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Zeitsprung

Das linke Bild zeigt unseren Vater im Jahre 1991, an seinem sechzigsten Geburtstag umringt von seinen acht Enkelkindern, die zwischen 1980 und 1990 geboren sind. Wie die Orgelpfeifen sind sie platziert worden, und die teilweise skeptischen Blicke verraten, was sie von dieser Inszenierung halten. Welch fröhliche Gesichter zwanzig Jahre später! Das rechte Bild entstand bei Großvaters achtzigstem Geburtstag, und in der gleichen Anordnung wie 1991 sehen wir acht junge Menschen, die offensichtlich auch ihren Platz in der Welt gefunden haben. Was kann man sich als Tochter und Mutter noch mehr wünschen?

Ingrid Köck, Mürzzuschlag, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Am Geburtstag einen bunt frankierten Brief aus Uganda öffnen – von unserer Tochter, die dort einen Freiwilligendienst leistet. Eine gelungene Überraschung in Zeiten von E-Mail- und Facebook. Und das Strahlen in den Augen der beiden Schwestern, die den Brief eine Woche versteckt haben, weil er zu früh im Briefkasten war!

Sigrid Heuer, Vallendar

 

Glimpf: Mein Wort-Schatz

Als Liebhaber seltener und seltsamer Trouvaillen möchte ich für diese Rubrik den Glimpf anbieten. Im heutigen Sprachgebrauch taucht nur noch das Verb »verunglimpfen « in der Bedeutung »verunstalten, besudeln, verleumden « auf. Dass in früheren Tagen aber auch einmal das Substantiv »Glimpf« kursierte, weiß nur noch das Lexikon. »Glimpf« bedeutete »Nachsicht, Rücksichtnahme, Fug, Billigkeit, Schicklichkeit im Verhalten« – lauter Dinge, denen das Odium des Altmodischen anhaftet und die deshalb selbst fast aus dem heutigen Sprachgebrauch verschwunden sind. »Glimpf« bedeutete auch »Zufall« oder »Schickung«. Mich fasziniert dieses Wort wegen seines offenbar geräuschimitierenden Schalles und seines kuriosen Charakters sehr, und einmal habe ich es für den Offenen Kanal sogar zu einer Figur eines Hörspiels für Kinder gemacht: »Wer ist dieser Pimpf? Es ist der Glimpf!« Ein Glimpf ist selbstverständlich ein gutmütiger Kerl von zwergenhafter Statur mit knallroter Mütze, der die Dinge wieder ins Lot bringt.

Volker Zobel, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Wie jeden Freitagmorgen in meinem Stammcafé mit Internet den Laptop hochgefahren, um den Verwaltungskram der Woche bei einer Tasse Kaffee zu erledigen. Der Barista kennt mich inzwischen, diesmal hat er mir eine Latte mit Milchschaumherz gemacht. Musik im Hintergrund, ein paar andere Freelancer nicken herüber. Ich weiß, sie denken dasselbe: Wie gut, dass wir den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben!

Heike Aiello, Groningen, Niederlande

 

Wiedergefunden: Urlaubsgrüße aus Afghanistan


Wir sind es nicht mehr gewohnt, positive Nachrichten vom Hindukusch zu erhalten. Jetzt aber haben wir beim Aufräumen eine Ansichtskarte gefunden, die uns Freunde im Jahr 1974 aus Afghanistan geschickt hatten. Schier unglaublich, dass man dort einmal unbeschwerte Urlaubsfreuden genießen konnte!

Olaf Kleinelanghorst, Kiel

 

Was mein Leben reicher macht

Meine dreieinhalbjährige Tochter, die auf die Aufforderung, abends ins Bett zu gehen, das Wort Nein in fünf Silben zerlegen kann: »Na-ha-hai-i-n!«, um dann das ganze Programm durchzuziehen: Tränen, bibbernde Lippen und stammelnde Sätze. Zwei Minuten später der erste klare Satz: »Du darfst mir vorlesen.«

Lorenz Heimbrecht, Hildesheim

 

Ende vom Lied

(Nach Rainer Maria Rilke, »Engellieder«)

Einst war ich dein Engel, doch nun lass mich los,
denn ich verarme in deinen Armen
und werde kleiner, und du wirst groß:
und auf einmal bist du das Erbarmen,
und ich eine zitternde Bitte bloß.

Du hast mir ein Stück vom Himmel gegeben,
und ich lehrte dich ein wenig vom Leben,
so haben wir langsam einander erkannt.
Doch nun, da wir nicht mehr zusammen
schweben:

Lass sie doch endlich los, meine Hand!

Elke Bordes, Zarrentin am Schaalsee

 

Abschied von einem Pinsel


Nun ist das neue Jahr da. Wie soll ich ihm Halt geben? Soll auch ich den Euro retten? Dies tun viele große Damen und Herren ohnehin jeden Tag. Manche von ihnen wollen in den nächsten Jahren wiedergewählt werden, von mir und von den anderen Söhnen des Volkes. Des Nachts aber, wenn wir müde schlafen, zusammen mit den Töchtern des Volkes, kopieren oder erschleichen sie sich Titel und Geld. Mein Leben ist kleiner. Meine Freunde jedoch sind vertrauenswert und treu. Und so tut es weh, Abschied zu nehmen. Gestatten Sie mir also eine kleine Nachrede – auf den Freund und auf die Freundschaft: »24 Jahre hast du mich begleitet. Und nahezu täglich hast du den Tag mit mir begonnen. Hast mich eingeseift viele tausend Mal, bist mir um den Bart gegangen. (Das können viele Frauen nicht von sich sagen!) Viele Haare hast du im Lauf der Zeit verloren, so wie ich. Der Lack ist ab, sagen die anderen in meinem Alter. Dir geht es genauso. Durch dich bin ich jeden Tag, wieder geglättet an Haut und Seele, zu meiner Arbeit gegangen. Du wirst mir fehlen. Damit du aber nicht gar so weit weg bist, werde ich dich begraben. Im Garten, unter dem Hibiskusbäumchen und neben Maximilian, dem Zebrafinken.«

Norbert Möllers, Pulheim

 

Was mein Leben reicher macht

Südtirol, Hotel, Frühstücksbuffet. Eine alte Dame stellt sich neben mich und sagt: »Bonjour, Madame!« Ich mit Müslischüsselchen in der Hand: »Oh, Sie sind Französin? Ich bin Deutsche. Guten Morgen!« Pause. Dann singt sie mit verklärtem Lächeln und brüchigem Stimmlein: »Röslaain, Röslaain, Röslaain rot, Röslaain auf där Aaidön …« Und drückt mir den Arm.

Ursula Baumung, Stutensee