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Wiedergefunden: Die Retterin

Als Achtjähriger musste ich mit dem Fahrrad einen langen Weg zur Schule in ein anderes Dorf fahren, es war 1952. Einmal lief mir ein Kind vor das Rad, ich stürzte über den Lenker und landete mit dem Kopf auf dem Asphalt. Klaffende Wunde an der Augenbraue, viel Blut. Was nun? Keine Erwachsenen weit und breit, kein Auto, auch noch kein Handy damals, nur entsetzte Mitschüler. Da kam eine 13-jährige Schülerin und wusste, was zu tun war. Sie half das Blut stillen, schob mein Fahrrad und brachte mich, einen Kilometer weit, zu einem Arzt. Und dann begleitete sie mich zwei weitere Kilometer zu Fuß nach Hause, ich hatte einen großen Kopfverband. An diesem Tag versäumte sie die Schule.

Die Narbe unter der Augenbraue habe ich bis heute, aber der Vorfall fiel mir erst 56 Jahre später wieder ein. Was mag aus dieser 13-Jährigen geworden sein? Sie müsste jetzt über 70 sein. Wäre es nicht Zeit, sich einmal zu bedanken? Als Achtjähriger war es mir peinlich gewesen, ich hatte sogar dezent die Straßenseite gewechselt, wenn ich sie nach dem Unfall einmal sah. Dann zog ich in die Stadt. Vor einiger Zeit traf ich einen Klassenkameraden wieder. Ich erzählte ihm davon und sagte: „Ich weiß nur noch, dass sie Karin hieß und ihr an einer Hand drei Finger fehlten.“ – „Das gibt es nicht, das ist meine Schwägerin!“, aber er wisse nicht, wo sie wohne, der Kontakt sei seit langer Zeit abgerissen. Dann aber hat er, ein halbes Jahr später, über drei Ecken doch ihre Adresse herausgefunden. So konnte ich ihr nach 57 Jahren einen Brief schreiben, handschriftlich natürlich. Dieser Brief schlug in ihr Herz ein wie ein Komet aus fernem Universum. Sie las ihn unter Tränen, wie sie mir später erzählte, wieder und wieder. Jetzt haben wir uns getroffen – eine sehr herzliche alte Dame! Die Dankbarkeit ist manchmal eine späte Frucht, aber sie verjährt nicht, und es lohnt, sie zu ernten. Sie tut beiden Seiten gut.

Friedemann Schulz von Thun, Hamburg

 

Danach

Gestern gefeiert
Ich stehe vor den Resten
Wo sind die Freunde?

Gerhard Haase, Quickborn

 

Zeitsprung: Kultur der Bratwurst

1990

Die Geschichte des Ruhrgebietes, sie wird immer wieder gern erzählt. Die Kohle, die wachsende Industrie, der stetige Wandel und die Kumpel mit ihrem, nun ja, geringen Hang zur bürgerlichen Kultur. Heute wissen wir: Das war so gewollt. Schließlich waren Arbeiter – zum Arbeiten da und nicht für die Oper. Dann machten die Zechen dicht, und manche Wurstbude, wie die in Recklinghausen auf dem oberen Bild, musste mangels Kundschaft schließen.

2010

Das, was man einen „gelungenen Strukturwandel“ nannte, brachte nun dieses Jahr der Stadt Essen und dem ganzen Revier den Titel der „Kulturhauptstadt 2010“, und plötzlich ist auch im Ruhrgebiet die Kultur in aller Munde. Wir wissen jetzt: Kultur ist überall, Kultur ist machbar, und aus dem Hunger auf einen fetten Imbiss wird ebenfalls Kultur – Wurstkultur. Das Bild aus 2010 habe ich in Dortmund aufgenommen.

Günter Mowe, Dortmund

 

Die erste Sternschnuppe

Letzte Woche war es endlich soweit: Ich sitze mit einem Glas Rotwein im Garten und schaue in den Sternenhimmel. Plötzlich sehe ich eine Sternschnuppe – die erste in 34 Lebensjahren. Vor Jahren schon habe ich mir für diesen Moment einen Wunsch überlegt. Jetzt muss er nur noch in Erfüllung gehen.

Heike Struwe, Oberhundem, Sauerland

 

Funkeln

Vor einem Jahr haben wir geheiratet, an einem heißen Tag im August. Als mein Mann mir den Ehering ansteckte, wollte der vor Aufregung und Hitze nicht gleich über den Fingerknöchel. Erleichterung beim Bräutigam und bei mir, als der Ring endlich saß. Seither habe ich ihn nur wenige Male abgenommen, zum Backen oder zum Sonnenbaden. Oft erinnert mich das Glitzern seiner Steine an unseren „schönsten Tag im Leben“. Wenn ich Stress habe, reicht ein flüchtiger Blick auf ihn, ein kurzes Drehen und Funkelnlassen. Dann bin ich glücklich. Glücklich, verheiratet zu sein.

Carolin Anselmann, Düsseldorf

 

Liebe Christa Wolf,

© Rainer Jensen/dpa

danke für Ihr jüngstes Buch Stadt der Engel! Besonders für Ihre Genauigkeit bei der Reflexion Ihrer eigenen Geschichte, die doch manchmal furchtbar schmerzhaft sein kann, wie ich leider inzwischen auch weiß. Ich kann nicht aufhören, in diesem Buch zu lesen, und denke dabei viel an Sie – und an mich selber in den verschiedenen Stadien meines Lebens.

Schöne Grüße,
Eva Götz, Wien

 

Wiedergefunden: Die Trabi-Bestellung

Ende 1977 habe ich einen Trabant bestellt. Das war damals Routine. Ich glaube, dass es zu jeder Zeit von jedem DDR-Bürger eine solche Bestellung gab – oder sogar mehrere –, weil jeder wusste, dass die Realisierung Jahre dauern würde. So konnte auch ich als Berufseinsteiger ohne finanzielle Polster es mir leisten, ein Auto zu bestellen, obwohl es keine Kredite für solche Konsumgüter gab. Die rund 10.000 DDR-Mark für den Trabant würden im Laufe der Zeit schon zusammenkommen. Und tatsächlich: Die Zeitspanne bis zur Auslieferung verlängerte sich von Jahr zu Jahr, ich habe den Trabant nie bekommen. Dreizehn Jahre waren eben nicht genug, um das Fahrzeug für mich zu produzieren.

Christoph Pollmer, Dresden