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Was mein Leben reicher macht

Immer wenn ich mit Laubharken beschäftigt bin, besucht mich ein Rotkehlchen. Aufgeregt wippend, beäugt es mich von allen Seiten. Ich frage mich immer wieder, was es wohl veranlasst, mich zu beobachten. Manchmal wirkt es, als ob »sie« mich kontrolliert. Wahrscheinlich ist es doch nur der profane Wunsch, einen geeigneten Happen unter einem der Laubblätter erwischen zu können. Trotzdem freue ich mich auf ein Wiedersehen mit meiner rot befleckten Freundin im nächsten Jahr.

Peter Voß, Idstedt, Schleswig-Holstein

 

Was mein Leben reicher macht

Es war so kalt, dass man seinen Atem in der Luft sah. Ich war gerade auf dem Weg zur Universität – da sah ich ein kleines Mädchen, das in seiner Winterjacke und der Mütze, die nur ein kleines rundes Gesicht mit blauen Augen freigab, wirkte wie ein Zwerg. Es rannte auf seinen kurzen Beinchen auf einen Mann zu, der auf dem Boden kniete und den Vorbeigehenden einen alten Pappbecher entgegenhielt. Darein fiel mit einem leisen Klirren eine Münze aus dem Händchen des Kindes. Schnell lief es wieder davon und ließ den Mann mit seinem Becher lächelnd zurück.

Celestina Trost, Bonn

 

Die Kritzelei der Woche

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Seit 1. Januar 2014 pinsele ich für jeden Tag einen neuen Farbstrich auf die Rauputzwand meiner Werkstatt. Ich hatte mich mit einer Duftmanufaktur selbstständig gemacht, und nun begann das dritte Jahr meines freien Tätigseins. Ich fragte mich, schaffe ich den Sprung, wirklich davon leben zu können? Antwort: Inzwischen sieht es sehr gut aus, und gerade in den letzten Tagen des Jahres eröffneten sich mir noch ganz neue Perspektiven. Es kommt auf jeden einzelnen Tag an! Das mache ich mir mit dem täglichen Pinselstrich klar.

Beate M.T. Nagel, Oy-Mittelberg, Allgäu

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Frau kaufte in Stuttgart Noten und dann noch Bücher bei der Buchhandlung Niedlich. Herr Niedlich fragte, ob sie eine Tüte brauche. Meine Frau verneinte und hielt ihm die Tasche mit den Noten hin. Er schaute hinein, schüttelte den Kopf und sagte: »Geht nicht – zu laut!«

Johannes Kiuntke, Metzingen

 

Kittelwascher: Mein Wort-Schatz

Neulich wurde ich von einem richtigen Kittelwascher überrascht – und hatte einen Beitrag für die ZEIT! »Kittelwascher« sagt man in Nürnberg (oder eigentlich eher »Giddelwascher«), wenn man in einen Regenschauer gerät, der ganz plötzlich kommt, einen bis auf die Haut durchnässt und dann wieder aufhört. Meiner dauerte keine fünf Minuten, doch ich zog bis in den zweiten Stock eine Wasserspur hinter mir her.

Melanie Julia Maußner, Nürnberg

 

Ich will – vorerst – keine Schockolade

(nach Trude Herr, »Ich will keine Schokolade«)

Neulich war bei uns Bescherung,
süße Teller, bunt und schwer;
Schokokringel, Mozartkugeln,
jedes Teil schmeckte nach mehr.
Dominosteine, Ingwerplätzchen,
Kipferl und Berliner Brot,
plötzlich sprang der Knopf vom Kragen
und ich rief in meiner Not:

»Ich will keine Schokolade,
keine Pralinees mit Gin,
keine Mandeln, keine Nüsse,
fort mit meinem Doppelkinn.«

Unerbittlich ging es weiter,
Gänsebraten und Salat,
Rotkohl, Klöße, Sahnesoße,
längst schon ächzte jede Naht.
»Ich will keine Schokolade
und auch keinen Weihnachtsmann,
keine Printe, keinen Zimtstern
und kein Herz aus Marzipan.
Ich will keinen Butterstollen,
nein, ich will auch kein Konfekt!
Ich will lieber meine Taille,
wo hat sie sich nur versteckt?«

»Ich will keine Schokolade …

Lang ist so ein Heiligabend,
und es kam, was kommen muss,
der Stuhl brach unter mir zusammen,
und ich rief: »Ab jetzt ist Schluss!«
Ich will keinen heißen Glühwein,
keinen Punsch und keinen Sekt,
gebt mir acqua minerale,
auch wenn mir das gar nicht schmeckt!
Ich will erst wieder was Süßes,
wenn die Fastenzeit vorbei;
aber dann, das weiß ich jetzt schon,
gibt’s ein Riesen – Schokoei!

»Ich will keine Schokolade …

Susanne Steinhagen, Dortmund

 

Was mein Leben reicher macht

Über vierzig Jahre war ich Buchhändlerin, seit vier Jahren bin ich im Ruhestand. Im Weihnachtsgeschäft durfte ich jetzt stundenweise in einer kleinen, wohlsortierten Buchhandlung mitwirken: Kunden, Kolleginnen, die wunderbare Welt der Bücher… Ich weiß, warum ich diesen Beruf so geliebt habe!

Dorothee Heinrich, Stuttgart

 

Ruhe-Buche

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Meine Baumfreundin ist eine Buche, im Friedwald Bad Münstereifel. Ich habe mir diese Freundin vor einigen Jahren gesucht, denn ich wollte sie gerne zu Lebzeiten kennenlernen und mit ihr älter und knorriger werden. Mindestens einmal im Jahr fahre ich zu ihr und mache mich mit ihrer Lebenswirklichkeit vertraut, die irgendwann auch mal meine sein wird. Auf dem kleinen Schild steht ein Satz von Hilde Domin: »Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.« Er beschreibt für mich den Übergang in diese andere Welt. Inzwischen haben sich noch zwei (menschliche) Freundinnen entschieden, ihren letzten Platz unter dieser Buche zu wählen. Da werden wir unsere Schwätzchen weiterführen können, über den Tod hinaus!

Monika Feinen, Hürth

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einer halben Stunde Warten bei der Post endlich das letzte Paket verschickt, dann Metzger und Bäcker im Eiltempo. Im Vorbeifliegen frage ich den netten Bekannten nach dem Namen seines neuen Mischlingshundes. Als Antwort bekomme ich: »TomTom«. Innerlich lachend gehe ich weiter. Na, hoffentlich zeigt der lebendige TomTom unseren Bekannten auch immer den richtigen Weg.

Annika Postler, Esslingen am Neckar

 

Nasser Winkel: Mein Wort-Schatz

Im Mittelalter gab es zwischen den Häusern schmale Durchgänge – auch Winkel genannt. Durch den nassen Winkel wurden alle Abwässer des Hauses geleitet. Da es damals noch keine Kanalisation gab, baute man in diese nassen Winkel auch die Aborte. Gesäubert wurden sie von den »Abdeckern«. Die sogenannten Winkelschnüffler überwachten die Reinlichkeit und zeigten Verstöße dagegen an.

Werner Müller, Berlin