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Noch immer in Führung…

 

Ein beliebter Vorwurf an Angela Merkel lautet derzeit, sie sei führungsschwach. Sowohl die Opposition, jüngst in Person von Guido Westerwelle, als auch der Koalitionspartner betonen, dass Frau Merkel die Republik eher verwalte denn führe. Es wird eine Kanzlerin gefordert, die im eigenen Land und auf internationalem Parkett sichtbar ist und hier wie dort die Interessen der Bevölkerung durchsetzt. Doch Angela Merkel bevorzugt einen weniger pompösen Politikstil, der gerade in Zeiten der Krise angemessen erscheint. Sie lässt sie sich nicht auf Wahlkampfrhetorik ein, sondern betont, dass die Regierung bis zum Herbst weiterarbeiten müsse und werde. Mit den klassischen „Stimmungsthemen“ wie vorgezogenen Neuwahlen möchte sie sich nicht beschäftigen, auch gestern Abend bei „Anne Will“ hat sie das Gespräch sehr schnell auf inhaltliche Fragen gelenkt.

Bei den Wählerinnen und Wählern bringt ihr dieser Ansatz viele Sympathien ein, die Umfragewerte für sie persönlich sind unverändert gut. Der Grund scheint nahe liegend: Gerade in Krisenzeiten erwarten wir von unseren politischen Führern keinen Aktionismus sondern verantwortungsvolles Handeln. Eine Studie der Forschungsgruppe Wahlen und der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass Glaubwürdigkeit die mit Abstand wichtigste Eigenschaft von Politikern ist – 71 Prozent der Befragten nannten diese Qualität, damit liegt sie klar vor den Eigenschaften „Sachverstand“ (53 Prozent), „Bürgernähe“ (36 Prozent), „Tatkraft“ (26 Prozent) und „Sympathie“ (9 Prozent). Genau diesen Eindruck einer authentischen, sachlichen und unaufgeregten Führungspersönlichkeit vermittelte Frau Merkel auch gestern wieder im Gespräch mit Anne Will.

Zwei Fragen bleiben jedoch offen. Erstens: Werden die Wähler im September auch gemäß dieser Kriterien ihre Wahlentscheidung treffen oder werden im dann hoch emotionalisierten Wahlkampf nicht doch wieder andere Beweggründe im Vordergrund stehen? Schon die zitierten Daten der kürzlich veröffentlichten Studie sind nicht mehr ganz aktuell, sie wurden Ende 2008 erhoben. Und zweitens: Ist die derzeitige Beliebtheit der Kanzlerin ein Ausdruck ihrer Führungsstärke?

Politische Führungsqualitäten sollten nicht mit der Beliebtheit und auch nicht mit den Wahlchancen einer Person gleichgesetzt werden. Denn die Beliebtheit in der Bevölkerung spiegelt allenfalls die Führungsqualitäten nach außen wider. Führung wirkt aber auch nach innen – sie muss Parteimitglieder an die Wahlstände und befreundete Ministerpräsidenten auf Linie bringen. Dazu reichen ausgezeichnete Managementfähigkeiten allein nicht aus, es braucht auch die Qualität, die Partei zu begeistern. Der zugehörige Begriff lautet „inspirational leadership“ und das große Vorbild ist – natürlich – Barack Obama. Der große Erfolg seiner Kampagne lag nicht nur (und vielleicht nicht einmal in erster Linie) in der Ansprache der Wähler, sondern in der Mobilisierung der Anhänger. In diesem parteipolitischen Sinne kann man Angela Merkel tatsächlich eine gewisse Führungsschwäche attestieren.

Dass die politische Konkurrenz dies aber beklagenswert findet, ist nicht anzunehmen. Eher liegt die Interpretation nahe, dass es Müntefering und Westerwelle den Wahlkampf eröffnet haben, während die Kanzlerin sich ihrer Arbeit verpflichtet fühlt. Welche der genannten Personen da nun inspirierend ist, muss wohl jeder Wähler für sich selbst entscheiden.