Taumeln im Rausch des Konsums: fünf Handys statt einem, zehn Geschenke statt dreien; es geht nicht mehr darum, mit wie viel Liebe ein Geschenk gemacht wird, sondern nur noch um die Größe, die Oberfläche, die Anerkennung, den materiellen Wert. Der Größenwahn beginnt wieder mit der sich langsam nähernden Vorweihnachtszeit, so auch mein Unmut über die Gier einer Gesellschaft, welche jedes Maß verloren hat. In dieser Zeit des Konsums, des ständigen Zeitmangels, der besinnungslosen Suche nach Befriedigung und Glück frage ich mich: Wie größenwahnsinnig können wir noch werden? Diese Kritzelei, begonnen an einem Samstagabend, formte sich in Rage und im Treiben der Gedankenflut über dieses Thema zu einem kreativen Fest des Größenwahnsinns, der über uns allen schwebt: „Megalomaniac“!
Fast haben wir den kleinen Belt in Dänemark per Segelboot überquert, da rollen von hinten immer schneller dunkle Gewitterwolken an. Also schnell in den winzigen Hafen der Insel Lyø – und mit uns ein Dutzend weitere Segler. Irgendwie quetschen sich alle gerade noch rechtzeitig in den eigentlich schon vollen Hafen. Nach einem heftigen Schauer dampft die grüne Insellandschaft, leckere Gerüche strömen aus allen Kombüsen, die Kinder genießen ihre Freiheiten und angeln Seesterne aus dem Hafenbecken – dänische Sommerstimmung. Nach einem kitschigen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch wird auf einem Boot die Gitare ausgepackt und der ganze Hafen singt mit. Paradiesisch!
Dass meine Nichte mich Tante Rina nennt. Schon als Kind wollte ich zu Hause nicht Karina gerufen werden, das „Ka“ erschien mir zu hart. Dann kam meine Nichte, und nichts auf der Welt war selbstverständlicher für sie, als Tante Rina zu mir zu sagen. Danke, Mottemaus!
„Kämmst du deine Haare selbst?“ Erst irritierte mich die Frage. Ich leide darunter, dass sich kein Friseur an meine Haare traut, aber kämmen kann ich sie selbst. Die Frisur ist das Allerwichtigste an einer kamerunischen Frau. Sie bestimmt ihre Attraktivität, ihre ganze Persönlichkeit. Mir passiert es, dass ich Frauen, mit denen ich gestern gesprochen hatte, heute nicht mehr wiedererkenne: Sie haben von einem Tag zum anderen eine völlig neue Frisur. Gestern noch lange Zöpfe, heute eine glatte Kurzhaarfrisur, übermorgen plötzlich wieder Pony und Pferdeschwanz. Eine gestern grauhaarige ältere Dame lässt sich mal eben blonde Stränchen arrangieren und verjüngt sich gleich um mehrere Jahrzehnte. Wozu dieser ganze Aufwand? Keine Frau ist mit ihrem Haar zufrieden. „Zu stark, zu drahtig, unmöglich zu kämmen, zu dick“, klagen sie.
Eine Möglichkeit ist, die Haare ausgiebig mit fetthaltigen Pasten und diversen Chemikalien zu bändigen und nach Belieben um Lockenwickler zu rollen. Alternativ werden die eigenen Haare weitgehend abrasiert und badekappenartige Perücken aufgesetzt. Bei der aufwendigsten Variante werden die eigenen Haare mit Kunsthaar verflochten oder vernäht. Das dauert bis zu sechs Stunden! So kann man rothaarigen oder blonden Kamerunerinnen begegnen, aber auch älteren Frauen mit Jungmädchenfrisur. Diese Konstruktionen werden meist staubschützend unter einem Kopftuch oder Haarnetz verborgen, denn Waschen ist nicht möglich. Allenfalls ölen die Frauen ihre Haare, bis sie sich zwei bis vier Wochen später einen neuen Haarschmuck gönnen.
Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas.
Sonntagmittag. Am Morgen habe ich vom Tod meiner alten Mutter erfahren, bin jetzt unterwegs zu meinem Heimatort. Auf einem leeren Vorstadtbahnhof warte ich auf den Anschlusszug. Neben mir sitzt ein junger Mann. Trägt er eine Baseballkappe? Weite Hosen? Ich nehme ihn kaum wahr. Einmal begegnen sich kurz unsere Blicke. Die Zeiger der großen Uhr über dem Bahnsteig scheinen stillzustehen, noch immer ist unser Zug nicht in Sicht. „Soll ich Ihnen gleich Ihre Tasche tragen?“, fragt mich der Junge. Ein unerwarteter Trost.
Wenn ich morgens im Frühnebel, einer roten Sonne entgegenfahrend, eine vom Lieblingsbruder aufgenommene CD mit 83 buntgemischten Liedern höre und mich zunehmend dem kommenden Arbeitstag gewachsen fühle. Wenn ich dabei laut mitsinge und die Männer im Lieferwagen nebenan verblüfft gucken, weil diese alternde Blondine gar so komisch aussieht.
Glückwünsche und Ansichtskarten pflege ich eine Weile auf meinem Schreibtisch abzulegen, um mich daran weiterhin zu erfreuen. Besonders liebe Mitteilungen benutze ich anschließend als Lesezeichen. Nun finde ich in einem Gedichtband diesen Geburtstagsgruß, selbst erdacht und selbst gemacht von unserem damals achtjährigen Sohn für meinen Mann, der als niedergelassener Arzt sehr viel Zeit in seiner Praxis verbringen musste. Unser Sohn hat auch an diesem freudigen Tag sein analytisches und kritisches Denken nicht verleugnet. Wir haben uns darüber gefreut und waren ganz glücklich über diesen Sohn. Inzwischen ist er 27 Jahre alt, diplomierter Chemiker und schreibt an seiner Dissertation. Und wiederum sind wir froh und glücklich, denn wir haben keinen Grund, unserem Sohn eine Glückwunschkarte zu übergeben, die in der roten Hälfte des Herzens etwa einen Erlenmeyerkolben zeigt, in der blutleeren Hälfte die Familie.
Alle zwei Monate das Telefonat mit meiner Oma: „Nächstes Wochenende komme ich mal wieder nach Hause. Kann ich Samstag zu euch zum Mittagessen kommen?“ – „Oh schön, was willst du denn essen?“ – Ich (wie immer): „Bratkartoffeln und Spiegelei.“ Allein beim Aussprechen meines Oma-Leibgerichts wird mir ganz warm im Bauch.
Wenn mein elf Wochen alter Sohn mich nachts in einer Stunde dreimal weckt – einmal wegen Hunger und zweimal wegen einer vollen Windel – und wenn er am Ende im Halbdunkel auf dem Wickeltisch liegt und mich anstrahlt. Was will man mehr um drei Uhr früh?