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Staunen für Erwachsene

Wir müssen den Kindern die Welt erklären! Dachte ich. Bis ich neulich in einer Buchhandlung am Tisch mit den Kinderbüchern stand und sich ein etwa dreijähriges Mädchen zu mir gesellte. Schweigend sah es sich die Bücher mit mir an. Dann zeigte es auf ein Bilderbuch: „Was für eine Musik ist das?“ Ich war ganz gerührt und erklärte ihm, dass das keine Musik sei, sondern ein Buch, in dem man lesen und dessen Bilder man sich ansehen könne und… Geduldig ließ mich das Mädchen ausreden, drückte mit dem Finger auf eines der bunten Bilder, und – aus dem Buch erklang ein Kinderlied!

Monika Brockmann, Coesfeld

 

Zeitsprung: von jetzt auf gleich

Jetzt

Die moderne Gehirnforschung charakterisiert die Dauer der Gegenwart zwischen zwei und drei Sekunden. Davor liegt bereits die Vergangenheit, dahinter beginnt schon die Zukunft. Von daher erscheint es reizvoll, Zeitsprünge nicht nur durch Jahre dauernde „Zeitflüge“ zu visualisieren, sondern sich auch dem kürzeren Ende der Zeitskala, sozusagen dem Augenblick, anzunähern. Dies habe ich in einer Fotoserie versucht.

Gleich

Anstatt einem dieser ewig gleichen Kongress-Smalltalks beizuwohnen, verließ ich das Kongressgebäude nach hinten und ließ mich von den Straßen von Nizza, dem Wechsel der Ampelfarben, der Leuchtreklamen und anderen Zeitsprüngen faszinieren.

Wolf Mutschler, München

 

Briefe über Deutschland (10)

Lieber Rich,

Du hast recht: Naturkatastrophen wird es immer geben. Aber man kann versuchen, die Zahl und die Folgen jener Katastrophen zu reduzieren, die von Menschen verursacht werden. Natürlich ist man im Nachhinein immer schlauer, aber derzeit muss man doch die Frage stellen, warum die amerikanische Gesetzgebung bei Unterwasserölbohrungen keine Sicherheitsventile verlangt. Derweil nutzt die kanadische konservative Regierung die Ölpest, um die Ölsände in Alberta zu preisen, denn immerhin könne dort so etwas ja nicht passieren.

Praktischerweise vergessen sie natürlich dabei, dass auch die Ölsände viele Umweltrisiken bergen. Die menschliche Solidargemeinschaft, die Du in Deutschland ansprichst, ist wunderbar – besonders in Katastrophenzeiten. Aber was die Flutopfer angeht, so würden viele doch bestimmt einen Versicherungsscheck den gut gemeinten Spenden vorziehen. Denn Ersterer verspricht Sicherheit. Und wer die will, landet zwangsläufig wieder bei einem gesetzlich geregelten Solidarpakt. Wenn die Deutschen den aufgeben, müssen sie sich fragen, ob eine Kombination aus Markt und Hilfsbereitschaft ihn ersetzen kann. Um es überspitzt zu sagen: Deine studentischen Helfer in allen Ehren, aber im Moment ziehe ich es vor, dass BP sich um die Aufräumarbeiten kümmert. Denn so will es das Gesetz, und das ist gut so, findet

Dein Julian

Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal, und sein Stiefvater Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen

 

Lieber Keith Jarrett,

© Michele Crosera/AFP/Getty Images

vor Kurzem haben Sie Ihren 65. Geburtstag gefeiert, aber das Geschenk haben Sie (und Charlie Haden) mir gemacht: die wunderbaren Songs von Jasmine – Ihrem neuesten Album. Im Booklet schreiben Sie: „Here is some music for you. Take it and it’s yours.“ Ich nehme das Geschenk gern an. Thank you, Mr. Jarrett and – congratulations!

Bärbel Gettys, Schloss Hamborn, Ostwestfalen
Jasmine ist bei ECM erschienen

 

Das Brot teilen

na / photocase.com

Seit fünf Wochen sind wir in Spanien unterwegs. Herrliche Natur, stimmiges Wetter, kleine Dörfer mit Bäckerladen, aber das Brot? Mehr und mehr kommt die Sehnsucht nach einem kräftigen oberschwäbischen Graubrot hoch. Endlich im Baskenland, auf dem Markt in Guernica steht ein Käseverkäufer und bietet auch Holzofenbrot an: krustig, kompakt, fast Vollkorn, jeder Laib um die eineinhalb Kilo schwer. Doch: ein halbes Brot? Nein! Ich packe meinen Käse ein und beobachte, wie ein französisches Paar das gleiche Anliegen hat – und ebenfalls keinen Erfolg beim Händler. Ich beginne, mit den Franzosen zu verhandeln. Trotz der Sprachprobleme sind wir uns schnell einig: jeder die Hälfte.

Als der Brotverkäufer begreift, was da vorgeht, zieht ein Leuchten in sein Gesicht. Er schneidet sein Brot durch und verrechnet mit jedem direkt. Ob er weiterhin nur ganze Brote verkauft? Ich würde gerne wieder hinfahren und es überprüfen, denn das Brot war köstlich!

Christine Dent, Berg bei Ravensburg

 

Das regt mich auf: Griechenlandschelte

Die Griechenlandschelte regt mich nicht auf. Ja, Land und Leute haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Nun haben sie die Quittung und müssen büßen. Aber es regt mich auf, in welcher Art viele deutsche Medien nun über Griechenland berichten. Es regt mich auf, dass sie kein gutes Haar mehr an dem Land und seinen Menschen lassen. Es regt mich auf, dass einseitig und zum Teil falsch berichtet wird. Es regt mich auf, dass kaum darüber berichtet wird, dass die Griechen seit der Einführung des Euro durch Konsum fleißig der deutschen Wirtschaft genützt haben. Es regt mich auf, wenn völlig unerwähnt bleibt, dass die deutsche Rüstungsindustrie kräftig an Griechenland verdient hat. Es regt mich auf, dass es jetzt so aussieht, als könne man nicht mehr unbeschadet Urlaub in diesem schönen Land machen. Und überhaupt regt mich die Häme und Borniertheit auf, die nun allseits über Griechenland ausgeschüttet wird. Einst haben die Deutschen die Griechen wegen ihrer Großzügigkeit und Lebensfreude geliebt.
Heute scheint man in Deutschland nur noch Verachtung für die Hellenen übrigzuhaben. Das haben sie nicht verdient.

Chris Hoffmann, Athen, lebt seit 40 Jahren in Griechenland

 

Zeitsprung: Heiligenstadt

1934

Mein Vater erzählt gern Geschichten aus seiner Kindheit und Jugendzeit, die er in Heiligenstadt im erzkatholischen Eichsfeld verbrachte. Unsere Vorfahren – studierte Theologen wie auch einfache Bäcker – sollen schon mit Theodor Storm, dem ehemaligen Kreisrichter, und mit Heinrich Heine verkehrt haben, der sich in Heiligenstadt taufen ließ.
Vor allem aber die Anekdoten vom bissigen Pferd, von den Missetaten der Messdiener, von der Schlägerei im Rathauskeller, von der Schulzeit mit dem inzwischen verstorbenen Erzbischof Dyba und den ersten sexuellen Erfahrungen zum Kriegsende amüsieren die Enkelkinder immer wieder aufs Neue.

2009

Es war ein großer Wunsch von „Opa Franz“, seinen Enkelkindern seine Heimatstadt zu zeigen, in der er 1928 zur Welt kam. Im Juli 2009 traten wir die unterhaltsame Reise en famille an. Dabei entstand ein aktuelles Foto mit „Opa Franz“ auf dem Marktplatz, sitzend auf dem Neptunbrunnen. Ganz ähnlich wie auf der Postkarte von 1934 – auf der rechts im Bild der kleine Franz-Christoph in Lederbuxe steht.

Susanne von Schlichting, Berlin

 

Mein Wort der Woche: Lachen

„Ich helfe mein Eltern Lachen“

Barthou, Konfirmand, der in einer Bremer Kirchengemeinde seine Stärken und Begabungen aufschreiben sollte. „Sportlich, hilfsbereit“, schrieben andere Kinder. Oder: „Ich bin gut in Mathematik.“

Eingesandt von Hannelore Stöver, Bremen

 

Stolzer Großvater

Schulschluss, 13.15 Uhr. Ich verlasse die Schule über den Nebeneingang. Auf einer Bank ein älterer Herr. Er lächelt in Erwartung vor sich hin. Ich grüße. Er grüßt zurück und erklärt: „Ich warte auf meinen Enkel!“ In seinem Gesicht spiegeln sich Freude, Stolz, Güte, Warmherzigkeit. Ein Kind, das nicht alleine ist! Ein Kind, das Geborgenheit erlebt! Ein Kind, für das gesorgt wird! Normalität? Alltäglichkeit? Leider erlebe ich oft das Gegenteil. Schön, dass es diesen Lichtblick gibt. Er erhellt mein Leben und macht mich zuversichtlich!

Ilse Hirschner, Remagen

 

Leser fragen: nicht durstig?

Warum gibt es in der deutschen Sprache kein Wort für „nicht durstig“? (Das Kunstwort „sitt“ hat sich wohl nicht durchgesetzt.) Und: Ist das in anderen Sprachen auch so?

Bernd Kohnen, Ransbach-Baumbach