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Das Lebenszeichen

Anfang 1945 lebten meine Großeltern in Stuttgart, meine Mutter wohnte mit mir und meinem kleinen Bruder in Schramberg im Schwarzwald. Mein Vater war Sanitäter in einem Lazarett. Während der vielen Bombenangriffe auf Stuttgart machten wir uns im Schwarzwald immer große Sorgen. In Stuttgart wurdenKarten für eine »Eilnachricht« nach Bombenangriffen ausgegeben, die man portofrei versenden konnte, was mein Großvater anscheinend nicht wusste, die Marken wurden daher nicht gestempelt. Nach dem Angriff vom 29. Januar 1945 schrieb mein Großvater aus Stuttgart an meine Mutter: »Gestern Nacht Bomben auf Neue Weinsteige, Westen, Botnang, Vaihingen, Möhringen usw. Wir hatten keinen Schaden. Wir waren dreimal im Stollen bis 12 1/2 Uhr Nachts. Herzliche Grüße Vater und Mutter. Wer in Deutschland kennt heute noch den Schauder und die Angst, die einen überkamen, wenn man die Sirenen hörte und nachts davon aufwachte? Und dann erst, als man die Einschläge hörte! Immer wieder denken wir an die Menschen in Syrien, die so etwas heute erleiden.

Helga Lauxmann, Karlsruhe

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Familie und ich in der Pizzeria: Als meine Pizza Hawaii endlich kam, war sie nicht rund. »Guck mal, ein Herz«, sagte der Kellner. Da wurde ich knallrot.

Johanna Nolden, Dürnau bei Göppingen

 

Wohlweislich: Mein Wort-Schatz

Heute in alten Tagebüchern meiner Mutter gelesen. Sie nahm zu einem Besuch wohlweislich einen Napf Heringssalat mit, in der Annahme, dass die junge Hausfrau zum Mittagessen kaum etwas Gescheites bereithalten würde. Ein unerwartetes Wort; ich stockte beim Lesen. Nicht besserwisserisch überlegen, es fährt keinem über den Mund. Eher bedeutet es: vorausschauen, Realität einkalkulieren, und Notwendiges stillschweigend tun. Ich finde, es ist ein freundliches Wort und sollte nicht aussterben.

Rosemarie Bottländer, Odenthal, Nordrhein-Westfalen

 

Das ist mein Ding

Diese Baby-Weste aus Filz hat meine Mutter in den Jahren 1949 und 1950 für mich genäht und eigenhändig bestickt. Das kleine Teil hat einen Ehrenplatz in meinem Schrank, und mir wird immer ganz warm ums Herz, wenn ich es in die Hand nehme. Meine Mutter lebt nicht mehr, aber die Erinnerung an sie und ihre Liebe bleibt lebendig.

Ulrike Fort, Köln

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann sammelt Verschlussclips. Von jeder Toastpackung, jeder Kekstüte hebt er sie auf, weil man die vielleicht noch mal braucht. Auf dem Gewürzregal steht eine ganze Dose voller Gummibänder, Klammern und Verschlussclips, aber die ist schon voll. Deshalb sammelt mein Mann die Clips in einem losen Häufchen zwischen den Gewürzstreuern. Wenn das Häufchen zu groß wird, werfe ich sie alle weg. Mein Mann weiß das. Es ist ein stillschweigendes Übereinkommen: Er darf sammeln, ich darf wegwerfen. Ich mag meinen Mann!

Friederike Schwencke, Braunschweig

 

Was mein Leben reicher macht

Dass ich mich im Wasser leicht und locker fühle, schmerzfrei bin und mich selbstständig fortbewegen kann, während ich an Land Elektrorollstuhlfahrerin bin. Einmal pro Woche genieße ich das – zwei Stunden lang.

Almut Meyer, Villingen

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einem kurzen, aber wunderschönen Urlaubsbesuch bei der Familie meiner Freundin sitze ich im Zug zurück aus Sylt. Ich lese und döse ein wenig vor mich hin. Alle Herausforderungen des neuen Schuljahres scheinen mit einem Mal weniger schwierig.

Tim Bosch, Nittel, Rheinland-Pfalz

 

Was mein Leben reicher macht

Ich bin früh morgens zu Fuß unterwegs, um etwas zu erledigen. Es ist alles noch ganz ruhig. Nur ein Bauarbeiter ist auf dem eingerüsteten Kirchturm zugange. Plötzlich schallt Highway to Hell vom Turm.

Angelika Schmaus, Schliersee, Bayern

 

Die Kritzelei der Woche

Während die Kinder die letzten Ferientage bei Oma und Opa verbringen, habe ich aufgeräumt – und auf der Schreibtischunterlage meiner achtjährigen Tochter Birte diese Kritzelei gefunden. Entstanden ist sie in vielen Stunden des CD-Hörens, Vorsich-hin-Träumens, Sich-vor-Schularbeiten-Drückens …

Susanne Kremer, Stuttgart

 

Ermattet: Mein Wort-Schatz

Manchmal scheint es, als ob Anstrengung nur noch negativ wahrgenommen wird. Ich will das Burnout in unserer hektischen Zeit nicht kleinreden, aber wie schön ist es, nach getaner Arbeit wohlig ermattet zu sein. Diese Momente wunschloser Zufriedenheit und meditativer Leere sind das pure Glück. Falls Sie das nächste Mal einer fragt: »Na, bist du auch so kaputt?«, wäre es doch toll, wenn Sie antworten könnten: »Nein, nur ein wenig ermattet.«

Thorsten Faust, Leingarten, Baden-Württemberg