Teil meines Jobs als Wissenschaftler ist es, sich viele Vorträge auf Konferenzen und in Seminaren anzuhören. Manchmal ziehe ich hier und da eine Linie, und wenn der Vortrag nicht fesselnd genug ist, verselbstständigt sich die Sache. Dann entstehen „Botadras“, boring talk drawings. Besonders ergiebig war eine Tagung vor einiger Zeit in der Mitte von Nirgendwo an nasskaltgrauen Wintertagen. Von dort stammt diese Kritzelei.
Ein Tagesrechner im Internet. Mit seiner Hilfe habe ich herausgefunden, dass ich mit meiner Frau in dieser Woche seit genau 10.000 Tagen glücklich verheiratet bin.
Die Aufnahme habe ich im Bahnhof von Büchen (Schleswig-Holstein) gemacht. Er soll in Kürze abgerissen werden und sieht entsprechend trostlos aus. Der Spruch ist ein kleiner Lichtblick. Sein Sprachwitz erschließt sich, auch wenn man den Umbau eines Kopfbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof anders als die Berliner Mauer als Zukunftsinvestition bewertet. Der Autor hat den Ausspruch Walter Ulbrichts, nur zwei Wochen vor dem Bau der Berliner Mauer, fälschlicherweise Erich Honecker zugeordnet, was mir im Jahr 20 der deutschen Einheit verzeihlich scheint, und den Vornamen Erich auf ironische Art mit dem Nachnamen des Bahn-Chefs verbunden. Als ich die Aufnahme machte, fragte mich ein junger Türke, was ich daran interessant fände. „Ach ja, Stuttgart 21!“, sagte er dann selbst. Ich erzählte ihm von Walter Ulbricht und dem Bau der Berliner Mauer. So kamen wir ins Gespräch.
Christel Happach-Kasan, Bundestagsabgeordnete der FDP, Bäk, Schleswig-Holstein
Morgens aufstehen, frühstücken, in die braunen Kulleraugen unseres Golden Retrievers gucken. Sein Blick sagt: „Gehen wir jetzt endlich raus?“ Gummistiefel und Regenjacke anziehen und eine Stunde lang in der schönen ostwestfälischen Natur spazieren gehen. Danach sind wir beide glücklich!
Die ZEIT wird 65 Jahre alt und reist zu ihren Leserinnen und Lesern. Auch in dieser Woche hier eine Auswahl an Wünschen, die uns erreicht haben: Mario Stadelmann wünscht sich Giovanni di Lorenzo nach Bremen – zur Eröffnung einer deutsch-italienischen Kita. Jürgen Weilandt vom German-Indian Round Table in München würde gerne gemeinsam mit der ZEIT den 63. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens feiern und hofft auf den Beistand des Gottes Ganesha. Das Ehepaar Mayländer aus Gernsbach lädt Helmut Schmidt und Giovanni di Lorenzo in den Schwarzwald ein. Die langjährigen Abonnenten haben sich über eine ZEIT-Annonce kennengelernt. Werner Kahle wünscht sich Iris Radisch für eine Studioaufnahme in der Westdeutschen Blindenhörbücherei in Münster, in der seit fast 51 Jahren allwöchentlich die Hörfassung der ZEIT für blinde und sehbehinderte Nutzer entsteht. Michael Neugebauer aus Potsdam-Babelsberg würde sich gerne im Rahmen eines Projekts der Medienanstalt Berlin-Brandenburg mit Christoph Amend austauschen. Andreas Knierim hofft auf einen Kinoabend mit Katja
Nicodemus im Kasseler Kino Filmladen. Für Pfarrer Stefan Bürger aus der Evangelischen Kreuzkirche Fulda sind ZEIT-Artikel Ideengeber für so manche Predigt. Er würde sich über Florian Illies als „Gastprediger“ im Gottesdienst
freuen.
Reiseerlebnisse wie dieses, letzten Sommer: Am letzten Tag einer tollen Rennradtour durch die Alpen fahren wir den extrem steilen Riedbergpass hoch. Auf der Passhöhe kommt uns ein älterer Herr auf seinem Rad entgegen und begrüßt uns herzlich. Wir plaudern, und ich frage ihn nach seinem Alter. „I bin achtesiebzig“, sagt er. Wir sind nicht mal beide zusammen so alt wie er! Nun sehen wir dem Altern (etwas) gelassener entgegen.
Im Winter 1972 nahm mein Vater das obere Foto nach dem Schneeschaufeln vor unserem Haus in Osnabrück-Pye auf, denn solche Schneewinter sind eher selten in Norddeutschland. Über die diesjährigen Weihnachtstage waren wir drei Geschwister wieder bei unseren Eltern zu Besuch.
Wieder lag Schnee, der Schlitten gehört inzwischen unseren eigenen Kindern, wir mussten also nur noch die alte Schaufel aus dem Schuppen unseres Vaters holen. Es ist nicht selbstverständlich, für so lange Zeit ein Elternhaus zu haben, in das man immer wieder zurückkehren kann.
Samstag kurz nach zehn in der Stadtbibliothek. Ein kleines türkisches Mädchen, das kaum über den Tresen schauen kann, macht sich höflich bemerkbar und fragt: „Liest heute einer was vor?“ Eher nicht, meint die Bibliothekarin, heute würden nicht so viele Leute hier arbeiten. Ein enttäuschtes Gesicht. Da greift die Frau zum Hörer, und als sie auflegt, sagt sie: „Es kommt gleich jemand und liest dir was vor!“ Das Mädchen strahlt. Welch ein Glück Lesen und Vorgelesenbekommen doch ist!
… aus traurigem Anlass« unternimmt Sabine Kröner, 55: Im vergangenen Jahr ist ihr Mann in den Freitod gegangen, jetzt will sie durch neue Eindrücke Abstand gewinnen. Sie ist nach Buenos Aires geflogen und wird per Schiff durch die Südsee nach Australien, Indonesien, Malaysia, Myanmar, Indien und durch den Sueskanal bis nach Venedig fahren.
Die „Stadt der guten Lüfte“ hat mich nach vierzehn Flugstunden so gar nicht namensgerecht empfangen. Die Abgase der stets laufenden Automotoren und die schwülheiße Luft bilden ein ungesundes Gemisch. Der Verkehr vor dem Flughafen wird mit Hupen und Trillerpfeifen geregelt – alles zusammen etwas strapaziös für müde Ankömmlinge. Etwas befremdlich auch der Weg zur Gepäckausgabe mitten durch den Duty Free Shop. Dachte, ich hätte mich verlaufen, aber nein, das soll so sein. Schließlich konnte auch die Dame mit dem MS Columbus-Schild ihre Schäfchen zusammentreiben und in einen eisgekühlten Bus verfrachten. Zuvor jedoch musste die Schweißarbeit des argentinischen Koffereinladers mit einer als propina bezeichneten Gebühr von fünf Euro belohnt werden. Im fahrenden Bus die nächste Überraschung: Das Schiff hat Verspätung. Deshalb machen wir jetzt gleich die eigentlich für den Nachmittag geplante Stadtführung – bei 34 Grad in Winterkleidung! Mein Bericht über das angeblich so beeindruckende Buenos Aires fällt diesen Umständen gemäß aus: Ich sah in die Jahre gekommene Prachtbauten, bunt bemalte Blechhütten, Edelrestaurants. Dazwischen überall Parkanlagen mit gigantischen Jacaranda- und Gummibäumen, unter denen Obdachlose mit Tauben und Müll konkurrieren. Allgegenwärtig Abbildungen von Evita Perón und Diego Maradona. Schade! Und das Schiff war dann doch mal da. Das Chaos bis zum Einchecken wurde nur noch von der Hoffnung auf eine kalte Dusche übertroffen. Das erste Abendessen habe ich verschlafen, aber davon sollen mir ja noch 115 Wiederholungen vergönnt sein!
Ein Blick aus dem Fenster: Wieder hat es geschneit. Ich liege noch im Bett und höre das Kratzen auf den Bürgersteigen, die Schneeschieber der Nachbarn. Auch vor meinem Haus kratzt es, aber das bin nicht ich. Das ist ein junger Mann vom örtlichen Gärtner, engagiert von meiner Tochter für einen Schneeräum-Abo-Dienst. Wenn das kein Geburtstagsgeschenk ist!