Hauptbahnhof: Der Verkäufer des Backwarenstandes stellt mir ohne Aufforderung und mit einem Lächeln meinen Zimt-Milchkaffee hin: Bei den vielen Menschen, die er täglich bedient, erinnert er sich an die Wünsche einzelner Kunden!

Gudrun Knaus, Frankfurt am Main

 

Am Tresen

(nach Heinrich Heine, »Sie saßen und tranken am Teetisch«)

Sie saßen und tranken am Tresen
und sprachen von Kirche viel.
Die einen sah’n sie verwesen,
die andern meinten: »Debil!«

Die Kirche sei gendersensibel!,
die dürre Emanze sprach
und äugte dabei peni(si)bel
auf den Macho, der lächelte: »Ach?«

Der Zahnarzt öffnet den Mund weit:
Die Kirche sei viel zu reich.
Zum Schutz ihrer Glaubwürdigkeit
sei er ausgetreten sogleich.

Der Altphilologe wehmütig:
»Die Kirche, sie spreche Latein,
die Weltsprache!«, sagt er fast gütig;
dann träte er auch wieder ein.

Der Banker mit seinen Millionen,
der meinte so nebenbei,
der Glaube, der könne sich lohnen,
bei mehr Apokalyptikerei.

Am Tresen war noch ein Plätzchen,
mein Christ, da hast du gefehlt.
Vielleicht hättest du ohne Mätzchen
von deinem Glauben erzählt.

Ulrich Lüke, Aachen

 

Die alte Eiche

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Ich lebe in Stuttgart in der Nähe des Eichenhains. Jahrhundertelang diente er als Viehweide für Schweine, Schafe und Fohlen, bevor er in den fünfziger Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Es gibt dort etwa 200 Baumriesen, die ältesten von ihnen sind über 300 Jahre alt. Diese Eiche hier habe ich besonders ins Herz geschlossen. In ihrem Schatten musste ich als Waldheimkind in den Ferien Mittagsschlaf halten. Nun gut, schlafen mussten wir nicht, aber wir durften nicht sprechen, und das Rauschen der Blätter im Sommerwind wirkte sehr beruhigend. Die Eiche war auch der Lieblingsbaum meiner Mutter. Nun ist meine Mutter lange verstorben, aber wenn ich vorbeigehe, halte ich inne und denke an sie.

Thomas Staiber, Stuttgart

 

Was mein Leben reicher macht

Präsentationen, Seminararbeiten, Prüfungen – mein Kopf raucht. Da ruft mein Vater an: Er müsse zu einem Kundentermin nach Wien, ob ich mitkommen wolle. Und obwohl am Montag schon die nächste Prüfung ansteht, lasse ich alles stehen und liegen für ein Wochenende in meiner Lieblingsstadt. Endlich kann ich abschalten.

Annika Willi, Innsbruck

 

Was mein Leben reicher macht

Um 3.50 Uhr werde ich bei offenem Fenster von folgendem akustischem Allerlei geweckt: klappernde Störche, singende Nachtigallen, ein rufender Kuckuck – und die Bässe aus der benachbarten Diskothek. Die Leinemasch ist offensichtlich ein artenreiches Habitat.

Bernd Schönhofer, Laatzen

 

Was mein Leben reicher macht

Morgens der Anblick meiner noch schlafenden Frau, auch nach 58 Jahren noch. Das bildschöne, heitere Mädchen von einst schimmert immer noch durch. Dank dem Leben, das mir so ein liebevolles Wesen schenkte!

Martin Lagrange, Bad Dürrheim, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Max – unser Sohn, der schon mit drei Jahren wusste, dass er mal Bauer werden wollte. Nun ist er, 21-jährig, am Pfingstsonntag mit seinem geliebten Traktor tödlich verunglückt. Wir sind froh und stolz, dass wir seine Eltern sein durften!

Sylvia Hey, Hottenbach, Rheinland-Pfalz

 

Was mein Leben reicher macht

Einer meiner Stiftzähne war herausgefallen. Als meine fünfjährige Tochter am nächsten Morgen zu uns ins Bett kam und die Lücke bemerkte, zog sie flugs am Kopfkissen und bat mich, nachzusehen, ob die Zahnfee etwas versteckt habe.

Holger Ludwig, Bangkok

 

Zeitsprung: Småland

Vor einigen Jahren verbrachten wir mit unseren Enkelinnen die Ferien im schwedischen Småland. Wir wohnten in einer alten Bauernhütte und angelten bei schönem Wetter im benachbarten See. Inzwischen entdeckte ich in einem Buch dieses Aquarell. Es heißt »Lisbeth angelt« und hängt im Nationalmuseum in Stockholm. Der berühmte schwedische Künstler Carl Larsson hat es 1898 gemalt. Man sieht: Abseits der großen Touristenströme hat sich die Welt in Schweden sehr wenig verändert.

Dieter Jensen, Flensburg