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Was mein Leben reicher macht

Abendgottesdienst am Sonntag. Zur Kommunion spielt die Orgel ein Präludium von Bach. Da beginnt ein Baby zu weinen und lässt sich nicht beruhigen. Der Organist beendet das Präludium und intoniert Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Und das Schlaflied wirkt.

Hubert Wiesehöfer, Aachen-Brand

 

Der Meistertraum

(Nach Wilhelm Müller, »Der Lindenbaum«)

In Bayern vor dem Tore,
Da steht ein Neuer jetzt,
Und der soll es verhindern,
Dass Bälle eingenetzt.

Und trifft mal ein Borusse,
Gladbach und BVB,
Mit einem Sonntagsschusse,
Tut Bayerns Fans das weh.

Bayern mit Uli Höneß
Will ewig Meister sein.
Für ihn wär das was Schönes,
Doch andere sagen: »Nein!«

In Schalke oder Dortmund
Sind auch die Trainer heiß,
Der Ball ist überall rund,
wie jeder Profi weiß.

Es gibt auch Amateure
In unserer Fußball-Welt,
Da geht’s nur um die Ehre
Und nicht um sehr viel Geld.

Ein Fußballer will siegen,
Verlieren fällt stets schwer,
In Kreis- und Championsligen.
Hauptsache, es bleibt fair!

Hanno Manhenke, Minden

 

Wiedergefunden: Die Party-Tapete

Als wir ein Zimmer in meinem Elternhaus renovierten, kamen die Reste einer Tapete aus den siebziger Jahren zum Vorschein. Das Zimmer hatte damals als Partyraum gedient und war mit einer Bartheke, Tütenlampen, Cocktailsesseln und eben dieser wunderbaren Tapete ausgestattet gewesen. Sie erinnert mich an viele Abende meiner Jugend: Hier habe ich mit Freundinnen zu den Klängen von Banks of the Ohio meinen Eltern einen Gruppentanz vorgeführt, die Freuden des Rumknutschens mit meinem Jugendfreund kennengelernt, einen schrecklichen 16. Geburtstag gefeiert (weil die Geschenke aus Alkoholika bestanden, deren Wirkung mir bis dahin unbekannt war) und im Kreise meiner Fachoberschulklasse darüber diskutiert, ob der damals in Pädagogikbüchern empfohlene »Liebesentzug« wirklich besser sei als Schläge. Leider ist das Motiv nicht mehr vollständig, aber die Reste hängen nun an der frisch gestrichenen Wand und machen diese Zeit wieder lebendig.

Claudia Wenzel, Nürnberg

 

Was auch gesagt werden muss

(Nach Günther Grass »Was gesagt werden muss«)

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Gedanken anderer
schon längst gedacht wurde,
an deren Ende die folgenden Zeilen stehen.

Es ist das behauptete, von Medien kreierte Politikum,
dessen Autor ein Nobelpreisträger ist,
der seine Meinung zu einem politischen Konflikt
äußert zwischen Israel und Iran.

Warum soll diese Meinung uns wichtig sein?
Ist dieser Mann ein Experte des Nahen Ostens?
Ein Politiker, der eine wichtige Entscheidung treffen
oder beeinflussen wird? Was ist an einer Meinung
Skandalöses, die nichts Neues als alte Kamellen
hervorbringt?

Doch warum untersage ich mir,
jenen Autor beim Namen zu nennen,
der seit Jahren – wenn auch abseits von der
großen Öffentlichkeit – einen wachsenden
Literaturberg erschafft, welcher nicht
für außenpolitische Fachexzellenz bekannt ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Feigheit,
die zwar keine Strafe in Aussicht stellt;
das Verdikt »niveauloser Parodist« ist geläufig.

Jetzt aber zum Wesentlichen:
Warum nennt man einen Text ein »Gedicht«,
der sich nicht reimt, der der Poetizität entbehrt,
der nicht einmal äußerlich einer Form unterworfen ist,
sondern lediglich Zeilenumbrüche aufweist?
Warum sprechen die Medien über
die Empörung, kaum über den Inhalt?
Wäre eine Analyse nicht hilfreicher
als boshafte Unterstellungen?

Warum sind wir als Überlebende bloß Fußnoten?
Eine gelungene Metapher ist es nicht,
weil sie nichts Konkretes veranschaulicht.
Seit wann will Israel das iranische
Volk auslöschen? Ein Genozid durch Israel? Dies
erscheint mehr als absurd.

Warum der Autor sich etwas untersagt,
was in Deutschland viele andere schon tun,
nämlich Israel zu kritisieren, ist unverständlich. Die
antisemitische Moralkeule hält man als Bildungsbürger
aus. Auch keine Enthüllung ist, dass Deutschland
als Alliierter Israels dorthin Waffen liefert. Warum also
die plötzliche Aufregung?
Das Deutschsein als Schweigegrund
zu nehmen über 60 Jahre nach dem Krieg, ist unbegründet.
Die Tatsache, dass man durch Waffenlieferungen an andere
Länder Mitschuld trägt an den von diesen Waffen begangenen
Verbrechen, ist auch nicht neu.

Schweigen zu diesem Konflikt tut jetzt
kaum jemand. Die Diplomatie bemüht sich seit je um eine
friedliche Lösung,
insbesondere die mächtige amerikanische.

Was also bringt dieses Gedicht
Neues?
Ekelhaftes?
Verräterisches?
Nichts.

Stattdessen: Ein Einreiseverbot für diesen Literaturnobelpreis­träger.
Was für eine Fehlreaktion.

Wladislaw Jachtchenko, München

 

Zeitsprung

Unser Vater ist jetzt 60 Jahre alt. Auf dem Schwarz-Weiß-Foto sieht man ihn als den Kleinsten mit seinen beiden älteren Brüdern, seiner Cousine sowie dem Hund des Vermieters in Bierbergen 1954. Das Bild steht für vieles: Geschwister, die zusammenhalten, Tierliebe, aber auch für eine Flüchtlingsfamilie, die langsam wieder auf die Beine kommt. Auf dem anderen Bild sieht man uns, die drei Töchter, mit unserem Familienhund Gina im Jahr 1992. Auch dieses Bild steht für vieles, etwa für gemeinsame Ausflüge mit Papa, aber auch für seine Liebe zum Detail: Es hat ewig gedauert, bis wir standen, wie wir sollten.

Kira, Saskia und Corinna Geisler, Schlückingen, Nordrhein-Westfalen

 

Zeitsprung

Am Ostersonntag 2001 bekamen unsere Enkel, die damals dreijährigen Zwillinge Amir und Skander, je einen Porzellan-Osterhasen geschenkt, den sie in dem noch frühlingshaft kahlen Garten liebevoll umklammern. Zehn Jahre später, im Sommer 2011, erklärten sie sich nach einigem Zureden bereit, das ursprüngliche Bild am gleichen Ort nachzustellen.

Außer dem veränderten Hintergrund fällt auf, dass die Tierchen hinter den mächtig gewachsenen Händen fast vollständig verschwinden.

Hilde Schlömann und Werner Kullbach, Jülich

 

Osterspaziergang 2012

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Faust I«)

Vom Eise befreit sind Chrom und Bleche
Durch Waschmittel und des Frühlings wärmenden Blick,
Im Tale dröhnt Motorenglück;
Die Winterreifen, in ihrer Schwäche,
Rollt’ man in dunkle Garagen zurück.
Von dorther brechen nun brummend hervor
Mächtige Wagen zu tollem Gerase,
Vereinen sich zu einem tosenden Chor,
Den Himmel verdunkeln die Auspuffgase.
Überall regt sich der Werbung Streben,
Überall will man den Umsatz noch heben,
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Wir seh’n geputzte Autos dafür.
Kehre dich um, von diesen Brücken
Auf die Autobahn zu blicken!
Aus dem schmalen Raststättentor
Drängt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder drückt auf das Gas heut so gern.
Wen kümmert die Auferstehung des Herrn?
Sieh nur, sieh! wie schnell sich die Menge
Auf den Straßen und Wegen verkeilt,
Wie ein Stau in Breit und Länge
Vor dem nächsten Engpass verweilt.
Und bis zum Achsbruch überladen
Entfernt sich hier ein Caravan.
Schon von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns grelle Scheinwerfer an.
Gar mancher fährt zu früh gen Himmel
Aus diesem Straßen-Schlacht-Getümmel,
Zerschlagen fragt sich Groß und Klein:
Bin ich hier Mensch? Muss das so sein?

Klaus Peter Poppe, Quakenbrück

 

Frühlingsgefühle: Mein Wortschatz

Im November kann ich mich kaum noch erinnern, in der Adventszeit denke ich an das bevorstehende Fest, doch im Januar und Februar wünsche ich mir, dass mich bald mein Lieblingswort überkommt: Frühlingsgefühle. Ist es nicht herrlich, wenn die ersten Schneeglöckchen erscheinen, die Krokusse sprießen und dann die Osterglocken und Tulpen die Gärten zum Leuchten bringen? Dann habe ich wieder meine Frühlingsgefühle. In früheren Jahren habe ich natürlich auch anderes unter diesem Wort subsumiert.

Hans-Günter Loock, Friedrichsdorf

 

Klare Aussage

Vergangenen Herbst verbrachten mein Liebster und ich einen traumhaften Kurzurlaub am Achensee in Tirol. Bei einem Spaziergang sahen wir diese Wegweiser. Zur Information: Rote Punkte bedeuten eine eher schwierige Route, Schwarz steht für sehr schwierig. Somit war für uns klar: Eine all zu große Anstrengung im Urlaub ist einfach unnütz!

Yvonne Gächter, Götzis, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Neben mir im Café unterhalten sich zwei Damen und ein Herr über das Für und Wider von Schönheitsoperationen. Mit einer Handbewegung zeige ich auf mein Gesicht. Da beugt sich der Herr vor und meint: »Ach, Sie sind so vielfältig!«

Doris Roedig, Marburg