Diese Zeichnung besteht aus einer einzigen Linie, die, im Zentrum des Blattes beginnend, erst Hunderte von Irrgärten durchlaufen muss, ehe sie ihren Zielpunkt erreicht. Entstanden ist die Kritzelei auf der Rückseite meines Collegeblocks in ein paar Vorlesungen meines Studiengangs Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie an der Universität Hohenheim. Doch die Linie bleibt nicht auf dem Papier, sie endet nicht in einer der vier Ecken, sie durchbricht irgendwo die Wirklichkeit und windet sich in Schleifen und Sackgassen durch mein Leben. Auf ihrem Weg begegnet sie der Mikroökonomie, der komplexen Verfahrenstechnik von Biogasanlagen, der energetischen Ernterückstandsverwertung im Pflanzenbau, sie schlängelt sich vorbei am Rechnungswesen und der Analyse nachhaltiger Agroforstsysteme bis zur stofflichen Nutzung von Hanfpflanzen.
Im Briefkasten liegt ein grüner Umschlag. Neugierig öffne ich ihn. Von einem Foto strahlen mich sechs junge Menschen an. Der Inhalt eines langen Schreibens, kurz zusammengefasst: »Wir haben gerade Abitur gemacht. Diese Aufnahme entstand vor unserem Abi-Ball. Wir wollen uns für die vier schönen Grundschuljahre mit Ihnen bedanken, die den Grundstein zu diesem Ergebnis gelegt haben.« Mir wird ganz warm ums Herz. Danke, Benedikt, Janne, Julian, Letizia, Mona und Verena! Alles Gute für Euren Weg, Ihr werdet ihn meistern!
Adagio. Im Geiste zähle ich mit. Erster Blickkontakt mit dem Dirigenten, noch ein paar Takte Pause, das Orchester wird leiser. Zweiter Blickkontakt mit dem Dirigenten, mein Einsatz! Ich flute den Saal mit majestätischen Paukenklängen.
Ulrich Greiner hat vor vielen Jahren in der ZEIT eine Lanze für das Wort einander gebrochen. Aber viele seiner Kollegen haben das nicht zur Kenntnis genommen. Wie würde Heinrich Heine wohl reagieren, hörte er sein Gedicht: »Es waren zwei Königskinder, / die hatten sich so lieb«?
Mit meinem Sohn Henrik den Windsorknoten üben, damit er im Zahnmedizinerexamen mit einer klassisch gebundenen Krawatte die Etikette erfüllt. Dieses Wissen stand nicht auf dem Lehrplan.
Kürzlich war ich wieder einmal in Hamburg und habe auch Finkenwerder besucht – mit der Hafenfähre, was immer ein Vergnügen ist. Orientiert habe ich mich mit einem Stadtplan, den ich (so ist es darin notiert) im Mai 1987 gekauft habe. Damit, das ist mir bewusst, gehöre ich zu einer Minderheit. Die meisten Touristen benutzen heute in fremden Städten einfach ihr Mobiltelefon als Navigationsgerät. Das sieht dann so aus wie auf dem Bild rechts. Dass Mobiltelefone so selbstverständlich geworden sind, erklärt übrigens einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Bildern: Die gelben Punkte auf meinem alten Stadtplan markieren die damals stattliche Anzahl von Telefonzellen! Dietrich Tamm, Koblenz
Wir haben uns ein eigenes kleines Backhaus gebaut, das wie früher mit Holz geheizt wird. An einem schönen Samstagmittag fuhren wir zu einem Backhausfest in das Örtchen Mainzlar. Dort kamen wir mit einer älteren, aber noch rüstigen Frau ins Gespräch. Irgendwann fragte meine Frau sie nach einem alten Rezept. Sie zögerte kurz und sagte dann: »Ich kann Ihnen das nicht aufschreiben, wir Alten machen das nach Gutdünken!« Ich fand das so gelungen ausgedrückt, dass ich diesen Wort-Schatz jetzt selbst schon öfter zum Besten gegeben habe.
Siebzig werden. Noch einmal in die Toskana reisen. Das Haus nahe Arezzo wieder bewohnen. Noch einmal mit den Eidechsen leben. Piero della Francesca besuchen. Und die schwangere Madonna in Sansepolcro. »Salve« auf dem Pflaster lesen.
Donnerstag: Hitze … Kernspin … Aufatmen. Zu Hause: Kaffee und die ZEIT. Auf der letzten Seite fällt mir der barfüßige Schneckensammler aus Österreich auf. Wie poetisch der Satz: »Dabei bin ich barfuß, um die Erdung nicht zu verlieren.« Erinnerungen tauchen auf: Ich war damals fünfzehn und verbrachte mit meinen Eltern und meiner Freundin die Sommerferien in Grins. Dort habe ich meinen ersten Kuss von dem barfüßigen Schneckensammler erhalten. Das war vor vierzig Jahren. Ich fühle mich beflügelt und laufe barfuß durch meinen Garten, um mich zu erden!
Seit Jahrzehnten halten wir es mittlerweile schon mit der guten britischen Tradition und trinken den ersten Alkohol eines Tages um 18 Uhr als sundowner. Bei Sonnenschein sollte man Alkohol ja meiden, vor allem in den Tropen… Und dann stieß ich auf das wunderschöne Wort Dämmerschoppen. Das ist unseren Breiten doch viel angemessener und strahlt dazu noch eine gewisse Gemütlichkeit aus. (Den Frühschoppen lassen wir mal außen vor, siehe oben!) Deshalb ist »Dämmerschoppen« mein Wort-Schatz. Prost!