Wenn ich anfange, eine Einkaufsliste zusammenzustellen, fragt meine sechsjährige Tochter Sunniva oft, ob sie auch darauf malen dürfe. So entstehen Einkaufszettel wie dieser. Schlösser, Prinzessinnen und Prinzen sind ein immer wiederkehrendes Thema. Zusätzlich findet sich auf dieser Zeichnung die Flagge Indiens, weil meine Tochter in der Schule gerade ein Projekt über den Alltag eines indischen Mädchens hatte. Außerdem hat sie auf Norwegisch noch zwei Artikel auf der Liste ergänzt: Fisch und Brokkoli.
In einem kleinen Supermarkt an der Bochumer Königsallee. Vor beiden Kassen warten Leute in langen Schlangen. Da hört man auf einmal ein kleines Mädchen singen – ganz traumverloren singt es Lieder, die keiner kennt. Aber jeder hört ganz aufmerksam zu. Es wird ganz still, man lächelt sich zu. Ich gehe voll innerer Freude nach Hause.
…sich zermürbt und der Einsicht gewahr fühlend, dass es in der Industrie keine Romantik zu geben scheint, die Haustüre aufzusperren und mit einem an Authentizität und Stimmmodulation unübetrefflichem „Haaallo Papaaaa“ empfangen zu werden. Der blonde Schöpfer dieses Paralleluniversums hat große, blaue Augen, ist ganze 2 Jahre alt und heisst Ben; dieser Spross macht mein Leben reicher!
VERDAMMT: Mir reicht’s! Mein Ärger ist sehr groß.
Nimm deine Socken von hier weg,
und von mei’m Körper lass die Pfoten bloß.
Befiehl dir endlich mal, mit Hirn zu sein;
verordne dir vernünftigere Tage.
Dränge dich zur Entwicklung hin und klage
nicht dauernd über mich. Was fällt dir ein!
Es war noch nie o.k. und wird’s wohl auch nicht mehr.
Ich will allein sein und es lange bleiben,
will flirten, lachen, lange Briefe schreiben,
doch nicht an dich. Da bin ich leer.
Viel lieber will ich’s anderweitig treiben.
Meine Situation in den letzten zehn Monaten an der Uni Hamburg erinnert stark an eine Szene aus Asterix erobert Rom: In einem Irrenhaus begeben sich Asterix und Obelix auf die Suche nach dem Passierschein A38 und werden von Raum zu Raum geschickt. Auch ich kenne die Räumlichkeiten der Uni Hamburg nach monatelangem Klinkenputzen inzwischen sehr gut. Die Kommunikation per E-Mail gestaltet sich ebenfalls äußerst schwierig: Entweder werden meine Mails weitergeleitet oder nicht beantwortet. Dabei ist mein einziges Anliegen von meinem Studiengang Lehramt Sek I in den verwandten Studiengang Lehramt Sek II zu wechseln.
Was sich in der Theorie einfach und banal anhört, erweist sich in der Praxis als fast unmöglich. Dabei hatte Uni-Präsident Dieter Lenzen bei seinem Amtsantritt ein offenes Ohr für studentische Belange versprochen (auch die E-Mail an ihn persönlich blieb unbeantwortet). Trotz sehr guter Noten und Unterstützung vieler Profs versucht mir die Uni HH weiterhin Steine in den Weg zu legen. In der Zwischenzeit habe ich mich natürlich nach Alternativen umgesehen. An der Uni Münster ist der Wechsel überhaupt kein Problem. Besser noch: Ich brauche mich auf Grund meiner bereits erbrachten Leistungen nicht mal bewerben, ich schreibe mich einfach direkt ein. So fühlt man sich willkommen; so einfach kann es gehen.
Sollte die Uni Hamburg ihre Verwaltung und Organisation nicht verbessern und das Thema Universität in der öffentlichen Wahrnehmung Hamburgs weiterhin eine so untergeordnete Rolle spielen, dann wird sich der miserable Ruf dieser Hochschule noch weiter verschlechtern. Mir wird keine andere Wahl bleiben, als das Weite zu suchen.
Demnächst werde ich in eine kleinere Wohnung ziehen, und um zu erkunden, ob es sich lohnt, mein Klavier mit umzuziehen, habe ich nach fast 60 Jahren erneut Klavierstunden genommen. Beim Durchstöbern der alten Noten fand ich das Aufgabenbüchlein für meine ersten Klavierstunden in den Jahren 1948 bis 1950. Es hat sieben Umzüge quer durch Deutschland überstanden und ist eine berührende Erinnerung an meine Eltern: Als ausgebombte Flüchtlinge, deren winzige Untermietwohnung zum Teil noch mit Apfelkisten möbliert war, haben sie doch ein Klavier angeschafft und brachten jeden Monat 25 Mark für den Unterricht auf. Mein Entschluss steht fest: Ich werde das Klavier mitnehmen.
Meine drei Schwestern! Unsere Mutter, im 94. Lebensjahr und schwerstdement, hält uns zusammen. Wir sind nicht allein, wir können uns aufeinander verlassen. Jede von uns hat andere Erfahrungen mit Mutter, jede liebt sie auf ihre Art und Weise. Und wir sind ihr sehr dankbar. Denn wir haben uns, und das ist unendlich viel.
Donnerstagabend : Taizégebet im winzigen gotischen Totenkirchle in B. Heute sind wir nur 5 Erwachsene und ein Kind. Während der Lieder berühren sich unsere Stimmen, stützen einander, geben Halt. Aus der Melodiestimme löst sich ein Alt, dann ein Tenor, ein Bass, die Überstimme. Je nach Bedarf und Lust wechseln die Stimmen sich ab, entfalten sich, wie auch die Liedtexte in den europäischen Sprachen frei variiert werden können. Beim gemeinsamen Schweigen, in der Stille ist jeder bei sich und doch eingehüllt in ein Miteinander, das zu tragen scheint ohne grenzverletzend oder sentimental zu werden. Es wird spürbar : Wir sind geliebte Wesen. Der Abend klingt aus in weiteren wunderschönen Gesängen, bis wir fast satt sind. Wir lösen uns leicht wie Federn.
Meine fünfjährige Tochter Emma überreicht mir eine Muschel, die sie aus ihrem letzten Italienurlaub mitgenommen hat und sagt: „Die schenke ich dir. Heb sie gut auf. Diese Muschel soll dich, wenn du ein alter Opa bist, daran erinnern, dass du einmal ein junger Daddy warst.“ Ich lege sie in meinen Bücherschrank.
Alfred Franz Thiele, Altenberg bei Linz, Österreich