Daniel ist tot. Daniel, der Sohn unserer ältesten Freunde, der »große Bruder« unserer Töchter – vor zwei Monaten ist er im Himalaya in einer Gletscherspalte verschwunden, mit 35 Jahren. Mitten aus dem Leben ist er in den Tod gestürzt. In gewisser, absurder Weise war sein Tod wie sein Leben: stürmisch, geradeaus. Seine
Familie, seine vielen Freunde und uns lässt er fassungslos zurück. Hier stehen wir, jeder vor seiner eigenen Gletscherspalte aus Verzweiflung, Schmerz und Wut.
Daniel ist tot. Die Wucht dieser Tatsache bringt das Leben derer, die ihm nah waren, völlig aus dem Gleichgewicht: Daniel – mein Freund, mein Bruder, mein Klettergefährte, mein Geliebter, mein einziges Kind. Wie sollen wir jetzt übrigbleiben – als Freund, als Schwester, Mutter, Vater, als Geliebte? Nichts ist mehr in Ordnung. Das Leben geht weiter, schwankend zwischen absolut belanglos und absolut unerträglich. Allem, was wir tun, allem, was wir erleben, ist Daniels Tod beigemischt. Wir müssen den Schmerz immer aufs Neue bewältigen. Und gleichzeitig, während all dies stattfindet, geschieht etwas Seltsames, etwas noch kaum
Sichtbares: Aus Daniels radikaler Abwesenheit entsteht irgendetwas Neues, kommt etwas Neues ins Leben – hier, da, dort.
Gabriele Haarhaus, Schulendorf, Schleswig-Holstein