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Materialien zur Kritik eines Gedichts Gernhardtschen Ursprungs

(Nach Robert Gernhardt, »Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs«)

Ich finde neu verfasste Lyrik nur bescheuert,
so eng am Vorbild, irgendwie doch mies;
ich will nicht, dass man sie verfeuert,
jedoch zu sagen: Schau sie an und lies,

das halte ich für völlig falsch und übertrieben;
wer so was macht, der ist doch schlicht nur fies;
warum, frag ich, wird so was nur geschrieben.
Ich krieg da fast den Ekel. Das und dies,

dass einer gar nichts Eignes produziert
das find’ ich lächerlich und gar nicht kreativ,
da wird doch nur nach fremdem Ruhm gegiert.

Ich halte so zu schreiben nur für schief!
Ich verstehe einfach nicht, was so was soll:
Ich hab von neu verfasster Lyrik nur die Schnauze voll.

Claudia Toll, Hannover

 

Altjüngferlich: Mein Wort-Schatz

Altjüngferlich ist ein Wort, das nun endlich ausgestorben zu sein scheint. In den letzten Jahrhunderten wurden von vielen Dichtern Erzählungen über alte Jungfern, das heißt sitzen gebliebene junge Frauen ab 25, ausgesponnen. Sie fanden den hämischen Beifall abgewiesener Männer, aber auch schadenfroher Frauen, denen es gelungen war, rechtzeitig einen Mann an Land zu ziehen. Im Zeitalter der Singles gibt es keine alten Jungfern mehr, stattdessen reichlich Junggesellen, die man mit Lächeln immerhin als achtbare Kandidaten unter die Lupe nehmen sollte.

Eva Schwarz, Berlin

 

Internationale Küche

Man muss nicht unbedingt ins fremdsprachige Ausland reisen, um drollige Speisekarten anzutreffen. Auf dem heute Alma-Wartenberg-Platz genannten Platz in Hamburg-Altona befand sich lange Jahre ein sehr gutes türkisches Restaurant, in dem Puttenfleisch angeboten wurde, also offenbar Fleisch von frisch geschlachteten Engelein. Natürlich hätte es eigentlich Putenfleisch heißen müssen, was ich dem Besitzer auch erklärte. Er nahm das freundlich zur Kenntnis, servierte seinen Gästen aber weiterhin Puttenfleisch …

Hans-Jörg Schwabel, Wien

 

Was mein Leben reicher macht

Wir besuchen das Dorf Paretz, bekannt geworden durch die Sommerresidenz der Königin Luise von Preussen. Unsere Dorfführerin bedauert, dass in diesem Jahr erstmalig die Störche ausgeblieben sind, was sie auf die regen Renovierungstätigkeiten zurückführt. Da nähert sich plötzlich eine Storchenfamilie. Sie sind wieder da!

Stefanie Alber, Stuttgart

 

Anmut: Mein Wort-Schatz

Toll, die Frauen von heute. Selbstbewusst, kess, sexy. Sie warten nicht auf den Richtigen, sie holen ihn sich – vielleicht auch nur vorübergehend. Die neue Freiheit eben, die hier keineswegs in Bausch und Bogen verteufelt werden soll. Doch eine urweibliche Eigenschaft bleibt dabei häufig auf der Strecke: die Anmut. Gilt halt als etwas gestrig, als die Frau sich dem Mann anpasste oder gar unterordnete und dabei vieles allzu ergeben erduldete. Doch die Anmut, die ich meine, ist nicht so: Sie passt ganz gut zu natürlicher Selbstsicherheit, sie geht einher mit Charme und macht es dem Mann keineswegs zu leicht. Vielleicht bin ich ja ein hoffnungsloser Romantiker, doch wenn ich das Glück habe, ein weibliches Wesen zu treffen, das diese besondere Ausstrahlung hat, empfinde ich das als Glücksfall.

Hans Trachsel, Zollikofen, Schweiz

 

Hitlerzeit im Schulheft

Meine Tante, die 1927 geboren wurde, hat alte Schulhefte gefunden, in denen wir kürzlich zusammen gelesen haben. Wirklich sehr beeindruckend sind die Sprache, die Rechtschreibung und die schöne Schrift der damals erst Sieben- oder Achtjährigen. Bei ihr wurde die Messlatte allerdings auch immer besonders hoch angelegt, da ihr Vater gleichzeitig ihr Lehrer war. Ebenfalls prägend war sicher die Erfahrung, mit Kindern von bis zu vier Klassenstufen gleichzeitig in einem Zimmer unterrichtet zu werden. Irritierend für uns heute, aber wohl typisch für die Zeit: Zwischen Aufsätzen wie »Unterm Christbaum« und weiteren herrlichen Geschichten finden sich auch immer wieder Bilder von Fahnen und Aufmärschen der Nazis.

Johanna Horlacher, Vellberg, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Die Linden blühen, mein Lieblingsduft. »Wie das gut riecht!«, sage ich zu meinem Enkel Simon. Worauf mich der Dreijährige korrigiert: »Oma, das duftet!«

Brunhild Lucas, Köln

 

Zeitsprung

 

Im Mai dieses Jahres machte ich mich auf den Weg zu einer Wanderreise ins Riesengebirge. Im Rucksack hatte ich das Foto meiner Großmutter (oben). Ich trage ihren Vornamen, weiß allerdings wenig über sie. Sie starb nur wenige Jahre nach der Flucht aus Breslau in Norddeutschland. Ich habe sie nie kennengelernt. Auf meiner Reise hoffte ich, den Ort zu finden, an dem mein Vater etwa im Jahr 1935 das Foto seiner Mutter machte, das bis zu seinem Tode in seinem Schlafzimmer hing. Bei meiner Tour zeigte ich das Foto der polnischen Wanderführerin, und sie identifizierte die Stelle sofort: bei der Burg Kynast, von der wir eben herabgestiegen waren! Spontan entschloss ich mich, mit meinem Mann den Aufstieg gleich noch einmal zu machen! So kam es zu dem Bild unten: die Enkelin gleichen Namens, jetzt ungefähr im gleichen Alter wie die Großmutter damals, glücklich, endlich eine Spur der »Rose« gefunden zu haben.

Rose-Marie Scheper, Oldenburg