Meine Frau Nachbarin. Wenn sie neben mir ist, schließt uns eine schillernde Seifenblase ein. Wenn sie mich ansieht, hüpft mein Selbst aus der Rüstung und ruft „Hi!“. Wenn sie mit mir spricht, höre ich Wellenrauschen. Dann rede ich manchmal ziemlichen Unsinn. Wenn sie mich berührt, fühlt es sich an wie eine Prise warmer Strandsand. Wenn sie mich küsst, jagen sich Sonnenauf- und -untergänge. Wenn sie mich liebt, bin ich verloren. Meine Frau Nachbarin zeigt mir die Liebe.
Michael von Schrägdrunter, Berlin
„Da ich meiner lieben Frau Nachbarin keine Schwierigkeiten bereiten möchte“, hat dieser Leser gebeten, unter seinem „Künstlernamen“ firmieren zu dürfen. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
Egal, ob bei der Musik, beim Schreiben, bei der Mode oder in der Kunst, überall muss man individuell sein. Wer möchte denn noch zum Mainstream gehören? Musik aus dem Radio ist jetzt „uncool“, weil das ja jeder hört.
Cool ist, sich Musik aus dem Netzt zu ziehen, irgendwas, was sonst keiner hört, von irgendeiner Band oder einem Künstler, den keiner kennt. Man rennt nicht mehr zu Justin-Timberlake-Konzerten, die nach einem Tag ausverkauft sind, nein, man kauft sich für fünf Euro Konzert Karten von irgendeinem unbekannten Newcomer, der in der letzten Bruchbude im Westend auftritt und bei dessen Konzert man mit fünf weiteren Fans, die ebenfalls den Unbekanntheitsgrad des Künstlers genutzt haben um individuell zu sein, vor der Bühne tanzt, und warum? Um sich vor der ganzen Masse da draußen, von denen, die Lady Gaga und die Black Eyed Peas hören, kurz gesagt, vom Mainstream abzusondern.
Vielleicht gefällt einem die Musik des Künstlers, vielleicht auch nicht. Falls sie einem gefällt, versucht man auf jeden Fall mit allen Mitteln vor allem eins zu erreichen: Ihn unbekannt bleiben zu lassen! Mainstream ist, was bekannt ist.
Vor 10 Jahren war das noch ganz anders. In der Grundschule sprachen wir über Britney Spears und Shakira und über die Backstreet Boys. Wer den Refrain von Britneys neustem Hit auswendig konnte, ohne auch nur ein Wort davon zu verstehen, war cool. So einfach war das. Internet kannte man damals noch fast gar nicht und wäre man mit irgendeinem unbekannten Sänger angekommen, wäre man bei den Freundinnen bestimmt nicht auf Bewunderung gestoßen. Es hätte sich schlicht keiner für den armen Gitarrenspieler mit der einzigartigen Stimme aus Londons hintersten Gasse, der rein zufällig von irgendeinem Musikmanager entdeckt wurde, interessiert.
Selbst beim Weggehen achtet man darauf, so alternativ wie möglich zu sein. Alternative Jugendliche gehen in München nicht zur Partymeile am Ostbahnhof, man geht nicht in die Nachtgalerie oder in die Kultfabrik, denn dort sind nur Proleten und es läuft scheiß Radiogesäusel. Man geht in die Szeneviertel. Viertel wie Schwabing sind out, denn man möchte nicht zu dem neureichen Partyvolk gehören, das Samstagabends das P1 oder das 8 Seasons mit ihren Zehn-Zentimenter-Heels und ihren Gucci-Täschchen unsicher macht und, sollte man zum männlichen Geschlecht gehören, sich mit 20-Liter-Vodka-Flaschen ablichten lässt und schmierige Frisuren mit Seitenscheitel trägt.
Nein, man geht lieber mit Gleichgesinnten in Haidhausen weg, oder im Glockenbachviertel. Dabei versucht man so unaufgestylt wie möglich auszusehen. Man trägt Chucks oder Sneaker, Karohemden und löchrige Jeans und Frisuren, die so aussehen, als sei man gerade aufgestanden.
Und nun? Gefällt es einem jetzt oder nicht? Liegt es an der Generation oder einfach nur an dem erwachsener werden, dass sich Kult plötzlich von Mainstream in Independent gewandelt hat?
Ich bin Schülerin eines Gymnasiums, Abiturjahrgang. Es ist keine schlechte Schule, in den letzten Jahren konnten erstaunlich viele Schüler mit passablen Ergebnissen die Schullaufbahn hinter sich bringen. In wenigen Wochen gibt es Abiturzeugnisse. Ausgabe im Juni.
Es kostet einige Überwindungskraft, in den ersten beiden Stunden Reli seiner Anwesenheitspflicht nachzukommen, aber schließlich setzen sich an einem Freitagmorgen dreißig Oberstufenschüler zusammen, um über die Frage nach dem Leid in der Welt zu diskutieren. Das Leid anderer Menschen gehe uns überhaupt nichts an. Man müsse es halt akzeptieren. Den Betroffenen von Haiti gehe es überhaupt nicht so schlecht, sie seien Leid doch gewohnt. In Burma habe die Regierung vor zwei Jahren Hilfeleistungen untersagt, weil die Menschen darum gebeten hätten, mit ihrem Leid selbst klarkommen zu dürfen. Hilfe sei okay, aber dafür seien wir ja nun wirklich nicht verantwortlich. Zustimmendes Nicken. Ein, zwei Versuche, sich zu empören.
Etwas später erhalten die Ersten von uns ihre Noten der schriftlichen Abiturprüfungen. Alle ziemlich gut, da kann man nichts sagen. Bestens ausgebildete Schüler werden im Juni die Schule verlassen und Deutschlands Zukunft sein. Aber irgendwas fehlt.
Warum marschieren beim Besuch befreundeter Staatsoberhäupter Soldaten zur Begrüßung auf? Wer Gäste empfängt, präsentiert an der Haustür doch auch nicht die Küchenmesser. Warum – zum Beispiel – kein Chor oder die besten Köche des Landes?
Eine Geschichte, die das Herz erwärmt: das berührende Schicksal von Anton, genannt Tontsch. Aber ein Lehrer, der Schüler in einen Schrank sperrt? Das ist das mittelschwere Unglück in dieser liebenswerten Mutter-Kind-Geschichte von Brigitte Jünger.
Die Mutter fährt ein rasantes rotes Motorrad und hat lange rote Locken. Aber diese Locken verstecken die große Operationsnarbe der Mama, und deshalb konnte Anton lange Zeit nicht bei ihr leben. Aber jetzt geht das Zusammenleben wieder, und Anton ist glücklich. Nur die neue Schule mag er nicht: ein verständnisloser Lehrer, gedankenlose Mitschüler. Doch beim großen Kirschkernwettspucken im Klassenzimmer ist Anton der Beste. Genau bei seinem großen Triumph erwischt der Lehrer ihn und sperrt ihn in den Klassenzimmerschrank. Aber auch das ruckelt sich zurecht, denn die Mama kommt hinter diese erbarmungslose Strafmaßnahme. Und wir können aufatmen!
Eva Maria Schäfer, Northeim Der Tontsch ist im Jungbrunnen Verlag erschienen
Ich führe ein Jugendprojekt namens Sprachwerkstatt in einer kleinen Stadt in Hessen durch: Eine Gruppe von sechs bis acht jungen Frauen befasst sich mit Literatur, Lyrik und allen möglichen Büchern. Außerdem treten wir mit Geschichten und Gedichten verschiedener Autoren in Kindergärten oder vor Schulklassen auf, produzieren Internetradiosendungen und führen Aktionen durch wie „Sag mir dein schönstes Wort“ oder „Auf der Suche nach komischen Wörtern“, in denen wir Menschen auffordern, uns Wörter zu schenken. Die meisten der Mädchen hatten mit Büchern und Literatur bisher nicht viel am Hut, aber es ist mir sehr schnell gelungen, sie zu begeistern.
Gestern sah ich einen Film, in dem eine junge Frau einen jungen Mann fragte, was für eine Art von Arbeit er gerne hätte. Er antwortete, dass er gerne etwas tun würde, was sich lohnt. Ich mache etwas, das sich wirklich lohnt. Und das macht mein Leben reicher.
Ein Arbeitskollege hat mir diese Schreibtischunterlage verschönert. Wir wussten an diesem Abend nichts anzufangen, haben gequatscht, einen langweiligen Film angeguckt, und er hat eben gekritzelt. Dieser Kollege hat mir meinen zweijährigen Aufenthalt in Düsseldorf – zumindest für ein Jahr – sehr verschönert, und wenn ich dieses Souvenir anschaue, kommt mir immer die positive Seite von Düsseldorf in den Sinn.
habe ich Dir eigentlich schon einmal erzählt, welchen Beruf sich meine Großmutter für mich ausgedacht hatte? Bischof! Ich musste in den letzten Wochen oft daran denken. Zum Glück scheiterte ich schon beim ersten Eignungstest – ich war fünf Jahre alt. Da gab es eine Andacht im Kindergarten und zwei Aufgaben: Weihrauchfass schwenken (dauernd) und Klingeln (nur zum Eingang und beim Segen). Mein Konkurrent war ein Schwächling, ungeeignet für die mühevolle Aufgabe des Schwenkens, unfähig, unbeobachtet die dreifache Menge an Weihrauch auf der Glut zu deponieren. Zum Segen stellte ich das Weihrauchfass auf den Boden, entriss dem laut aufklagenden Schwächling die Klingel und schüttelte sie so heftig, dass der Herrgott selbst es hören musste. Abruptes Ende der Andacht: zwei schallende Ohrfeigen.
Züchtigung und Strafe schienen damals notwendig in Kindergarten und Schule, ergänzt durch eine Art der Zuwendung, die Distanz auf ein mir unerträgliches Maß verringerte. Ich wehrte mich erfolgreich. Und machte die Naturwissenschaft zu meinem Beruf.
Und jetzt beschäftigt mich die Frage: Habe ich dich je geschlagen? Kam ich Dir, der gern meine Nähe suchte, je zu nahe, wenn Du eigentlich Distanz gewünscht hast? Das fragt Dich und sich
Dein Rich
Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen, und sein Stiefsohn Julian, 30, Umweltberater aus Montreal