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Was mein Leben reicher macht

Morgens, meine Frau und unsere 16-jährige Tochter frühstücken. Ich verabschiede mich: »Tschüss, bis heute Mittag.« An der Haustür merke ich, dass ich etwas vergessen habe. Also zurück! In der Küche die Tochter, ohne aufzublicken: »Na, wie war’s?«

Rainer Bernhard, Saarbrücken

 

Was mein Leben reicher macht

Die Sonne. Der Regen. Der Herbst. Der Winter. Der Frühling, und wenn er wiederkommt. Der Sommer. Das Glücklichsein. Das Traurigsein. Haruki Murakami. Die Dunkelheit, und wenn sie wieder verschwindet. Der gute alte Bob Dylan. Worte, Schweigen, Träume, Musik. Du und ich.

Martin Ehrlicher, Coburg

 

Eines Freitagnachts

Wir schlafen schon, als Mama nach Hause kommt.
Inge hat das Abendessen gemacht und uns ins Bett gebracht.
Wir haben sie gefragt, wo Mama ist.
»Bei Vater im Krankenhaus.«
Inge sagt »Vater«.
»Was ist mit Papa?«
Paul und ich sagen »Papa«.
Inge weiß es nicht.

Als Mama nach Hause kommt, schlafen wir fest.
Wir hören nicht, dass ein Mann bei ihr ist.
Wir hören nicht, dass er sich am Herd zu schaffen macht.
Wir hören nicht, was er Mama mit besorgter Stimme fragt.
Auch was sie antwortet, hören wir nicht.
Wir hören nicht, ob Mama weint.

Am nächsten Morgen sagt sie uns, dass Papa tot ist.
Inge fängt an zu weinen.
Paul und ich weinen dann auch.
Mama zieht uns an sich.
Nun weinen wir alle.

Am Sonntag kommen die Verwandten.
Sie sprechen mit Mama über die Beerdigung.
Sie schicken uns zum Rosenmontagszug.
Der ist bei uns immer sonntags.

Heidi Godde, Bodenfelde

 

Was mein Leben reicher macht

Eine junge Straßenmusikerin singt, von einer Gitarre begleitet, Leonard Cohens Hallelujah. Mein dreijähriger Sohn Sebastian singt lauthals den Refrain mit, und ich weiß, dass ich mit ihm schon einiges richtig gemacht habe.

Pascal M. Estermann, Solothurn, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

Die Telefonflatrate, die meine Mutter und meine Schwester meinetwegen eingerichtet haben. Ich freue mich jeden Morgen auf den Anruf meiner 82-jährigen Mutter aus Hamburg und auf die langen abendlichen Gespräche mit meiner Schwester in Münster. So bleibe ich auch als »Piefke« in Tirol meinen Lieben und meiner Heimat verbunden.

Andrea Köck, Götzens bei Innsbruck

 

Schiffshebewerk: Mein Wort-Schatz

Mein Lieblingswort ist Schiffshebewerk. Schon der Begriff signalisiert etwas »Erhebendes«, ein Wunderwerk der Technik, das ganze Schiffe nach Bedarf heben und senken kann. Schon als Junge war ich davon fasziniert, nachdem ich den Begriff samt Beschreibung (»zur maschinellen Überwindung großer Höhenunterschiede zw. 2 Wasserspiegeln; Antrieb des den Schiffskörper aufnehmenden Troges hydraulisch oder mittels elektrisch bewegter Schraubenspindel, Zahnräder, Ketten, Seile«) in Knaurs Konversationslexikon von 1932 gelesen hatte. Ich besitze das Lexikon, das früher meiner Mutter gehörte, noch heute. Kürzlich habe ich das inzwischen denkmalgeschützte Schiffshebewerk Henrichenburg bei Dortmund besichtigt und war erneut beeindruckt von dieser kühnen und formvollendeten Konstruktion.

Berthold Stötzel, Siegen

 

Was mein Leben reicher macht

Beim vierten Kind nach sechs Jahren, vielen geschobenen Kilometern, auch über Kopfsteinpflaster, teilweise mit zwei Kindern gleichzeitig und der Ernte aus unserem Kleingarten beladen, immer noch denselben Kinderwagen einer schwedischen Firma benutzen zu können.

Annette Alte, Greifswald

 

Zug um Zug

Dem bewundernswerten Mitherausgeber der ZEIT, Schachfreund und Kanzler aller Kanzler

ZUG UM ZUG, jawohl, ich wette,
meint nicht etwa Schack, échec,
einzig nur die Zigarette
ist gemeint, das ist der Gag

deshalb ziehen auch nicht beide
gleichzeitig eine Figur,
wahrlich, welche Augenweide,
Peer reicht wohl ein Streichholz nur

Steine steh‘n zum Steinerweichen,
neunzig Grad verdreht das Brett,
doch die ZEIT macht ohnegleichen
Zug um Zug dies wieder wett

elder chessman lächelt weise
klemmt, was glimmt zwischen die Finger,
schickt sein Rössel auf die Reise,
Rösselsprung statt Hammelspringer

Frank Müller-Thoma, Langenargen

 

Zeitsprung

1981

2011

Von Zeit zu Zeit treffen wir uns, die ehemaligen Assistenzärzte der Inneren Abteilung des Nordstadtkrankenhauses von Hannover, und jedes Mal machen wir ein Foto an der Büste des Geheimen Medizinischen Rats Professor Doktor Heinrich Reinhold, des ersten Chefarztes des Krankenhauses nach seiner Errichtung im Jahr 1895. Unsere Treffen sind immer eine gute Gelegenheit, über alte Zeiten zu klönen, in denen Mediziner noch Ärzte waren – und nicht Anbieter im Gesundheitswesen.

Wilfried Buck, Hannover