Lesezeichen
 

Was mein Leben reicher macht

Neulich als frisch Zugezogene in einem kleinen Dorf in Westfalen. Hektisch gehe ich aus dem Haus und will mit dem Auto zur Arbeit fahren. Erneut fällt mir auf, dass die Glocken mittwochmorgens anders läuten als an den anderen Tagen. Eine Dame mit Gesangbuch in der Hand geht vorbei, und ich frage sie. Ja, es sei immer Wortgottesdienst, mittwochs früh. Leider fehle mir jetzt die Zeit für Besinnliches, entgegne ich. »Fahren Sie vorsichtig!«, meint die Dame und fügt nach ein paar Schritten hinzu: »Wissen Sie was, ich bete einfach für Sie mit!«

Kirsten Reckeweg, Eikeloh

 

Dabei: Mein Wort-Schatz

1984, als ich drei Jahre alt war, ist meine Familie aus der Türkei nach Deutschland migriert. Damit wir so schnell wie möglich Deutsch lernten, gingen meine Zwillingsschwester und ich schon wenige Wochen nach unserer Ankunft in München in den Kindergarten. An unserem ersten Tag im Kindergarten dachte unsere Mutter gar nicht daran, uns was zu essen einzupacken. Sie nahm an, dass wir im Kindergarten etwas zu essen kriegen würden, wie sie es eben aus der Türkei kannte. Zur Mittagszeit packten dann alle Kinder ihre Brote aus. Nur wir hatten nichts zu essen. Als die Kindergärtnerin bemerkte, dass wir mit großen Augen die Brote der anderen Kinder anschauten, kam sie auf uns zu und fragte: »Na, ihr zwei, habt ihr nichts dabei?« Da wir noch kein Deutsch konnten, verstanden wir gar nichts. Schauten uns fragend an und dann wieder mit großen Augen auf die Brote der anderen Kinder.

Zu Hause sagten wir unserer Mutter, dass wir von jetzt an auch »Dabei« haben wollten. Unsere Eltern wussten natürlich erst mal gar nicht, was wir meinten, und fragten am nächsten Tag die Kindergärtnerin, was ein »Dabei« sei. »Dabei« war eines der ersten Wörter, die wir auf Deutsch lernten, und das Wort hat in unserer Familie immer noch eine ganz besondere Bedeutung. Noch heute fragen meine Zwillingsschwester und ich uns manchmal scherzhaft: »Na, Lust auf ›Dabei‹?«

Basak Tezcan, Brüssel

 

Europa

(Nach Gottfried Benn, »Astern«)

Europa – kriselnde Tage,
vergangener Sünden Bann.
In Brüssel berät man die Lage
und stellt Überlegungen an.

Noch einmal die vielen Moneten?
Noch einmal Milliardengrab?
Wohl besser als tausend Raketen,
das, was man Siechenden gab.

Noch einmal das leise Geraunte,
die Hoffnung: solidarisches Du.
Europa lehnte und staunte
den fließenden Euros zu.

Noch weitere bange Stunden,
wo längst es jeder weiß:
Die Geier drehen die Runden
und ziehen ihren Kreis.

Ulrich Novotny, Immenstadt im Allgäu

 

Was mein Leben reicher macht

Im Gespräch mit meinem fünfjährigen Enkel verwende ich einen Kraftausdruck, der mit »Sch« beginnt. Sagt Manolo: »Opa, das darf man doch nicht sagen! Nur im Auto!«

Frank Laier, Stuttgart

 

Die Mickeymaus-Akkreditierung

Ischgl, Tirol, im April 2002. Der Hotelier Günther Aloys hat keine Kosten und Mühen gescheut, um den 42. Präsidenten der USA, Bill Clinton, kurz nach dessen zweiter Amtszeit zu einem Besuch auf die 2300 Meter hoch gelegene Idalpe einzuladen. Clinton wird eine Message from the Mountains an die Jugend Europas richten. Geheimdienstmitarbeiter bereiten den Aufenthalt des Ex-Präsidenten minutiös vor. Als Journalistin soll ich darüber berichten. Kurz zuvor war ich in Disneyland Paris, habe noch meine Eintrittskarte. In Plastik eingeschweißt, an einem breiten schwarzen Band. Nicht ganz ernsthaft sage ich, das sei mein »pass to the president«. Heiterkeit. Dann Hektik. Und so schaffe ich es mit meiner gelben Mickymaus-Akkreditierung tatsächlich bis in den VIP-Bereich. Bill Clinton kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu und begrüßt mich mit einem freundlichen »Hello again!«.

Caroline Kleibel, Salzburg

 

Internationale Küche

In Alausi, einem kleinen Ort in Ecuador, fanden wir »Hähnchenzimmer« auf der Speisekarte eines Restaurants. Die englische Übersetzung (chicken rooms) half uns auch nicht wirklich weiter. Erst bei Betrachtung der spanischen Karte ging uns ein Licht auf: cuarto de pollo bedeutet »1/4 Hähnchen«. Cuarto heißt aber eben auch »Zimmer«.

Susanne Becker, Baden-Baden

 

Was mein Leben reicher macht

Das letzte Treffen mit meinem Biologiekurs vor der Abi-Klausur. Sie überreichen mir Schokolade und Blumen mit den Worten: »Danke, wir fühlen uns sehr gut auf die Abiturprüfung vorbereitet.« Und sie haben sie alle geschafft, mit einem
Schnitt von 9 Punkten!

Sigrid Schwarzer, Adelebsen bei Göttingen

 

Zeitsprung

 

Sophie und Lorenz Gack hätten sich gewiss nicht träumen lassen, was einst aus ihrem Milchladen im historischen Bamberger Gärtnerviertel werden würde. Als 1951 das linke Foto aufgenommen wurde, standen die beiden von sechs Uhr morgens bis sieben Uhr abends hinterm Ladentisch. Auch Tochter Christine verbrachte ihre ersten Lebensmonate dort – und zwar in einem Bananenkarton.

Als sie älter wurde, musste sie – wie ihre Geschwister – mithelfen und lernte so Kundenfreundlichkeit von klein auf. Heute wären die Eltern bestimmt stolz auf Christine, die den Laden zusammen mit ihrem Mann Harald Krause zu »Gack’s Frischeladen« ausgebaut hat (Foto rechts). Das umfangreiche Sortiment wird mittlerweile sogar im Internet angeboten und auf Wunsch nach Hause geliefert. Doch die meisten Kunden kommen lieber persönlich, um neben dem üblichen Bedarf an Lebensmitteln auch Christines selbst gebackene Kuchen oder hausgemachte Marmelade einzukaufen und dabei einen netten nachbarschaftlichen Schwatz zu halten.

Renate Steinhorst, Bamberg

 

Was mein Leben reicher macht

Mein peruanischer Freund fragt mich, was er für uns kochen soll. Ich wünsche mir Pellkartoffeln mit Butter und Salz. Ein paar Tage später erzählt er mir ganz verzweifelt, dass er in der Gemüseabteilung im Supermarkt geschaut habe, dort aber keine »Pellkartoffeln« verkauft würden.

Mareen Warmer, Heidelberg